Der Jemen-Konflikt

Richtungswechsel in der saudischen Politik

Luftschläge unter Führung von Saudi-Arabien im Jemen, 1.6.2015.
Luftschläge unter Führung von Saudi-Arabien im Jemen am 1.6.2015 © picture alliance / dpa / Yahya Arhab
Christian Koch im Gespräch mit Patrick Garber · 06.06.2015
Mit massiven Luftschlägen greift eine arabische Militärkoalition unter Führung von Saudi-Arabien in den Bürgerkrieg im Jemen ein. Rund 2000 Menschen wurden nach UN-Angaben bei dem Konflikt zwischen der jemenitischen Regierung und schiitischen Huthi-Milizen bislang getötet. Wir sprechen darüber mit Christian Koch, Direktor der Gulf Research Center Foundation.
Deutschlandradio Kultur: Tacheles reden wir heute über die Lage im Nahen und Mittleren Osten. Und die wird immer unübersichtlicher. In Syrien kämpft so ziemlich jeder gegen jeden. Im Irak kämpfen die Regierung und schiitische Milizen gegen den sogenannten Islamischen Staat. Und seit einigen Wochen mischt sich eine arabische Militärkoalition in den Bürgerkrieg im Jemen ein. Hinter all dem, so lesen wir immer wieder, steht ein Machtkampf um die Vorherrschaft in der Region zwischen dem Iran und Saudi-Arabien.
Worum geht es dabei? Darüber rede ich mit Dr. Christian Koch. Er ist Direktor der Gulf Research Center Foundation in Genf, eines unabhängigen Forschungsinstituts, das sich mit den Ländern rund um den Persischen Golf befasst. – Guten Tag, Herr Koch.
Christian Koch: Schönen guten Tag.
Deutschlandradio Kultur: Herr Koch, das größte und reichste Land der Region ist Saudi-Arabien. Bisher galt Saudi-Arabien aus westlicher Sicht eher als ein Hort der Stabilität in dieser konfliktreichen Weltgegend, als zuverlässiger Verbündeter der USA, der Außenpolitik vor allem mit dem Scheckbuch betreibt. Doch nun führen die Saudis Krieg, im Jemen, sie bombardieren Städte. Und das kurz, nachdem ein neuer König den Thron im Riad bestiegen hat. – Sehen wir einen Richtungswechsel in der saudischen Politik?
Unsicheres Verhältnis zu den USA
Christian Koch: Ganz sicher sieht man einen bestimmten Richtungswechsel. Man guckt sehr besorgt auf die Entwicklungen der gesamten Region. Alle Gefahren, die man irgendwann mal befürchtet hat in Saudi-Arabien haben sich in den letzten Jahren bewahrheitet. Man hat es mit extremistischen Gruppen zu tun in verschiedenen Ländern der Region. Man hat es mit dem Verfall staatlicher Institutionen zu tun. Mehrere Regierungen sind bereits gestürzt worden. Man hatte es mit dem Arabischen Frühling zu tun. Und außerdem ist man sich nicht mehr ganz so sicher, wie das Verhältnis zu den USA aussieht, ob USA weiterhin stark hinter den Regierungen, hinter den Monarchien am Golf steht oder ob es dort auch zu einem Richtungswechsel gegenüber dem Iran vielleicht kommen könnte seitens Washingtons.
Deutschlandradio Kultur: Darauf kommen wir vielleicht noch. Aber warum jetzt dieses militärische Engagement im Jemen? Bisher hat Saudi-Arabien sich ja mehr darauf konzentriert, indirekt zu wirken, indem man, wie etwa in Syrien, Milizen, Söldnertruppen finanziert hat, Waffen geschickt hat. – Warum jetzt selber der Angriff?
Christian Koch: Jemen ist sicher eng an die Sicherheit Saudi-Arabiens selbst gebunden. Man hat eine lange Grenze, 1800 Kilometer, wo immer schon Gefahren auch hervorgekommen sind für Saudi-Arabien selbst. Jemen ist Teil der Arabischen Halbinsel. Es gehört also richtig zur engsten Sicherheit Saudi-Arabiens. Und man sieht zurzeit die Bedrohung, dass sich dort wiederum ein nichtstaatlicher Akteur, eine Miliz festsetzt, um so auf Dauer auch als Bedrohung für Saudi-Arabien aktiv zu werden. Und damit auch die Tür öffnen könnte, dass der Iran noch weiter in seiner Einflusssphäre in der Region ausweiten könnte. Das will man verhindern.
