Der große Graben

Von Petra Thorbrietz · 14.04.2012
Wie kann es sein, dass in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, Bildung immer noch ein Privileg ist? Dass es von Zufällen abhängt – einem innovativen Kindergarten, einem engagierten Pädagogen, ob Kinder am Lernen Spaß finden oder auf ewig davon abgeschreckt werden?
Dass das Schulsystem vor der Herausforderung der kulturellen Vielfalt kapituliert – auch wenn bereits jedes dritte Vorschulkind andere Farben, Sprachen und Religionen hat? Warum halten Politiker so unerbittlich an einem nach Leistung gestaffelten Schulsystem fest, obwohl sich längst gezeigt hat, dass dies mehr Verlierer als Gewinner produziert? Dass der deutsche Staat viel Geld für Familienförderung aufwendet, zementiert Benachteiligungen eher als sie aufzuheben: Wer einer bildungsfernen Schicht entstammt, muss auch heute noch kämpfen, um ihr entwachsen zu können. Das fängt bei der Suche nach einem der wenigen Kita-Plätze an und hört bei den Studiengebühren noch lange nicht auf: Die Kinder wohlhabender Eltern werden über steuerliche Erleichterungen annähernd gleich gefördert wie die niedriger Einkommensgruppen. Eine "Lange Nacht" über Stolpersteine zur Bildungsgerechtigkeit.

Studiogäste:

Prof. Dr. Christine Brückner, Erziehungswissenschaftlerin und Vertrauensdozentin der Rosa-Luxemburg-Stiftung

Dr. Gerhard Teufel, Generalsekretär der Studienstiftung des Deutschen Volkes

Prof. Dr. Michael Hartmann, Soziologe an der TU Darmstadt

Prof. Dr. Christopher Young, Germanist an der Universität Cambrigde

Katja Urbatsch, Kulturwissenschaftlerin und Gründerin der Initiative Arbeiterkind.de

Studienstiftung des Deutschen Volkes
"Leistung, Initiative, Verantwortung" - das zeichnet unsere Stipendiatinnen und Stipendiaten aus. Die Studienstiftung des deutschen Volkes ist das größte Begabtenförderungswerk in Deutschland und als einziges politisch, konfessionell und weltanschaulich unabhängig. Rund 11.000 besonders begabte Studierende und Doktoranden werden zurzeit gefördert.


Prof. Dr. Michael Hartmann, Professur für Elite- und Organisationssoziologie

Wer arm geboren wird, stirbt auch arm
"Je ärmer eine Person aufwächst, umso geringer sind auch ihre Chancen auf einen guten Bildungsabschluss", so der Soziologe Prof. Dr. Michael Hartmann von der TU Darmstadt. Im Interview erklärt er, dass sich die Kluft zwischen Arm und Reich noch weiter vertiefen wird, wenn es nicht gelingt, das Bildungssystem zu reformieren. "Wer arm geboren wird, stirbt auch arm"


Seit dem Wintersemester 2010/11 - bis einschließlich Juli 2012 - ist der Germanist Christopher Young von der Universität Cambridge (UK) der Graduiertenschule als Permanent Visiting Fellow assoziiert. Er lehrt Neuere deutsche Literatur und Deutsche Literatur des Mittelalters an der Universität Cambridge und ist Fellow des Pembroke College in Cambridge. Während seines zweijährigen Forschungsaufenthalts in Berlin (2010-2012) wird er an einer Studie über den deutschen Sport in der Weimarer Republik arbeiten und die Einrichtung einer Schriftenreihe Companions to Contemporary German Culture beim de Gruyter-Verlag vorantreiben.

