Der Gottesdienst vor dem Heimspiel

Moderation: Kirsten Dietrich · 17.11.2012
Die erste Kirchenkapelle stand auf Schalke und im Berliner Olympia-Stadion werden Taufen abgehalten. Religiöse Zeremonien durchdringen immer mehr die raue Fußballwelt. Aber den Sport selbst als Religion zu bezeichnen? - "So weit würde ich nicht gehen", sagt Prälat Bernhard Felmberg.
Kirsten Dietrich: Der Fall schlug Wellen, spätestens nachdem "Spiegel Online" ihn publik gemacht hatte: Ein neunjähriger Junge, glühender Fan des aktuellen deutschen Fußballmeisters Borussia Dortmund, starb im Juli an Krebs. Auf seinen Grabstein wollten die Eltern einen Fußball setzen, dazu das Logo von Borussia Dortmund. Der zuständige katholische Friedhof sagte nein. Für den Friedhof seien christliche Symbole vorgeschrieben, und ein Fußball als zentrale Aussage gehöre nicht dazu. Was ist da in Dortmund passiert – einfach nur die Auseinandersetzung um vielleicht nicht mehr zeitgemäße Friedhofsregeln? Oder ein Konkurrenzkampf zwischen Sport und Religion darum, wer denn nun wirklich die Herzen der Menschen bewegt? Bernhard Felmberg ist der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland bei der Bundesregierung, er ist der Sportbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche, und er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass es im Berliner Olympiastadion seit der Fußballweltmeisterschaft 2006 eine Kapelle gibt. Ich habe vor dieser Sendung mit Bernhard Felmberg gesprochen und wollte wissen, ob er versteht, warum sich die Kirchengemeinde in Dortmund gegen den Grabstein mit Fußball gewehrt hat?

Bernhard Felmberg: Ich kann sehr gut verstehen, dass die katholische Gemeinde gegenüber dieser Grabgestaltung Bedenken hatte und deutlich hervorgestrichen hat, dass die christliche Symbolik quasi die Kultur ist, die auf einem katholischen Friedhof herrscht, damit sozusagen innerhalb der Symbolik zwischen Kreuz und Fußball nichts durcheinandergerät, wer Erlösungskraft hat und wer nicht.

Dietrich: Wie kann das überhaupt kommen, dass Eltern so einen Grabstein für ihr Kind wählen wollen?

Felmberg: Also ich kann das gut verstehen, dass Eltern hier auch ein Zeichen setzen für ihren Sohn, wenn das Kind glühender Fan von Dortmund war und hieran vielleicht sogar seine Freude gehabt hat vor allen Dingen und seinen Lebenswillen und seinen Lebensmut, immer wieder sozusagen einen Sonnenstrahl bekommen hat durch seinen Verein, dann verstehe ich, dass sozusagen dem Ausdruck verliehen werden soll. Aber man muss dies dann sozusagen in einem Friedhof angemessen tun. Ich glaube, da gibt es Möglichkeiten, aber man sollte das Kreuz nicht durch einen Ball ersetzen, das ist vielleicht dann auch zu kurz gegriffen. Und deshalb ist es gut, dass die Situation vor Ort auch bereinigt worden ist.

Dietrich: Es gibt jetzt ja einen Kompromiss, den haben die Gemeinde und die Eltern gefunden, dass der Grabstein des Jungen umgestaltet werden soll: Der Fußball, der rückt von der Spitze des Steines in den unteren Bereich, und wenn weiter oben, so heißt der Kompromiss, ein christliches Symbol dazukommt, also die Taube zum Beispiel als Zeichen für den heiligen Geist, dann darf auch das Logo von Borussia Dortmund dazu, und auch der Spruch "Echte Liebe" darf bleiben. Was ist das jetzt, der Triumph deutscher Kleingärtnerpedanterie auf dem Friedhof, oder ein gelungener Dialog der Religionen?

