Der Großschriftsteller als Geizhals

Von Jörg Taszman · 25.01.2010
Knatsch im Hause Tolstoi: Als Sofia Tolstoi erfährt, dass ihr Mann, der berühmte Schrifsteller, die Rechte an seinen Werken nicht ihr und seinen Kindern vermachen will, sondern "dem Volke", platzt sie vor Wut. In das Ehedrama hinein gerät Tolstois neuer Privatsekretär Walentin Bulgakow, glühender Anhänger von Tolstois Theorie der reinen Liebe.
"The last Station" heißt der Film im englischen Original und es geht nicht nur um die letzen Wochen im Leben von Leo Tolstoi, sondern auch um die zwielichtige Rolle, die Vladimir Chertkow spielte, ein Vertrauter des großen russischen Schriftsellers. Der undurchsichtige Chertkow hatte es vor allem darauf abgesehen, in der Nähe des Schriftstellers einen Vertrauten zu etablieren, der für ihn wichtige Informationen sammeln soll. Vor allem über Sofia Andrejewna, die seit 48 Jahren mit Lew Tolstoi verheiratet ist. Denn sie will verhindern, dass die Rechte am Werk von Tolstoi an Chertkow übergehen, der vorgibt, ganz im Interesse des selbstlosen Schriftstellers zu handeln.

Fiktionalisiert hat diese Geschichte der amerikanische Regisseur und Drehbuchautor Michael Hoffman. Beim Schreiben half ihm dann die Lektüre eines großen, russischen Dramatikers.

Michael Hoffman: "Die erste Drehbuchfassung war wirklich nicht gut und ich legte das Buch erst einmal weg und dachte, eines Tages werde ich mir das erneut vornehmen. Dann war es aber schon nach drei Monaten so weit. Ich las einige Stücke von Tschechow wie 'Der Kirschgarten', 'Drei Schwestern' und 'Onkel Wanja' und diese Lektüre veränderte den Schreibprozess. Vielleicht lag es auch daran, dass ich meine eigene Ehe als eine Tragikomödie erlebte. Und so wollte ich eine Tragikomödie über die Ehe machen, und irgendwie kann Tschechow das so gut, wenn das Absurde und das Erhabene, die Tragik und die Komik aufeinanderprallen, das war also ein Glücksmoment."

Fragt man Michael Hoffman, warum nun ausgerechnet ein Amerikaner einen Film über die Tolstois macht, kontert Hoffman mit der Universalität des Stoffes. In den USA fand sich dafür allerdings kein Geld, sodass man in Deutschland und Russland die Finanzierung sicherstellte und wegen der regionalen Fördergelder letztendlich in Mittel- und Ostdeutschland drehte.

Ursprünglich war für die Hauptrolle von Leo Tolstoi einmal Anthony Hopkins vorgesehen, der dann jedoch aus dem Projekt ausstieg. Nun spielt Christopher Plummer den kauzigen, bodenständigen Alten, der mit seiner Frau fast nur noch zankt. Helen Mirren, die Sofia Tolstoi verkörpert, kann verstehen, warum diese Frau mit ihrem Mann nicht mehr klarkam.

Helen Mirren: "Sie hasst es und findet es idiotisch, wie sehr ihr Ehemann angebetet wird. Sie respektiert Tolstoi als einen großen Künstler, das, was ihn dazu gemacht hat, ein großer Künstler zu werden. Aber dieser Starruhm, den lehnte sie ab, immer so in der Öffentlichkeit zu leben wie David Beckham oder Victoria Beckham heute. Alles, was die Tolstois taten, jeder Schritt wurde kommentiert. Sie gehörten so zu den ersten Promis."

Helen Mirren konnte sich in die Welt der adeligen Tolstois auch deshalb hineinversetzen, weil ihr Vater ursprünglich aus einer russischen Aristokratenfamilie stammt, aber mit dieser Tradition brach. Wie nahe steht der Britin aber nun die russische Kultur?

"Ich bin jetzt keine sehr große Kennerin der russischen Literatur, aber ich habe schon meinen Dostojewski und meinen Tolstoi gelesen, auch Tschechow. Ich spielte auch in einem Stück von Turgenjew mit, den ich sehr liebe. Ich mag auch zeitgenössische russische Malerei. Nun ich bin sicher, dass ich zum Russischen eine ethnische Verbindung habe. Am meisten jedoch zum russischen Essen. Ich liebe das russische Essen, das sonst alle nicht mögen."

Auf Nachfrage zählt Helen Mirren, deren Großvater noch Mironow hieß, auf, was sie alles gerne isst, wie Borschtsch, mit Kraut gefüllte Teigtaschen oder Blinis: also das richtig schwere russische Essen. Russisch selbst spricht sie nicht, auch wenn sie die Sprache schön findet. Wie die historische Sofia Tolstoi war, weiß Helen Mirren nicht. Sie sah auch keinen Sinn darin, sich mit anderen Interpretationen auseinanderzusetzen. Sie interessierte sich nur für die Figur, die Regisseur Michael Hoffman im Drehbuch erschuf.

Was ihr gefiel, war, wie sehr diese Sofia Tolstoi ihren Gefühlen freien Lauf ließ, etwas, das Helen Mirren im eigenen Leben nicht so gut kann, wie sie zugibt. Dagegen sagt sie eindeutig, was sie von den Frauenfiguren im Werk von Leo Tolstoi hält:

"Interessanterweise mag ich Tolstoi, aber überhaupt nicht seine Frauenfiguren. Sie sind so nass, immer am heulen, schrecklich. Nur mit Anna Karenina kann ich etwas anfangen. Sie kämpfte wenigstens für sich selbst, aber die Frauen in 'Krieg und Frieden' sind fürchterlich. Sie sind Schwächlinge und schrecklich. Sie erröten immer oder werden ganz bleich, oder erröten zuerst und werden dann bleich. Was anderes scheinen sie nie zu tun."

Helen Mirren spielt nun die Frau im Leben Tolstois als eine zanksüchtige Drama-Queen, so als stünde sie ewig auf der Bühne. Immerhin hat es für eine Nominierung für die Golden Globes gereicht. Michael Hoffmans "Ein russischer Sommer" ist altmodisches Erzählkino und vermag es durchaus, die politischen wie privaten Konflikte Tolstois in Russland kurz vor Ende des Zarismus zu schildern. Dabei kann sich der Regisseur Michael Hoffman ganz auf seine Stars Christopher Plummer und Helen Mirren verlassen.