Der Himmel über Afrika - ohne Internet!

Von Mely Kiyak · 28.11.2012
2,3 Milliarden Menschen nutzten vergangenes Jahr das Internet. Vor allem in den Entwicklungsländern habe die Zahl der Nutzer erheblich zugenommen, teilte kürzlich die Internationale Fernmeldeunion der UNO mit. In China beispielsweise lebt ein Viertel der weltweiten Netzgemeinde. Die Publizistin Mely Kiyak verweist auf die Kehrseite: Noch immer zwei Drittel der Weltbürger haben keinen Netzzugang, viele von ihnen in Afrika.
Nein, das Internet ist nicht wie Luft und Wolken immer da. Das Internet wurde von Menschen erfunden und wie immer, wenn die einen von etwas profitieren und reicher und freier werden, bedeutet es für die anderen, dass sie ärmer und unfreier werden.

Die technisch entwickelte Welt ist ein exklusiver Club, der sich in der Minderheit befindet. Ihr gegenüber leben fünf Milliarden Menschen auf der Erde, die keinen Zugang ins Internet haben oder denen Computer und Telefone fehlen, um eine Verbindung herzustellen. Ganz zu schweigen von dem Sechstel der Weltbevölkerung, die gar nicht alphabetisiert ist, um das Internet, falls es verfügbar wäre, nutzen zu können.

Demnach sind zwei Drittel der Weltbevölkerung wegen fehlender technischer, politischer oder finanzieller Möglichkeiten von der Internetgemeinde ausgeschlossen. Wenn es stimmt, dass das Internet den Menschen Freiheit und Wohlstand bringt - was heißt das für den Rest der weltweiten Population, die offline lebt? Welche Auswirkungen hat der Informationsvorsprung? Was bedeutet der digitale Graben?

Wir sind über das Internet heute in der Lage uns in das Elend anderer Leute hinein zu zoomen, in deren Straßen und Privatsphäre. Dieser Informationsfluss verläuft einseitig. Information ist eine Ware. Wer sie hat, verdient daran. Woher wissen wir denn, wo es Armut gibt? Wo sie besonders gravierend ist? Wir bekommen die Informationen mittels moderner Kommunikationsmethoden.

Dieses Wissen stellt für Investoren beispielsweise eine hervorragende Möglichkeit dar, sich auf die Suche nach einem günstigen oder energiereichen Standort für die Produktion von Waren zu machen. Das geschieht über die Köpfe jener Menschen hinweg, die an diesem Projekt und deren Gewinn nicht teilnehmen können, die nicht einmal wissen, dass ihr Elend und ihr Grund und Boden gerade zur Verhandlung stehen, denn Armut enteignet und entmündigt.

Der soziale Aufstieg ist ohne Internet heute kaum möglich.

Wer kein Internet hat, wird nicht wissen, dass in der nächsten Großstadt oder im Nachbarland Arbeitsplätze angeboten werden, dass die neue Lieferung Impfstoffe im Krankenhaus angekommen ist, kann keine Wohnung finden, weiß nicht wann der Bus kommt, wird nicht an der Internetsprechstunde teilnehmen. Manchmal sind Menschen aus Amerika und Europa besser über das Mikrokreditprogramm in einem afrikanischen Staat informiert, als die Zielgruppe selbst.

Die Digitalisierung der Welt schafft aber auch neue Arbeitsfelder, von denen nur profitiert, wer die technischen Voraussetzungen hat. Es wird zunehmend üblicher, dass eine europäische oder amerikanische Firma ihre Sekretärin tausende Kilometer entfernt im indischen Bangalore beschäftigt. Wäre diese Möglichkeit für gut ausgebildete Bürger in afrikanischen Ländern keine fantastische Möglichkeit zur selbstständigen Arbeit?

Das Internet, vorausgesetzt, es ist frei, also unzensiert, kann einen reicher machen, reicher an Informationen, reicher an Möglichkeiten. Es hilft Menschen auch sich zu vernetzen und politisch zu organisieren. Den Himmel über Afrika ans World Wide Web anzuschließen, muss Teil der Entwicklungspolitik werden.

In Afrika waren die Verbindungspreise 2011 bis zu 7-mal höher als in Amerika und 20-mal höher als in Europa. Kostenlose Computer und Internetzugänge würde die Entwicklung armer Länder beschleunigen. Mächtige Unternehmen wie Apple oder Microsoft könnten sich dieser Aufgabe stellen, statt zuzulassen, dass den Armen der Welt wieder nur unser Müll bleibt.

Giftigen Computerschrott in Indien oder auf dem afrikanischen Kontinent in Deponien wie beispielsweise in Ghana zu lagern und dort das Grundwasser und die Gesundheit der Bewohner zu ruinieren, bedeutet für die einen technischen Fortschritt und digitale Revolution - für die Menschen unter der anderen Hälfte des Himmels bedeutet es Krankheit und Armut.


Mely Kiyak, geboren 1976, lebt als Publizistin in Berlin. Ihre Texte erscheinen in der ZEIT, Welt und taz. Sie ist politische Kolumnistin der Frankfurter Rundschau und der Berliner Zeitung. Mely Kiyak ist Absolventin des Deutschen Literaturinstituts Leipzig, hat in zahlreichen Anthologien veröffentlicht und Sachbücher zum Thema Integration und Migration geschrieben. Zuletzt erschienen: "10 für Deutschland. Gespräche mit türkeistämmigen Abgeordneten" (Edition Körber-Stiftung 2007) und "Ein Garten liegt verschwiegen. Von Nonnen und Beeten, Natur und Klausur" (Hoffmann und Campe, Hamburg 2011).

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