Felmberg: Ich glaube, das ist ein gelungener Dialog zwischen katholischer Kirche und einer Familie, die einen Sohn hat, der durch grausame Weise sehr früh ums Leben gekommen ist und der durch Krebs gestorben ist, es ist der Dialog zwischen dem Fußballanhänger und der christlichen Religion. Den Fußball selbst als Religion zu bezeichnen, so weit würde ich nicht gehen. Wichtig ist nur, dass deutlich wird: Wir haben eine gewisse Freiheit im Umgang miteinander, aber es muss deutlich sein, dass die Erlösungstat Christi, die durch das Kreuz symbolisiert wird, etwas anderes ist als das, was ich an Freude und auch Schmerz im Leben erfahre, und da ist das Kreuz weitergehender als der Fußball. Und von daher ist es gut, wenn das Kreuz oben steht, sozusagen als das Bekenntnis unseres Glaubens, und darunter darf sich subsumieren, was will, auch ein fröhlicher Fußball und auch das Zeichen des BVB und dass die Liebe zu diesem Verein ganz wichtig ist.

Dietrich: Ein anderes Beispiel: Schalke 04 weiht in diesen Tagen ein eigenes Gräberfeld ein. Das ist gestaltet wie ein Ministadion, und die Fans dürfen da Grabstätten kaufen für ihre Urnengräber, die dann im quasi Stadionrund gemeinsam mit anderen Schalkefans beerdigt werden.

Felmberg: Ich weiß nicht, ob Vereine, die so was quasi anregen oder einführen oder der Bitte der Fans nachgehen, sich einen Gefallen tun, weil sie letztlich quasi ihren Verein auf eine Dimension heben, wo der Verein selber sagen müsste: Da sind wir zurückhaltend. Jegliche Form von Ganzheitlichkeit und religiöser Dimension, die ein Vereinsleben annimmt, führt meines Erachtens in die Irre, und ich weiß, dass gerade auf Schalke, wo ja quasi das Thema Sport und Religion ganz dicht verhandelt werden, die christlichen Kirchen eine wichtige Rolle spielen. Wir hatten die erste Kapelle in Deutschland in einem Stadion auf Schalke. Dort wird regelmäßig Gottesdienst gefeiert. Ich weiß, dass sozusagen hier ein enges Miteinander geht. Und trotzdem finde ich den Weg, den wir zum Beispiel bei Hertha BSC eingeschlagen haben, bisher sehr vernünftig. Hier sagt die Vereinsführung ganz klar: Wir wollen keine religiöse Dimension – und das drückt sich nun mal in Gräbern aus. Da nimmt man quasi das mit in die Erde, was sozusagen einem auch helfen soll über den Tag des Sterbens hinaus. Das wollen wir nicht. Und von daher bin ich froh, dass hier die meisten Vereine Zurückhaltung üben, und dem Wunsch der Fans quasi auch ein bisschen hier nicht entgegenkommen.

Dietrich: Sie halten ja selber auch Gottesdienste ab in der Stadionkapelle bei Hertha, haben auch Trauungen da schon gemacht, Taufen. Was erwarten die Fans, wenn sie in so eine Stadionkapelle gehen?

Felmberg: Also es ist erstaunlich, dass wirklich jetzt seit 2006 wir intensives gottesdienstliches Leben in der Kapelle im Berliner Olympiastadion haben. Das gilt nicht nur für die Spiele, direkt die Heimspiele, und die Gottesdienste, die wir vor den Heimspielen machen, sondern es sind Taufen, Trauungen, es sind auch Trauerfeiern, die dort stattfinden, wir hatten sogar vereinzelt Konfirmationen, die angehängt waren an Konfirmandenunterricht im Internat von Hertha BSC. Also, es ist ein gottesdienstliches Leben, aber es ist eine klare Scheidung zwischen quasi der Verkündigung des Evangeliums, des dreieinigen Gottes, und dem, was, sagen wir mal, der Verein und der Fußball bietet. Na klar, wollen Herthafans auch in der Kapelle im Berliner Olympiastadion den kirchlichen Segen haben. Und wir als Pfarrer achten darauf, dass dieses sehr klar artikuliert wird, und in der Regel kommen die Leute zur Trauung oder zur Taufe nicht in Hertha-T-Shirts, und selbst, wenn einer mal kommt, ist das auch nicht so wild. Bei den Spieltagen ist natürlich klar, dass auch sozusagen das Textilbekenntnis zu dem eigenen Verein vorhanden ist, aber da wir Gottesdienste vor den Spielen feiern, auch mit sozusagen Fans der anderen Mannschaft, ist der Gottesdienst ein Raum und die Kapelle ein Raum, wo Menschen zusammenkommen, die im Stadion eher getrennt sind. Und das ist für mich die hauptsächliche Sinnhaftigkeit der christlichen Religionen, dass wir unter dem Kreuz Gottesdienst feiern und scheinbar Trennendes versöhnt nebeneinandersitzen kann. Das ist wunderbar und das leben wir hier in Berlin, das leben wir bei Hertha BSC.