Man weiß ganz genau, dass die USA es nicht tun werden. Man vertraut der Obama-Regierung wenig in der letzten Zeit, was auch sehr mit Syrien zusammenhängt, wo Obama sich ja sehr geweigert hat, sich weiter in den Syrien-Konflikt auch einzumischen. Und somit sieht man sich gefordert, selbst zu handeln. Und das tut Saudi-Arabien jetzt.
US-Präsident Barack Obama im Profil, die linke Hand erhoben, vor der UNO-Vollversammlung.
US-Präsident Barack Obama möchte sich nicht weiter in den Syrien-Konflikt einmischen - so sieht Saudi-Arabien sich selbst gefordert, zu handeln.© Peter Foley, dpa
Deutschlandradio Kultur: Diese Miliz, gegen die Saudi-Arabien mit Luftschlägen vorgeht, Saudi-Arabien und eine Koalition, das ist die Huthi-Miliz, eine schiitische Miliz. Kann man deshalb sagen, dass dieser Bürgerkrieg im Jemen, der nach Schätzung der UNO bisher rund 2000 Tote gefordert haben soll, inzwischen ein Stellvertreterkrieg ist zwischen Saudi-Arabien und dem Iran?
Christian Koch: Noch nicht. Es könnte aber zu einem Stellvertreterkrieg kommen.
Deutschlandradio Kultur: Sind diese Huthis tatsächlich vom Iran aus gesteuert?
Christian Koch: Nicht ausschließlich. Sicher hat der Iran auch bereits Unterstützung geleistet für die Huthis, eine Unterstützung, die auch schon mehrere Jahre zurückgeht – diverse Waffenlieferung, Unterstützung finanzieller Art auch für die Huthis. Das ist aber nicht unbedingt der ausschlaggebende Faktor für die Huthis, womit man erklären könnte, dass sie jetzt in dieser sehr kurzen Zeit, eigentlich seit einem Jahr, quasi die Macht im Jemen an sich nehmen konnte. Der Faktor für Saudi-Arabien ist einfach die Gefahr, dass – falls sich die Huthi-Bewegung weiter etabliert – der Iran die Situation ausnutzen wird und seine Unterstützung für die Huthis noch intensiviert wird. Und damit dem Iran dann wieder eine weitere, eine zweite Art Hizbollah-Miliz aufgebaut wird, wodurch der Iran seine Interessen noch stärker verfolgen könnte und die Bedrohung für Saudi-Arabien deswegen umso stärker wird.
Deutschlandradio Kultur: Ist diese Intervention im Jemen für Saudi-Arabien denn militärisch überhaupt zu gewinnen? Mit Bodentruppen hält man sich ja bis jetzt zurück.
Christian Koch: Nein, ich glaube, man ist sich ganz sicher – auch in den Regierungskreisen in Saudi-Arabien –, dass man das Problem absolut nicht militärisch lösen kann. Es ging in dieser Intervention als erstes darum, einfach zu verhindern, dass die Huthi-Miliz die Hafenstadt Aden einnimmt und somit also dann die Regierung fast im Jemen stellt. Das wollte man verhindern und das hat man auch mit seiner Militärintervention bis jetzt geschafft.
Politische Strategie im Jemen
Sonst aber baut Saudi-Arabien auch weiter auf eine politische Strategie. Man hat eine politische Strategie auch im Vorfeld verfolgt. Den Umsturz oder die Ablösung vom ehemaligen Präsidenten Ali Abdallah Saleh hat man durch eine Initiative des Golf-Kooperationsrates hervorgebracht. Danach hat man sich stark dafür eingesetzt, dass man im Jemen einen nationalen Dialogprozess aufbaut und fortsetzt, wobei man dann versucht hat, eine politische Lösung für das Land zu finden.
Sicher hat man diesen Prozess nicht ausreichend gefördert. Und man hat eigentlich so getan, als wenn man sich um die politische Situation im Jemen nicht weiter kümmern sollte. Dadurch ist natürlich eine große Unzufriedenheit hervorgekommen, die die Huthis letztlich ausgenutzt haben, um ihre Macht, um ihre Forderung dann mit auf die Tagesordnung zu bringen. Diese Situation konfrontiert man jetzt.
Deutschlandradio Kultur: Und wie könnte eine politische Lösung aussehen für den Jemen?
Christian Koch: Ja, man müsste doch versuchen, weiterhin die verschiedenen Interessensgemeinschaften, die verschiedenen Gruppierungen mit an einen Tisch zu bringen, um über eine mögliche politische Lösung zu sprechen.
