Der inneren Sehnsucht auf der Spur

Von Karin Dzionara · 20.07.2013
Die Sehnsucht nach Spiritualität führt auch protestantische Frauen ins Kloster. In Norddeutschland gibt es 15 evangelische Frauenklöster, doch es sind nur noch rund 120 Frauen, die sich für das Klosterleben entschieden haben. Im Kloster Wennigsen bei Hannover hat sich nun ein anderes Modell etabliert, eine <em>Geistliche Frauengemeinschaft</em>.
Abendandacht in der Klosterkirche Wennigsen: Im Meditationsraum hinter der historischen Nonnenempore knien neun Frauen auf ihren Gebetsbänkchen. Sie bilden einen Kreis - in der Mitte brennen Kerzen. Die Äbtissin liest ein Gedicht von Hilde Domin. Sie spricht ein Gebet, hält die Fürbitten.

An diesem Wochenende ist Konventstreffen im Kloster Wennigsen vor den Toren Hannovers. Die Frauen haben sich nach Feierabend auf den Weg gemacht, manche von ihnen sind einige hundert Kilometer weit gefahren. Denn regelmäßig alle zwei Monate kommen sie hier für ein Wochenende zusammen – von der Therapeutin bis zur Professorin:

"Sie müssen nicht alles aufgeben, um ins Kloster zu gehen, können aber doch sich Zeiten einräumen, wo sie auch im Kloster sind, Tage oder auch mal mehrere Wochen, und am Klosterleben teilhaben und es auch mitgestalten."

Darauf legt Äbtissin Gabriele-Verena Siemers großen Wert. Die Diplompädagogin und Kontemplationslehrerin hat die "Geistliche Frauengemeinschaft Kloster Wennigsen" aufgebaut. Und mit den Gründungsmitgliedern eine moderne Klosterordnung entwickelt:

Zitat aus der Klosterordnung Wennigsen:

"Zum Wohle des Klosters Wennigsen stellt jede Frau ihre individuellen Fähigkeiten und Stärken in den Dienst. Jede Frau nimmt in Auftreten und Lebensführung auf den Zweck und das Ansehen des Klosters Bedacht."

Die Frauen müssen evangelisch sein und Meditationserfahrung mitbringen. Verbindlich ist neben den Konventstreffen auch eine Einkehrwoche pro Jahr:

"Ein Kloster wird oft damit in Verbindung gebracht, dass die Menschen sich nach Geborgenheit sehnen, nach Versorgtwerden, ... also in diesem Sinn würde ich sagen: Das ist für uns nicht ganz das richtige Projekt, wir sind ja auch sehr für andere da, für Gäste, da muss auch eine gewisse Reifung schon stattgefunden haben, und dass man nicht zu sehr um sich selber kreist, sondern dass man auch schon bereit ist, und die Kräfte hat, sich für andere einzusetzen."

Eine Form der Gemeinschaft, die ein hohes Maß an Selbstdiziplin erfordere, weiß Barbara Hennig. Sie arbeitet in der Erwachsenenbildung:

"Als Freundinnen würde ich uns nicht bezeichnen, eher als Schwestern oder als Menschen, die sich begleiten, die einen gemeinsamen Weg gehen."

Die 57-Jährige gehört zu den Gründerinnen dieser neuen, offenen Frauengemeinschaft. Ein Modell zwischen Freiheit und Verbindlichkeit, mit dem sich Alltag, Familie und Religiosität im säkularen 21. Jahrhundert miteinander in Einklang bringen lassen, betont Äbtissin Gabriele Verena Siemers:

"Wir haben eine Mitte, die ist nicht nur von unseren persönlichen Gefühlen oder Sympathien abhängig, sondern es ist etwas, was uns verbindet, und die Bereitschaft, sich da immer wieder einzulassen, aufeinander zu hören, sich miteinander zu verständigen, das muss in einer guten Weise gegeben sein."

Als "Haus der Stille und Begegnung" bietet das Kloster Wennigsen Exerzitien, Klostertage und Meditationskurse an. Das Angebot für die Gäste gestaltet die Geistliche Frauengemeinschaft. Zentrum der christlichen Spiritualität ist das Herzensgebet:

Gabriele-Verena Siemers: "Es ist eine ganz alte Gebetsweise, die auf die Wüstenväter in den ersten Jahrhunderten nach Christus zurück geht, es gehört zur mantrischen Meditation, das heißt: man wiederholt innerlich so einen Satz, und der bringt einen in die Ruhe des Herzens."

Clementine Haupt-Mertens: "Das Herzensgebet ist ja ein langer Weg, ist ein behutsamer Weg, der einen Stück für Stück leitet, und das ist etwas, was mir große Stabilität in meiner Arbeit gibt."

