Der Herr des Surrealen

Wiebke Lehnhoff · 15.12.2011
Der britische Schriftsteller Jasper Fforde hat seine Heldin Thursday Next bereits mehrmals in Parallelwelten geschickt, um im Nachhinein die ungelösten Verbrechen in den großen Werken der Weltliteratur zu lösen. In diesem Herbst ist sein neuer Roman "Grau" erschienen.
Ein Winternachmittag in der Fußgängerzone von Bochum: Menschen eilen von Geschäft zu Geschäft, erste Weihnachtseinkäufe werden erledigt:

""Das ist sehr angenehm, weil ich so mal aus dem Haus komme. Eigentlich sollte ich am nächsten Buch arbeiten, aber nun darf ich 'nicht-schreiben', ohne mich dabei schuldig zu fühlen. Ich darf es aufschieben."

Jasper Fforde schlendert durch das Treiben, beobachtet. Der 50-jährige britische Schriftsteller hat noch ein paar Stunden Zeit bis zur Veranstaltung am Abend: Er ist auf Lesereise:

"Man weiß nie, wann einem etwas Interessantes über den Weg laufen könnte. Wenn ich Zeit habe, stehe ich immer sehr früh auf, um zu sehen, wie eine Stadt zum Leben erwacht. Das ist immer spannend, weil man da interessante Typen sieht – zum Beispiel bei den Ladenbesitzern, die langsam aufmachen. Alle sind sehr entspannt und achten nicht darauf, ob sie jemand beobachtet. Und dann erlebt man interessante Dinge, einige merkwürdige und manchmal auch richtig surreale Sachen."

Das Surreale gefällt Jasper Fforde – seine bisher elf Romane sind nicht nur gespickt mit Humor, sondern auch voller skurriler Figuren und fantastischer Szenarien. Seine bekannteste Heldin Thursday Next klärt literarische Verbrechen auf – dafür reist sie auch in Bücher hinein. Natürlich wimmelt es in den Texten nur so von literarischen Anspielungen: Zum Beispiel besuchen die Figuren aus Emily Brontës "Sturmhöhe" eine Therapie zur Aggressionsbewältigung – geleitet von Miss Havisham aus Dickens' "Großen Erwartungen".

Jasper Fforde wurde 1961 in London geboren. Heute lebt er in dem kleinen walisischen Ort Hay-on-Wye – zusammen mit seiner Frau Mari und ihren Kindern, zwei davon noch im Babyalter. Er braucht Kopfhörer und Musik, um sich aufs Schreiben zu konzentrieren, zum Beispiel von Dorothy Moore:

"Weil ich nur etwa sechs Monate Zeit habe für ein Buch, muss ich ranklotzen. Deshalb mache ich morgens den Computer an, öffne eine neue Datei und setze die Kopfhörer auf, damit ich nichts anderes höre. Dann fange ich einfach an zu schreiben. Wenn es Mittagessen gibt, schalte ich ab und gehe spazieren.

Danach schreibe ich ein bisschen weiter, und wenn es gut läuft auch noch, wenn die Kinder im Bett sind. Bei Abgabeterminen arbeite ich auch das Wochenende durch. Sonst vergesse ich nämlich alles und frage mich am Montag: "Wo war ich nochmal?" Produktive Arbeit wird niemals montags erledigt!"

Angefangen mit dem Schreiben hat Fforde 1988. Damals verfasste er zur Übung humorvolle Kurzgeschichten. Das Ziel in einer von ihnen war zum Beispiel, die kafkaeske Verwandlung eines Mannes in eine Banane zu beschreiben, ohne das Wort "Banane" zu benutzen. - Während der Brite privat sein schriftstellerisches Können weiterentwickelte, arbeitete er als Kameraassistent - unter anderem bei Filmen wie "Goldeneye", "Die Maske des Zorro" oder "Quills – Macht der Besessenheit":

"Ich habe ungefähr 1981 in der Filmbranche angefangen und 2001 aufgehört. Da bekam ich gerade die ersten Engagements als Kameramann, was sehr aufregend war. Aber ich merkte, dass ich mich nicht ganz aufs Schreiben konzentrieren könnte, wenn ich mit der Filmarbeit weitermachen würde."

Im Laufe der Jahre hatten sich zahlreiche unveröffentlichte Gedichte, Kurzgeschichten und Romane in Jasper Ffordes Schublade gesammelt. Angeblich kassierte er 76 Absagen von Verlagen, bevor er 2001 den Durchbruch schaffte: mit seinem ersten Buch, dem Thursday-Next-Roman "Die Affäre Jane Eyre". Seitdem hat der Brite jedes Jahr ein Buch veröffentlicht, in den vergangenen Jahren sogar zwei. Dadurch bleibt nicht mehr viel Zeit für seine Hobbies: Fotografieren und Fliegen.

Umso mehr genießt Fforde es, wenn er in der Luft sein kann. Den Flugschein machte er schon mit 24 Jahren und erfüllte sich damit einen Kindheitstraum. Heute besitzt er ein Kunstflugzeug aus den 30er Jahren und eine weitere Propellermaschinen aus den 40ern, mit denen er über Wales seine Runden dreht:

"Da gibt es diesen Bauern, der ein sehr großes Feld hat: Dort steht unser Hangar. Und ich muss nur hingehen, den Hangar aufmachen, das Flugzeug rausschieben, starten und auf geht’s! Ich benutze das Flugzeug nur zu meinem Vergnügen, nicht zum Reisen. Ich fliege einfach herum und erfreue mich an der Freiheit. Es ist ein sehr spirituelles Gefühl da oben in der Luft, alles kontrollierbar, in drei Dimensionen, sehr, sehr schön. Ich muss dabei mit niemandem über Funk sprechen, es gibt keine Flugpläne, nichts! Ich fliege einfach eine Stunde lang, wohin ich will."

Auch dabei hört Fforde gern Musik: Auf seiner "flying playlist" steht zum Beispiel Puccinis "Summchor" aus "Madame Butterfly". Seiner Meinung nach der ideale Soundtrack, wenn er über Städte, Dörfer, Flüsse und Felder gleitet – die grüne Landschaft von Wales, in der er auch einen Teil seiner Kindheit verbrachte.

In der Bochumer Fußgängerzone schauen Passanten neugierig auf die schwarze Bomberjacke des Autors: auf dem Rücken zeigt sie einen umkippenden Eimer, aus dem sieben Farben spritzen. Das Logo seines aktuellen Romans "Grau". Der Brite bemerkt die Blicke nicht, denn er betrachtet interessiert die deutschen Weihnachtsmarkt-Buden. Vielleicht eine Idee für das nächste Buch? Wer weiß, sagt Jasper Fforde:

"Als Autor – besonders bei meiner Art zu Schreiben - nimmt man alles auf, aber man merkt es gar nicht unbedingt. Und dann, wenn man an einem Text sitzt, denkt man: "Ah, vielleicht verwende ich das! Damals, als ich in Polen war, in Krakau, oder so, da hat doch jemand dies gemacht..." Und dann fügt sich einfach alles zusammen."
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