Für Saudi-Arabien ist wichtig natürlich, dass die von ihnen angesehene legitime Regierung von Abd Rabbo Mansur Hadi wieder eingesetzt wird. Aber auch für die Huthis, dass die Huthis durchaus auch eine Rolle spielen in der Zukunft des Landes, aber nicht eben, dass man es versucht mit militärischen Mitteln durchzusetzen, so wie es bis jetzt geschehen ist.
Verhärtete Fronten: Bewaffnete Huthi-Unterstützer skandieren Slogans gegen Saudi-Arabien.
Verhärtete Fronten: Bewaffnete Huthi-Unterstützer skandieren Slogans gegen Saudi-Arabien.© dpa / picture alliance / Yahya Arhab
Deutschlandradio Kultur: Sie haben gerade schon das Beispiel Libanon und die dort tätige Hisbollah erwähnt, ebenfalls schiitisch, so wie die Huthi-Milizen. Es gibt ja diese These vom schiitischen Halbmond, der eben vom Libanon mit der schiitischen Hisbollah beginnend, über Syrien mit dem alawitischen Machthaber Assad, dann den Irak mit einer schiitisch dominierten Regierung, führt natürlich zum Iran als sozusagen dem Kernstaat der Schia, bis eben hin zu den Schiiten im Jemen. Ist das eine Einkreisung für Saudi-Arabien – subjektiv oder auch objektiv?
Christian Koch: So sieht man es durchaus. Man merkt einfach, dass man zunehmend eingekreist wird von der ganzen Instabilität der Region. Das heißt ja jetzt nicht nur, dass es dieser schiitische Halbmond sein sollte, der ganz Saudi-Arabien umkreist. Es gibt natürlich auch andere Faktoren. Aber der Iran hat durchaus durch die Veränderungen und die Entwicklungen im Nahen Osten bis jetzt Gewinn gemacht und Gewinn gezogen aus dem Ganzen und kann sich dort mit seiner Einflusssphäre entsprechend ausweiten.
Das sieht man wiederum in Saudi-Arabien natürlich als Gefahr auch für die weitere Entwicklung. Hier hat man es mit Monarchien zu tun, für die eigentlich nichts wichtiger ist, als dass man es mit stabilen Verhältnissen zu tun hat in der Region. Alles, was mit Chaos und Zerfall von staatlichen Strukturen zu tun hat, wird als Gefahr gesehen. Und diesem muss man entgegentreten.
Und in diesem Moment sieht Saudi-Arabien einfach, dass der Iran weiterhin seine Interessen ausbauen könnte und dass die Interessen der arabischen, sunnitischen Staaten damit gefährdet sind. Dem will man jetzt ein bisschen gegenhalten.
Deutschlandradio Kultur: Aber ist der Iran denn wirklich so gefährlich für Saudi-Arabien und für die anderen, kleineren arabischen Golfstaaten? Die Iraner sind ja immerhin schwer gebeutelt durch die jahrzehntelange politische Isolation wegen des Streits um das iranische Atomprogramm und vor allem durch die damit verbundenen Wirtschaftssanktionen. – Ist das auch ein bisschen Paranoia in Saudi-Arabien, dass die sich so bedroht fühlen vom Iran und allen Verbündeten des Iran?
Keine Paranoia seitens Saudi-Arabien
Christian Koch: So weit würde ich gar nicht mal gehen. Es ist ganz bestimmt keine Paranoia, weil, man kann auf zahlreiche Beispiele zurückgreifen, wo der Iran sich auch schon aktiv in die internen Angelegenheiten der Golfstaaten in den letzten drei bis vier Jahrzehnten seit der Islamischen Revolution auch involviert hat.
Es gab einen Putschversuch im Inselstaat Bahrain 1981, wo ganz klar der Iran auch dahinter stand und Gruppen dort unterstützt hat. Es gibt weiterhin einen Inselstreit im Golf selbst, wo es um das Recht über drei Inseln geht, die inzwischen auch von den Vereinigten Arabischen Emiraten beansprucht werden. 1996 kam es zu einem terroristischen Anschlag in Dammam, in Khobar, gegen den amerikanischen Stützpunkt dort, wo auch nachgewiesen wurde, dass der durch Iran gesteuert worden war. – Also, es gibt genug Beispiele hier, wo man sagt, der Iran versucht selbst auch die internen Angelegenheiten in den Golfstaaten zu gefährden und instabiler zu machen. Und das wollen natürlich die Golfstaaten nicht.
