Der Handstreich des Ismar Boas

Von Peter Kaiser · 07.06.2013
Viele Menschen verdanken dem jüdischen Arzt Ismar Boas ihr Leben, denn mit seiner Arbeit legte er die Grundlagen für die frühzeitige Erkennung von Krebstumoren. Sein Lehrbuch der Magenkrankheiten ist bis heute ein Standardwerk.
Markus Lerch: "Der Direktor der Charite und ich werden Ihnen jetzt diese Tafel zeigen. Wir enthüllen Sie und ich denke, sie hat einen würdigen Platz mit herrlicher Aussicht gefunden. Für Ismar Boas."

Ismar Boas, an dessen Wirken als Arzt vor kurzem mit der feierlichen Enthüllung einer Gedenktafel im Campus Mitte in der Berliner Charité gedacht wurde, ist heute nahezu vergessen. Doch dem Pionier, dem Querdenker, dem Wissenshungrigen, dem Arzt, Autodidakt und Juden - der 1936 vor den Nazis nach Wien flüchtete - ihm verdanken heute Tag für Tag viele Menschen ihr weiteres Leben, ihr Überleben.

"''Er war ein ungeheuer disziplinierter, fleißiger Mensch mit einem hohen Pflichtgefühl, einem hohen Verantwortungsgefühl.""

Harro Jenss ist Gastroenterologe und Buchautor aus Worpswede.

"Und er hat immer wieder gefragt: Ist das, was wir tun auch wirklich sicher? Und wie gesichert ist diese und jene Maßnahme? Ich glaube dieses Zusammenspiel - hohes Ethos für die Patienten und hoher Anspruch an die medizinische Wissenschaft - das macht den Herrn Boas aus."

Nach seinem Medizinstudium in Berlin, Halle und Leipzig - und einer Assistenz bei Professor Carl Anton Ewald - lässt sich Ismar Boas 1882 in Berlin als praktischer Arzt nieder. Hier spezialisiert er sich im Laufe von vier Jahren als Außenseiter und Autodidakt, der nie eine Klinikausbildung absolviert hat, derart auf Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten, dass er sich per Handstreich und gegen alle damaligen Konventionen selbst zum ersten "Specialarzt für Magen-Darm-Krankheiten" beruft. Damit ist das Fachgebiet der Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten begründet. Markus Lerch, Direktor der Klinik für Innere Medizin in Greifswald begründet den ungewöhnlichen Schritt des vorherigen Kollegen.

"Er argumentiert so, dass es zu Mozart und Haydn noch möglich war, dass ein Musiker auf sieben Instrumenten spielte. Dass aber in seiner Zeit, zum Beispiel Medizinexperten nur noch zwei Gebiete überschauen können. Und er ist der festen Überzeugung, dass wenn man etwas richtig macht, man sich spezialisieren muss und nicht mehr die gesamte Breite des Faches abdecken kann. Und ich glaube, diese Regel gilt heute noch in viel größerem Maße als zur Zeit Ismar Boas."

Es wird 38 Jahre dauern, bis 1924 der Deutsche Ärztetag in Bremen die Einführung des "Facharztes für Magen-Darm-Krankheiten" beschließt. In der Zeit davor hat der unermüdliche Arzt Boas, der Ehemann und Vater von zwei Kindern in seiner Praxis in der Berliner Friedrichstraße geforscht und an sich selbst Versuche gemacht. Bertram Wiedenmann, Direktor der Medizinischen Klinik für Gastroentertologie an der Charité:

"Es war ein Gummischlauch, und Sie müssen natürlich die Qualitäten eines Schwertschluckers haben, um praktisch die erste Krümmung hinterm Gaumen zu schaffen. Das können Sie nur dadurch erreichen, in dem Sie das Kinn so weit wie möglich nach oben strecken, um damit praktisch die Einführung zu erlauben. Und die Diagnostik bezog sich allein nur auf den Mageninhalt, den Sie dann in seiner Farbe und seinem PH-Wert untersuchen konnten."

Ismar Boas gelingt es ein Verfahren zu entwickeln, mit dem sich verstecktes Blut im Stuhl nachweisen lässt. Dieses Blut kann früh schon auf einen Darmtumor hinweisen.

"Ich glaube die Frage, inwieweit man in der Stuhldiagnostik Rückschlüsse auf Veränderungen im Magen-Darm-Trakt schließen kann, ist ja aktuell wie eh und je. Der Nachweis von verstecktem oder okkultem Blut ist immer noch ein Verfahren, was vor 100 Jahren von ihm mit entdeckt wurde und was heute noch Geltung hat."

Ismar Boas nimmt sich als 80-jähriger in Wien, nach dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht 1938, mit einer Überdosis Veronal das Leben. Seine Kinder überleben die Nazizeit.

Ismar Boas blieb zeitlebens die Anerkennung für sein Werk ver-sagt. Doch seine Arbeit hat die Zeiten überwunden, nicht nur die NS-Zeit. Und ein wenig mahnt sein Schicksal auch heute noch, Querdenker wie ihm zuzuhören.