Der Herr der Steine

Von Peter Kaiser · 21.10.2011
Die weltgrößte Mosaikfabrik stand bis in die 70er-Jahre in Berlin-Neukölln. Inhaber waren August Wagner und der jüdischstämmige Gottfried Heinersdorff. Während Wagner eher konservativ war, stand Heinersdorff für progressive Glaskunst. Auch Bruno Taut und Max Pechstein arbeiteten mit ihm zusammen.
"Das Mosaik ist ein Bild, das entsteht aus mehreren Teilchen …"

Guiseppe Fornasari und dessen Frau kamen aus Italien nach Berlin, um hier, nahe des Prenzlauer Bergs, eine Mosaikwerkstatt aufzubauen. Das sprach sich rum, sagt Frau Fornasari:

"Es kommen ab und zu junge Künstler, die sich sehr dafür interessieren. Die haben so Ideen mit Mosaik, was kann man da so machen? Und dann kommen sie her und sind meistens begeistert, was alles möglich ist."

Doch es kamen auch andere Besucher der Werkstatt …

"… und die erzählen uns Geschichten von Puhl & Wagner, was dort passiert ist."

"Pittura per L'eternita” - "Malerei für die Ewigkeit", sagen Italiener zum Mosaik. Die Kunst, aus farbigen Steinchen große und größte Bilderfolgen oder sogar Szenen darzustellen, ist uralt und teuer. Eben darum bevorzugten in Deutschland Kaiser Wilhelm II. und später die Nationalsozialisten aus Repräsentationsgründen das "Deutsche Mosaik", das in Berlin-Neukölln seit etwa 1890 von der "Deutschen Glasmosaik-Anstalt Puhl & Wagner" hergestellt wurde.

Neben dem konservativ kaisertreuen Firmengründer August Wagner war der 1914 mit einer eigenen Firma ins Unternehmen eingetretene reformerische Gottfried Heinersdorff, der jüdischer Abstammung war, der zweite Firmenchef.

Ursula Müller: "Mit dem Beitritt von Gottfried Heinersdorff in das Unternehmen Puhl und Wagner, das dann zu den Vereinigten Werkstätten fusionierte, kam ein Bestreben in die Firma, was neu war. Nämlich, die Glasmalerei als Medium zu erneuern."

Ursula Müller leitet die Architektursammlung der Berlinischen Galerie. Hier lagert der Firmennachlass von "Puhl Wagner".

"Er war ja Gründungsmitglied vom Deutschen Werkbund gewesen. Hatte mit Architekten, von Behrens, Paul, Bruno Taut und so weiter Kontakt. Aber eben auch mit der Avantgarde von Künstlern."

Gottfried Heinersdorff sah in der Glaskunst, also der Glasmalerei wie auch Glasmosaiken, eine Möglichkeit, Licht in die Häuser und damit in die Wohnungen zu bringen. Licht und Architektur - auf den Schwingen dieses von Paul Scheerbart, einem Schriftsteller meist phantastischer Literatur, formulierten neuen Gedankens:

"Wir leben zumeist in geschlossenen Räumen. Diese bilden das Milieu, aus dem unsere Kultur herauswächst. Unsere Kultur ist gewissermaßen ein Produkt der Architektur. Wollen wir unsere Kultur auf ein höheres Niveau bringen, sind wir gezwungen, die Architektur umzuwandeln. Das können wir nur durch die Einführung der Glasarchitektur, die das Sonnenlicht und das Licht des Mondes und das Licht der Sterne nicht nur durch ein paar Fenster in die Räume lässt, sondern gleich durch möglichst viele Wände, die ganz aus Glas sind, aus farbigen Gläsern."
(Paul Scheerbart, "Glasarchitektur", 1914)

Auf den Schwingen dieses Gedankens arbeitete Gottfried Heinersdorff bis in die 1930er-Jahre mehr schlecht als recht mit August Wagner zusammen.

Kai Habermehl: "Vermutlich ist es ja die ersten zehn Jahre der fusionierten Firma ausgesprochen gut gegangen. Persönlich hat es ihm sicherlich nicht gut getan. Denn er ist ja in nahezu regelmäßigen Abständen von zehn Jahren bis in meine Profession reichende Auseinandersetzungen mit Wagner geraten."

Kai Habermehl, heute Richter in Düsseldorf, ist einer der Enkel Gottfried Heinersdorffs. In der Familie, sagt er, existieren noch Anekdoten über den humorvollen und geistreichen Großvater, der selbst zwar kaum Glasmalerei eigenhändig herstellte, aber dafür die Gabe besaß, Künstler wie Thorn Prikker, Lyonel Feininger, Bruno Taut, Max Pechstein und viele mehr mit Handwerkern ungemein produktiv zusammenzubringen.

"Eine im Familienkreise gerne erzählte Anekdote ist die eines Au-pair-Mädchens, die zum Servieren bei einer größeren Abendgesellschaft eingeteilt war und der dann der Großvater vorher, bevor sie um den Tisch geschickt worden ist, gesagt hat, sie müsse jetzt, wenn sie von hinten an die Herrschaften herantrete und fragen, ob sie nachlegen solle, immer fragen: Wollen Sie noch etwas von des Fleischeslust?"

Mit den Nazis kam, was kommen musste: Gottfried Heinersdorff floh mit seinem Sohn Eberhardt nach Paris, von Wagner als Halbjude denunziert und mit dem Verbot belegt, in Deutschland nie weder arbeiten zu dürfen.

"… und hat seine Frau und seine beiden Töchter in Berlin gelassen."

Die jüngste Tochter Heinersdorffs war die Mutter von Kai Habermehl. Als die Nazis in Paris einmarschierten, tauchte Eberhard Heinersdorff als Mitglied der Résistance unter. Sein Vater floh wieder, dieses Mal in die Dordogne nach Mouleydier, einem kleinen Dorf nahe Bergerac. Hier, auf dem "Chateau Les Merles", hatte er als Hauslehrer eine gute Zeit. Und er muss ...

"... einen guten Eindruck hinterlassen haben bei den Kindern des Hauses, die er da unterrichtet hat. Meine Mutter ist da 1960 auf einer Frankreichreise mal vorbeigekommen und hat da einfach mal geklopft an der Haustür. Und ist dann stürmisch empfangen worden, als die Tochter von Gottfried Heinersdorff."

Am 24. Oktober 1941, vor 70 Jahren, starb Gottfried Heinersdorff dort an Krebs. Fast alle seine Glasbilder und Mosaiken sind im Zweiten Weltkrieg zerstört worden, die Dunkelheit scheut eben das Licht. Dennoch ist Gottfried Heinersdorff bis heute nicht nur ein wichtiger unvergessener Wegbereiter der modernen Architektur und Glasmalerei. Mit seinem Freund Paul Scheerbart ist der Glaskünstler Gottfried Heinersdorff auch eine Art Bote gewesen.

"Und wir hätten dann auf der Erde überall Köstlicheres als aus den Gärten aus tausend und einer Nacht. Wir hätten dann ein Paradies auf der Erde und brauchten nicht sehnsüchtig nach dem Paradies im Himmel auszuschauen."
(Paul Scheerbart)