Deutschlandradio Kultur: Zurzeit laufen ja die 5+1-Verhandlungen mit dem Iran, also die fünf UN-Vetomächte plus Deutschland reden mit dem Iran über das Atomprogramm. Diese Verhandlungen sollen bis Ende dieses Monats abgeschlossen werden. Sollte es zu einem Abschluss kommen und im Gefolge dessen die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran fallen, werden dann die Karten in der Golfregion ganz neu gemischt?
Christian Koch: Das befürchtet man ganz bestimmt aus Sicht Saudi-Arabiens und der anderen Golf-Monarchien. Man sieht das Ganze als ein einheitliches Problem an. Die Amerikaner, was man da auch ein bisschen dran kritisiert an deren Vorgehen, ist, dass besonders unter der Obama-Regierung man dran glaubt, dass durch ein erfolgreiches Atomabkommen die iranische Politik in der Region gemäßigt werden könnte und dass man dann auch eine Bereitschaft sieht seitens Teherans, sich mehr in Gespräche mit den Nachbarstaaten einzulassen.
Furcht vor iranischer Interventionspolitik
In den Golfstaaten sieht man das eben genau andersrum. Man sieht es als ein komplettes Paket. Man kann nicht einfach ein Atomprogramm von iranischer regionaler Politik trennen. Und die Gefahr besteht eben, dass – auch unter einer Auflösung der Sanktionen – dem Iran weitere wirtschaftliche Mittel bereitstehen, die dann dazu genutzt werden, um ihre Interventionspolitik in der Region weiter auszuweiten.
Man merkt im Moment, der Iran ist schwer gebeutelt, wie Sie es schon gesagt haben, in Syrien. Es kostet die iranische Wirtschaft unheimlich viel Geld, die Unterstützung für das Assad-Regime aufrecht zu erhalten. Wären aber weitere finanzielle Mittel wieder bereit, dann würde man die auch wiederum einsetzen, um eben weiterhin die Unterstützung für Assad aufrechtzuerhalten, für Baschar al-Assad und somit auch dann andere regionale Interessen weiter zu fördern.
Deutschlandradio Kultur: Herr Koch, Sie haben schon die USA angesprochen und dass Saudi-Arabien und andere Länder in der Region etwas reserviert sind in letzter Zeit gegenüber dem alten Verbündeten. Vor rund zwei Wochen hatte der US-Präsident Barack Obama die Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrates zum Meinungsaustausch über all diese Probleme nach Camp David eingeladen. Der saudische König Salman kam nicht, sondern ließ sich durch zwei Prinzen vertreten. Auch andere Golfstaaten schickten nur die zweite Garnitur. Gibt es eine tiefere Entfremdung zwischen den USA und den Ländern auf der Arabischen Halbinsel?
Christian Koch: Ich glaube, man sollte sagen, es gibt durchaus eine Entfremdung zwischen den Golfstaaten und der Obama-Regierung, nicht unbedingt der USA als solches. Man hat immer noch weiter viele Freunde und Verbündete in anderen Positionen in der amerikanischen Regierung, ob das jetzt nun auch der Senat oder das Abgeordnetenhaus ist. Also, ich sehe da nicht unbedingt jetzt eine Gefahr, dass es zu einer tieferen Spaltung kommen könnte zwischen den beiden Seiten. Man ist aber definitiv enttäuscht von der Obama-Regierung und seiner Politik in der Region.
Man wirft Obama ein bisschen eine Naivität für die Region vor, der durch seine Abhaltung, sich einzumischen in weitere Angelegenheiten des Nahen Ostens auch diesen Zerfall der staatlichen Strukturen weiter befördert hat damit. Das Ganze geht natürlich noch ein bisschen weiter zurück und hat sehr mit der Invasion der Amerikaner 2003 im Irak zu tun, wovor Saudi-Arabien insbesondere zu diesem Zeitpunkt doch Washington sehr gewarnt hat, diesen Schritt zu wagen. Aber man hat in Washington kein Gehör gefunden, auch, nachdem man doch sehr plädiert hat, nachdem es klar wurde, dass Washington einen Einmarsch nach Bagdad machen wird, man dann sehr dafür plädiert aufzupassen, wie die Nachkriegsordnung auch im Irak aussieht. Aber alle diese Einsichten wurden ignoriert, wurden beiseite geschlagen.