Clementine Haupt-Mertens ist Krankenhausseelsorgerin in München. Die 55jährige lebt inzwischen allein. Das Herzensgebet und die Gemeinschaft auf Zeit in Wennigsen – beides gebe ihr Kraft, sagt die Theologin:

"Ich merke, so in dem Maß, wie wir das Herzensgebet hier üben, dass ich es mit in die Klinik nehme, mit auf die Gänge nehme, mit in die Zimmer nehme zu den Patienten. Es ist einfach so eine Haltung, die den Raum öffnet."

Das Herzengebet als Lebensprinzip – auch im Alltag. Selbst wenn sie nicht im Kloster sind: Mindestens einmal am Tag nehmen sich die Frauen eine halbe Stunde Zeit für das Gebet in der Stille. Das Gebet verbindet sie auch außerhalb der Klostermauern:

"Es ist ja ein Weg, für den man sich auch entscheidet, und das räumt innerlich auch auf, sag ich mal, es ist auch etwas, wo ich mit meinen Lebensfragen konfrontiert bin und einen inneren Weg gehe."

So hat auch Barbara Hennig eine spirituelle Heimat gefunden – ihre Kinder sind erwachsen, ihr Mann ist seit einem Jahr im Ruhestand:

"Das heißt aber auch, sich dann zu entscheiden, zwischen dem: verdien ich jetzt Geld in meiner freiberuflichen Zeit, mach ich jetzt was mit meinem Mann, oder geh ich ins Kloster."

Die allein stehende Juristin Mirja Müller, Anfang 40, hat als einziges Mitglied der neuen Gemeinschaft die traditionelle Lebensform gewählt: Sie wohnt und arbeitet - wie die Äbtissin – im Kloster Wennigsen, das vor rund 800 Jahren als Augustiner-Chorfrauenstift gegründet wurde:

"Ich war immer auf der Suche nach einer verbindlichen Gemeinschaft, und das ist vielleicht das Besondere, das uns auszeichnet: wir suchen etwas, wir sind innerlich auf der Suche. Ich würde es eher beschreiben als eine innere Sehnsucht, der man folgt."

Doch immer weniger Frauen entscheiden sich heute für ein Leben in einem der 15 norddeutschen evangelischen Frauenklöster zwischen Elbe und Leine. Ein traditionsreiches Erbe, das von der Klosterkammer Hannover verwaltet wird: Diese mittelalterlichen Klöster wurden mit der Reformation nicht aufgeben, sondern als Damenstifte und Konvente für alleinstehende Frauen nach lutherischem Bekenntnis weiter geführt.

Derzeit leben dort noch rund 120 Frauen in eigenen, kleinen Wohnungen. Kapazitäten gäbe es jedoch für beinah doppelt so viele Konventualinnen. Auch deshalb geht die neue "Geistliche Frauengemeinschaft" im Kloster Wennigsen nun neue, eigene Wege – mit Erfolg:

"Als ich dann von der Frauengemeinschaft erfuhr und eingeladen wurde, mal teilzunehmen, zu einem Kennenlernwochenden, war ich sofort auch sehr fasziniert von den Frauen und dem Zusammenhang von Gebet und persönlicher Entwicklungsmöglichkeit noch mal im Spirituellen, und dem Ort und all dem, was man hier eben auch erleben und mit tun kann, dass ich dabei geblieben bin."

Bettina Noesser, 49, lebt mit ihrer Familie im Rheinland, die Frauengemeinschaft sei ihre "Kraftquelle", sagt sie:

"Das war mir wichtig, dass meine Familie auch versteht, was mir das bedeutet, und ich habe sie im letzten Jahr Ostern eingeladen, mit mir Ostern hier zu verbringen, und das war eine sehr schöne Erfahrung, dass wir dann auch hier zusammen das Kloster mit der Atmosphäre und der Magie des Ortes, die ich hier immer so empfinde, das wir das zusammen erlebt haben, ansonsten verträgt es sich insofern sehr gut, weil mein Mann auch das Herzengsgebet praktiziert und wir daher zusammen meditieren können."

Die Architektin ist am Ende ihrer Probezeit – es dauert mindestens zwei Jahre, bis die Gemeinschaft endgültig darüber entscheidet, wer aufgenommen und eingesegnet wird. Die Nachfrage sei groß, freut sich die Äbtissin. Doch die Mitgliedschaft ist auf zwölf Frauen beschränkt. Das entspricht der Zahl der Wohnungen im Kloster Wennigsen.

Klosterleben auf Zeit: In der "Geistlichen Frauengemeinschaft Kloster Wennigsen" haben christliche Tradition und moderne Frömmigkeit eine neue Form gefunden. Äbtissin Gabriele-Verena Siemers spricht von Aufbruch:

"Das ist die verbindende Spiritualität, die wir hier in einer ganz offenen, freien Weise leben, aber wo wir doch eine Form haben, miteinander zu meditieren, die jede auf ihre Weise praktiziert, in der wir auch verbunden sind, wenn wir nicht hier zusammen sind."
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