Die Idee und der Name der Initiative ArbeiterKind.de stammen von Katja Urbatsch. Sie gehört zur sogenannten "First Generation", der ersten Generation einer Familie, die ein Studium absolviert. Zurzeit promoviert sie am International Graduate Centre for the Study of Culture (GCSC) der Justus-Liebig-Universität Gießen. Von Januar 2007 bis August 2008 war Katja Urbatsch als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich Öffentlichkeitsarbeit am Graduiertenzentrum tätig. Und seit September 2008 wird sie als Stipendiatin der Hans-Böckler-Stiftung gefördert. Das Magisterstudium Nordamerikastudien, Betriebswirtschaftslehre und Publizistik- und Kommunikationswissenschaft hat sie an der Freien Universität Berlin absolviert. Als erste Akademikerin in ihrer Familie ist sie mit den Problemen von Kindern aus hochschulfernen Familien vertraut und hat daher die Initiative ArbeiterKind.de gegründet.

Campus & Karriere, das Bildungsmagazin im Deutschlandfunk, hat die Entwicklung von Arbeiterkind.de seit seiner Gründung begleitet:

5.5.2008
Kein Privileg der "Bessergestellten" - Internetportal will Schülern aus nichtakademischen Familien ein Studium schmackhaft machen
22.5.2009
Studium für alle - Internetportal arbeiterkind.de gibt seit einem Jahr Starthilfe für den Aufstieg
5.5.2011
Pioniere im Hörsaal - ArbeiterKind.de wird drei Jahre alt

Arbeiterkind.de
Wir sind eine gemeinnützige Initiative mit bundesweit über 4000 ehrenamtlichen Mentorinnen und Mentoren in 80 lokalen Gruppen, die Schülerinnen und Schüler aus Familien, in denen noch niemand oder kaum jemand studiert hat, zum Studium ermutigt und sie vom Studieneinstieg bis zum erfolgreichen Studienabschluss unterstützt. Denn in Deutschland lässt sich die Wahrscheinlichkeit, ob ein Kind studieren wird, am Bildungsstand der Eltern ablesen. Laut der aktuellen Sozialstudie des deutschen Studentenwerks nehmen von 100 Akademikerkindern 71 ein Studium auf. Dagegen studieren von 100 Nicht-Akademikerkindern lediglich 24 obwohl doppelt so viele die Hochschulreife erreichen. Die finanzielle Belastung ist dabei nur einer von vielen Gründen, die diese Abiturienten von einem Studium abhalten.


Die Moderatorin Dr. Petra Thorbrietz, Wissenschaftsjournalistin


Katja Urbatsch
Ausgebremst - Warum das Recht auf Bildung nicht für alle gilt
Heyne-Verlag, München 2011
Alle Menschen sind gleich. Aber manche sind gleicher
Gleiches Recht auf gleiche Bildungschancen? Weit gefehlt! An den Hochschulen studieren überwiegend Akademikerkinder. Diese soziale Schieflage beginnt bereits im Grundschulalter mit der Empfehlung der Lehrer für die richtige Schulform. Das zeigt: In den Köpfen muss sich etwas ändern. Denn nach wie vor ist die Überzeugung weit verbreitet, dass die Herkunft über unser Potenzial bestimmt. Die Autorin weiß, wovon sie spricht: Sie studierte selbst als erste in ihrer Familie. Anhand ihrer eigenen Erfahrung und zahlreicher anderer Biografien beschreibt sie die Bildungshürden, mit denen Kinder aus Familien ohne akademischen Hintergrund konfrontiert sind. Ein Buch mit gesellschaftlicher Sprengkraft!
Julia Friedrichs
Gestatten: Elite - Auf den Spuren der Mächtigen von morgen
Hoffmann und Campe, Hamburg 2008
Ein höchst aufschlussreicher Einblick in Deutschlands angesehendste Eliteschmieden
Julia Friedrichs ist fünfundzwanzig, als McKinsey ihr ein lukratives Job-Angebot macht: Sie soll künftig zur Elite des Landes gehören. Was man darunter versteht, erlebt sie beim Auswahltest im Edel-Assessment-Center und ist schockiert. Sie schlägt den Job aus und recherchiert stattdessen ein Jahr lang an angesehenen Eliteschmieden wo Menschen, die weniger als 70 Stunden pro Woche arbeiten, Minderleister heißen und Vierzehnjährige Karriereberatungen buchen.