Warten auf das Ende der Obama-Regierung
Und so haben sich die Golfstaaten doch schon sehr isoliert gefühlt und einfach als jemand, der dann mit den Scherben, die einem auf einmal vorgesetzt werden, zu tun haben muss. Das ist also nicht eine eigene Entscheidung, die Politik in der Region so zu gestalten. Diese Enttäuschung hat sich unter Obama einfach fortgesetzt. Und ich meine, im Moment ist so ein bisschen die Meinung in der Region selbst: Wir versuchen nur noch, den Schaden irgendwie zu begrenzen für die letzten 18 Monate einer Obama-Regierung. Und dann guckt man, wer vielleicht der nächste Präsident sein wird und ob sich damit das Verhältnis wieder ein bisschen einordnen lässt.
Deutschlandradio Kultur: Damit hängt ja sicherlich auch zusammen die Annäherung oder die vorsichtige Annäherung zwischen der Obama-Administration und dem Iran beim Atomstreit. Auch beim Kampf gegen den IS haben Washington und Teheran ja durchaus gemeinsame Interessen – etwa im Irak, wo die Amerikaner den IS aus der Luft bombardieren, während am Boden iranische Offiziere schiitische irakische Milizen führen. Muss das zu einer Verschlechterung der amerikanisch-saudischen Beziehungen führen? Oder kann Washington nicht auch mit Teheran und Riad zusammenarbeiten?
Christian Koch: Wo man absolut nicht mit einverstanden ist, ist natürlich, dass durch diesen Kampf gegen den Islamischen Staat hiermit auf einmal eine Tür geöffnet wird für den Iran, der damit seine Einflusssphäre im Irak damit etablieren kann und damit rechtfertigen kann. Das ist absolut nicht gewollt von Seiten der Golfstaaten. Und das führt natürlich auch dann wiederum zu Differenzen zwischen den beiden Seiten.
Der Kampf gegen den Islamischen Staat ist wiederum ein Beispiel dafür auch, dass man weiterhin ein bisschen frustriert ist in Riad und in den anderen arabischen Golf-Monarchien, was amerikanische Politik betrifft, weil man von Anfang an auch gesagt hat, das IS-Problem ist nicht militärisch zu lösen, sondern der Grundkern, das wirkliche Problem liegt in der Regierung Baschar al-Assad in Syrien, der ja auch, als dort Proteste angefangen haben in Damaskus, viele dieser Extremisten, die zu dem Zeitpunkt in syrischen Gefängnissen saßen, freigelassen hat, um genau diese Situation herbeizuführen, um sich dann als Retter für die regionale Ordnung und für den syrischen Staat darzustellen.
Und darum wiederum sagt man, die Abneigung der Obama-Regierung, ihre eigene rote Linie zu verfolgen, die sie ja ausgerufen haben mit dem Einsatz von chemischen Waffen in Damaskus, dieses nicht nachzuvollziehen. Und somit hat man jetzt die Situation in der Region. Aber ohne eine Lösung für die Syrienfrage kann es auch nicht unbedingt eine Lösung für den Islamischen Staat geben.
Massive Aufrüstung in Saudi-Arabien
Deutschlandradio Kultur: Gleichzeitig wird in der Region massiv gerüstet. Saudi-Arabien hat allein im vergangenen Jahr für 80 Milliarden. Dollar Kriegsgerät im Ausland gekauft. Die Golf-Scheichtümer halten es ähnlich.
Geht es dabei um Abschreckung vor allem gegen den Iran? Oder bereitet man sich auf weitere Militärinterventionen vor? War der Jemen vielleicht nur der Anfang?
Christian Koch: Das glaube ich nicht. Ich glaube, für Saudi-Arabien war es wichtig, in dem Zusammenhang mit den Entwicklungen im Jemen ein klares Signal zu setzen, dass eben eine weitere Intervention anderer Mächte auf der Arabischen Halbinsel, dass man diesem sich entgegenstellt. Das Hauptziel bleibt hier der Iran und Teheran. Und somit müssen auch die Rüstungsausgaben der letzten Jahre, und das wird sich natürlich auch noch weiter fortsetzen, in diesem Zusammenhang gesehen werden, dass man eben ein Abschreckungspotenzial gegenüber Teheran braucht. Selbst hat man nicht die Anzahl der Streitkräfte, die mit dem Iran gleichzusetzen sind. Deswegen versucht man auf qualitativer Basis sich hier einen Vorteil zu schaffen. Und das wird auch weiterhin fortgesetzt werden.