Dietrich: Meinen Sie, das ist allen, die dort hinkommen, Ihr Angebot in Anspruch nehmen, so klar, diese Trennung, machen die das so klar? Oder ist das mehr, dass man sagt, na gut, dann nehmen wir das Kirchliche in Anspruch, aber es geht hauptsächlich doch um den Fußball, darum, mein Leben ganz dem Fußball zu widmen oder um den Fußball herum zu organisieren?

Felmberg: Also, ich erlebe die Menschen dort sehr reflektiert, und ich kenne viele Fans, die wirklich sagen, Fußball ist mein Leben, und damit meinen, die Liebe zu meinem Verein, das Mitreisen mit meinem Verein, das Schauen der Spiele ist mir sehr, sehr wichtig, die aber, wenn man sie genauer befragen würde, ob sozusagen von ihrer Liebe zum Verein eine Art Erlösungscharakter abzuleiten wäre, das klar verneinen. Ich glaube, wenn man an den Höhen und Tiefen seines Lebens ist, dann fragt man nach dem, was hält, und ob das dann quasi wirklich das Vereinssymbol ist, was einen im Leben und im Sterben in den Höhen und Tiefen hält, das wage ich zu bezweifeln. Und ich erlebe da eher Fans sehr reflektiert, auch wenn sie glühende Herthaner oder glühende Verehrer von Schalke sind.

Dietrich: Wie sieht das andersherum aus, wenn man die Sicht der Kirchen auf den Sport, speziell auf den Fußball betrachtet? Ist das nicht ein bisschen auch so, dass man da einen Faktor gefunden hat, eine Gruppe, eine Bewegung, an die man sich gerne ein bisschen anhängt, an der man teilnimmt, um dann dort sozusagen seine Angebote da auch noch in einem Rahmen zu bringen, den man mit dem normalen Gemeindeleben vielleicht gar nicht erreichen würde?

Felmberg: Also, wir haben ja die Verbindung zwischen Kirche und Sport jetzt seit über 50 Jahren. Das ist ein intensives Miteinander im Streit und im Gemeinsamen. Wir haben viele Christinnen und Christen, viele evangelische Christenmenschen, die Sport treiben. Die Kirche Jesu Christi ist immer dort, wo die Menschen sind. Das gilt nicht nur für Krankenhaus, das gilt nicht nur für die Gefängnisse, das gilt nicht nur für Spezialseelsorgen an den verschiedensten Orten unseres Landes, sondern wir haben gesehen, dass auch in Stadien eine Nachfrage ist. Und das ist ja das Interessante, dass wir Menschen begegnen, die dort zum Gottesdienst kommen wollen, Menschen, die wieder auch in die Kirche eintreten. Ich glaube, wir brauchen nicht das Halogenscheinwerferlicht des Fußballs als Kirche, um quasi einen Schattenwurf des Lichtes davon abzubekommen, aber wir brauchen die Nähe zu den Menschen. Und wenn wir Menschen erreichen können für den christlichen Glauben, die häufig im Stadion sind und selten vielleicht an der einen oder anderen Stelle in die Kirche gehen, dann ist es gut, wenn wir da sind. Denn meine Erfahrung ist, dass zu den Andachten in der Kapelle im Berliner Olympiastadion viele junge Männer kommen, die normalerweise im Gottesdienst eher unterrepräsentiert sind und dort vorhanden sind, und die sich über den Glauben mit mir unterhalten und auch dem Glauben wieder näherkommen und ihrer Kirche auch. Von daher ist es gut, dass wir da sind, wir wollen da sein, wo die Menschen sind.

Dietrich: Das Verhältnis von Sport und Religion, im Fußballstadion und auf dem Friedhof – Prälat Bernhard Felmberg war das, Sportbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und Beauftragter der Kirchen bei der Bundesregierung.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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