Ich glaube aber nicht, dass man hier jetzt von einer weiteren Intervention arabischer Staaten in anderen Ländern unbedingt sprechen könnte, müsste, da, wie gesagt, für Saudi-Arabien ist erstmal nur die Position, sich in der Halbinsel zu etablieren und auf der Arabischen Halbinsel zu zeigen, dass Saudi-Arabien dort die Führungsmacht hat. Saudi-Arabien ist aber durchaus nicht bereit im Moment, direkt sich mehr in Syrien einzumischen oder auch in Libyen, zum Beispiel dort vorzugehen. Soweit wird man nicht gehen.
Deutschlandradio Kultur: In Saudi-Arabien gibt's ja große Befürchtungen, dass über kurz oder lang der Iran vielleicht doch zu eigenen Atomwaffen kommt. – Kann dann auch für Saudi-Arabien eigene Waffen ein Thema werden? Es gibt ja Gerüchte, dass Saudi-Arabien sich im Falle eines Falles auch bei Pakistan bedienen könnte. Pakistan, eine islamische Atommacht, die pakistanische Atomrüstung ist wohl aus Riad finanziert worden zu großen Teilen. Ist da was dran, dass das so eine Option ist, die Saudi-Arabien in der Hinterhand hält?
Christian Koch: Natürlich. Aber ich meine, in der Frage als solche sollte man bisschen realistischer bleiben. Sollte es vermehrt Anzeichen geben, dass der Iran auch sein Nuklearprogramm vorantreibt, wird sich Saudi-Arabien verschiedene Optionen natürlich durchdenken. Das heißt aber jetzt nicht ausschließlich, dass man sofort jetzt seinen pakistanischen Freund in Islamabad anruft und dann darauf zwingt, ihm nukleares Material zur Verfügung zu stellen.
Außerdem sollte man berücksichtigen: Um das Ganze auch in ein richtiges Programm mit aufzubauen, braucht es eine Infrastruktur. Und die ist in den Golfstaaten überhaupt nicht vorhanden. Die VAE haben vor mehreren Jahren angefangen, jetzt für ihre Zivilnutzung nukleare Reaktoren zu bauen, die angeblich 2018 herum ungefähr ans Netz gehen sollen. Es brauchte aber eine lange Vorbereitung, um überhaupt auf dieser technischen Schiene dann überhaupt auch voranzukommen. Und die Infrastruktur – von technischen Mitteln bis hin zu Entscheidungsstrukturen – ist einfach noch nicht vorhanden. Deswegen ist es zu vereinfacht zu sehen, dass entweder man kauft sich eine Nuklearbombe irgendwo auf dem Markt, ob das jetzt Pakistan ist oder vielleicht über andere Mittel, oder man versucht im Schnellverfahren ein militärisches Atomprogramm aufzubauen. Das ist nicht möglich.
Macht-Signale an den Iran
Und deswegen hört man natürlich diese Stimmen im Moment aus Saudi-Arabien, um auch weiterhin ein Signal an den Iran zu schicken und zu sagen: Was ihr könnt, können wir auch. – Aber trotzdem, das Ganze braucht eine Zeit. Und ich glaube, da kommen noch viele andere Faktoren ins Spiel, die man berücksichtigen sollte.
Deutschlandradio Kultur: Herr Koch, werfen wir noch einen Blick auf die innere Situation Saudi-Arabiens. Bisher gilt die saudische Monarchie als stabil. Der Arabische Frühling hat dort nicht stattgefunden. Etwaige Oppositionelle werden unterdrückt, wie wir am Fall des Bloggers Badawi sehen, der wegen abweichender Meinung zu tausend Peitschenhieben und Gefängnis verurteilt wurde. Andererseits gab's in den letzten Tagen in Saudi-Arabien Bombenanschläge mit über 20 Toten vor schiitischen Moscheen. Angeblich soll sie der IS begangen haben. Ist Saudi-Arabien innerlich doch nicht so stabil?
Christian Koch: Es ist noch stabil. Es sind aber einige Faktoren auch vorhanden, die diese Stabilität weiter gefährden könnten. Saudi-Arabien ist eine sehr junge Gesellschaft. Man sagt, das Durchschnittsalter liegt ungefähr bei 20 Jahren, also 60 Prozent der Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt. Man hat Probleme, die jungen Saudis ausreichend auf dem Arbeitsmarkt zu integrieren und mit einzubinden. Die saudische Bevölkerung ist weiterhin sehr von den Ausgaben des Staates abhängig. Und das alles kreiert natürlich auch einen bestimmten Grad an Frust innerhalb der Bevölkerung. Das soziale Umfeld bleibt sehr eingeschränkt. Es wird alles streng sehr überwacht. Die wahabitische Glaubensrichtung ist weiterhin sehr entscheidend. Und damit haben natürlich auch viele junge Saudis ihre eigenen Probleme.
Es gibt im Moment ungefähr 250.000 Saudis, die in den USA studieren und die dann nach ihrem Studium zurückkommen und nicht unbedingt damit mehr einverstanden sind, was sie dann zu Hause auch vorfinden. Das sind alles Strömungen, mit denen sich die Regierung auch auseinandersetzen muss in der nächsten Zeit.
Man hat auf der einen Seite eben noch weiterhin die sehr konservative Gesellschaft, die wiederum da auch dann gipfelt, dass man eben saudische Staatsbürger sieht, die nach Syrien fahren, um mit dem Islamischen Staat zu kämpfen und die dann irgendwann diese Erfahrung auch wieder nach Hause bringen, um dort den Kampf gegen die eigene Regierung fortzusetzen.
Man hat Probleme mit Korruption in der eigenen Herrscherfamilie. Und man hat eine junge Bevölkerung, die sich nicht länger nur einfach das Mitspracherecht, was die politischen Verhältnisse in der Region betrifft und im Land auch selbst betrifft, einfach an die Familie abzugeben. Und das sind alles Herausforderungen, die die al-Saud-Familie vor große Herausforderungen eben stellt. Ob sie die lösen kann, das ist ein bisschen fraglich.
Deutschlandradio Kultur: Wo Sie gerade die IS-Rückkehrer ansprechen: Könnte der Islamische Staat zu einer Bedrohung werden für Saudi-Arabien? Könnte das über die Grenze schwappen?
Christian Koch: Gut, es hat ja schon jetzt Anschläge gegeben, wie Sie auch schon gesagt haben – zwei Anschläge gegen schiitische Moscheen in den letzten paar Wochen. Es gab auch schon einen Vorfall an der irakisch-saudischen Grenze, wo die IS einen Angriff verübt hat. Man muss davon ausgehen, dass es zu weiteren Anschlägen auch im Königreich kommen wird. Ich glaube aber nicht, dass diese Anschläge dann sich soweit ausbreiten werden, dass der IS dann auch zu einer richtigen Bedrohung für die Herrscherfamilie sein wird.
Der Innenraum der Moschee in Katif ist durch den Anschlag völlig zerstört; Menschen durchsuchen die Trümmer.
Das zerstörte Innere der Moschee in Katif nach dem Anschlag am 22.5.2015© EPA/STR
Man hat Erfahrungen mit dieser Situation. Es gab schon eine ganze Reihe von Anschlägen im Jahre 2003/2004, wo die Al Kaida-Gruppierung verschiedene Anschläge ausgeübt hat und wo man doch im Mai – ich kann mich noch gut dran erinnern – April, Mai 2004, wo es dann nacheinander zu mehreren Anschlägen kam, man sich schon sich überlegt hat: Ja, hat die saudische Regierung das Problem noch weiterhin im Griff?
Man hat sich aber danach wieder gut gesammelt und hat auch seine geheimdienstlichen Tätigkeiten besser ausgeweitet, so dass die Regierung heute in der Lage ist, einen Großteil dieser Gefahren schon im Keim zu ersticken, so dass es gar nicht erst zu Anschlägen kommt. Es werden viel mehr Anschläge vereitelt, als die dann doch durchgeführt werden. Aber dennoch, die Gefahr ist da. Ich würde aber nicht sagen, dass es die Stabilität des Königshauses gefährdet.
Deutschlandradio Kultur: Das Königshaus wird seit Ende Januar von einem neuen Monarchen angeführt, König Salman. Der ist mit 79 Jahren seinem verstorbenen Halbbruder auf dem Thron gefolgt. Bedeutet das Kontinuität oder sehen Sie Hinweise auf Reformen unter dem neuen König, der ja gleichzeitig auch Regierungschef ist?
Christian Koch: Man muss da immer ein bisschen vorsichtig sein, wenn man sagt "neuen König". König Salman ist eben auch schon Teil der Regierung seit seinem Anfang, seit 50 Jahren. Er war über 40 Jahre Gouverneur der Provinz Riad, die wichtigste Provinz im Land, und ist eben fest in die Regierungsgeschäfte schon immer mit integriert. Es ist in dem Sinne kein Neuanfang.
Was einen ein bisschen positiv stimmt, ist die Ernennung des neuen Kronprinzen Mohammed bin Nayef, dem derzeitigen Innenminister, der von der nächsten Generation der al-Saud-Familie stammt. Dieses Problem, wann schafft Saudi-Arabien einmal den Sprung in die neue Generation, hat die Herrscherfamilie schon seit langem verfolgt. Nun hat man diesen Schritt endlich vollzogen. Das hat auch der Bevölkerung als solches mehr Zuversicht gegeben, dass man jetzt eine klare Richtung hat, inwiefern die Herrschaftsverhältnisse weiter geleitet werden.
Hinzu kommt die Ernennung von Mohammed bin Salman als dem stellvertretenden Kronprinzen. Er selbst ist noch sehr jung, hat eigentlich auch noch ein bisschen wenig Erfahrung. Und das heißt jetzt nicht unbedingt, dass Mohammed bin Salman auch in den nächsten 50 Jahren eine zentrale Rolle in der Regierung spielen wird, aber es ist ein Signal, dass die Tür auch für die nächste Generation und für die jüngere Generation offen ist. Das wird in der Bevölkerung sehr positiv gehandelt.
Dr. Christian Koch, Direktor der Gulf Research Center Foundation
Christian Koch, Direktor der Gulf Research Center Foundation© Deutschlandradio / Manfred Hilling
Deutschlandradio Kultur: Aber die beiden, der Kronprinz und sein Vertreter, kommen ja beide aus dem Sicherheits-Establishment, der eine Innenminister, der andere Verteidigungsminister. Das spricht doch nicht unbedingt dafür, dass jetzt die bürgerlichen Freiheiten demnächst gelockert werden, oder?
Christian Koch: Nein, nicht unbedingt. Ich glaube, dass wir es mit einer sehr, sehr zaghaften Entwicklung zu tun haben werden – insbesondere noch, solange König Salman auch am Leben ist. Er wird nichts tun, was das Herrscherhaus selbst gefährden könnte, und wird nur sehr vorsichtig mit Reformen voranschreiten, auch weil es darum immer wieder geht, die verschiedenen gesellschaftlichen Schichten im Königreich im Einklang zu halten. Das heißt, er muss auch immer wieder berücksichtigen, inwiefern haben die religiöse Geistlichkeit, was für Interessen muss er dort befriedigen, wie muss er die mit reinziehen, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens herzustellen, der damit dann die Stabilität des Herrscherhauses sichert?
Aber ich meine, wie Sie auch schon gesagt haben, der König ist auch nicht mehr der Jüngste. Es wird zu einem Generationswechsel in Saudi-Arabien kommen. Und damit sehe ich dann auch, dass die Reformaussichten sich verbessern in der nächsten Zeit.
Deutschlandradio Kultur: Können Sie sich vorstellen, dass der Arabische Frühling, also das Aufbegehren vor allem jüngerer Menschen gegen die alte Obrigkeit, dass der mit zeitlicher Verzögerung doch noch Saudi-Arabien erreicht irgendwann?
Christian Koch: Da bin ich mir eigentlich ziemlich sicher, dass es dort auch Auswirkungen haben wird. Ich meine, wenn man jetzt schon heute ein bisschen soziale Netzwerke verfolgt, Saudi-Arabien hat die meisten aktiven Twitter-Benutzer pro Kopf in der ganzen Welt. Von einer Bevölkerung sind mehr als fast fünf Millionen Saudis täglich aktiv und beteiligen sich an Diskussionsforen auf Twitter. Wenn man dem ein bisschen nachgeht und sieht, was dort alles geschrieben wird, kann man eigentlich sagen, dass es kein Tabuthema mehr gibt.
Dort wird die Herrscherfamilie oft ganz scharf kritisiert. Korruption wird versucht aufzudecken. Und das Ganze zeigt dann schon, dass es zu einer zunehmenden Diskussionskultur auch in Saudi-Arabien, auch was politische Rechte, politische Freiheiten, soziale Veränderungen betrifft, kommen wird. Das wird ganz schwer sein, dass man da dann als Regierung noch genug Sicherheitskräfte mobilisiert, um alles einzudämmen, ich glaube, das ist einfach unmöglich.
Deutschlandradio Kultur: Vielen Dank für das Gespräch.
Dr. Christian Koch ist Politikwissenschaftler und Experte für die Golfstaaten. Er studierte 1985-1992 an der University of South Carolina, der American University und der Universität Erlangen-Nürnberg; dort promovierte er mit einer Arbeit über Interessengruppen in Kuwait. Nach Stationen an Forschungseinrichtungen in den Vereinigten Arabischen Emiraten leitet er seit 2011 das Genfer Büro des Gulf Research Center. Medien-Beiträge für Handelsblatt, Süddeutsche Zeitung, Financial Times und Al-Arabiya TV.
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