Der Gijur ist nicht leicht

Von Gerhard Haase-Hindenberg · 03.08.2013
Ein Nicht-Jude, der konvertieren will, hat es nicht leicht. Denn Jude ist eigentlich nur der, dessen Mutter Jüdin war. Neulinge müssen eine komplizierte Prozedur auf sich nehmen. Trotzdem gibt es in Deutschland seit einigen Jahren einen Trend zum Judentum.
Rabbi Tovia Ben-Chorin: "Die autoritative erste aramäische Übersetzung der Torah wurde von einem Konvertiten gemacht - von Aquila Hagel. Und da wird betont, dass es ein Konvertit war, was man eigentlich ... das darf man nicht. Im Moment, wo einer Jude ist, ist er Jude - aber man wollte zeigen, dass hier wir jemand haben, der Autorität geworden ist im Judentum, grad als ein Konvertit. Und wir hatten mehrere solche Beispiele!"

Rabbi Yehuda Ehrenberg: "Es gab in der jüdischen Geschichte große Prominente. Rabbi Akiva kam von so einer Familie, Rabbi Meir ... Und wir haben Ruth, die übergetreten ist, und von Ruth kommt König David ... "

Obgleich für die genannten Biografien nur wenig historisch gesicherte Fakten vorliegen, ist die Bedeutung von Konvertiten in der wechselhaften Geschichte des Judentums also unstrittig zwischen Tovia Ben-Chorin - dem liberalen Rabbiner - und seinem orthodoxen Kollegen Yehuda Ehrenberg. Doch schon bei der Frage, wer eigentlich Jude ist, gehen deren Meinungen auseinander. Dies betrifft natürlich nicht die Kinder einer jüdischen Mutter, die halachisch - also nach dem religiösen Gesetz - eindeutig jüdisch sind. Was aber ist mit den Kindern, bei denen nur der väterliche Elternteil jüdisch ist?

Ben-Chorin: "Wenn der Vater ein Jude ist und die Mutter keine Jüdin ist und er ist in einer jüdischen Welt groß geworden, dann sage ich ihm: "Wissen Sie, für Sie ist das keine Konvertierung, sondern es ist etwas zu bescheinigen, das Sie eigentlich schon sind." Weil biblisch geht die Identität nach dem Vater, und erst zur Zeit des zweiten Tempels ging es nach der Mutter ."

Ehrenberg: "Diese Behauptung, dass es in einer bestimmten Zeit man hat nach Vater gegangen und danach nach Mutter, ist total falsch. Wir glauben, dass diese Torah was wir haben, ist an Berg Sinai gegeben an Moses und seit 3.300 Jahren, man hat immer nach Mutter gegangen."

Die Erfahrungen mit Rabbinern sind unterschiedlich
L'cha dodi - mit diesem Text begrüßen Menschen in allen Synagogen der Welt am Freitagabend die "Königin Shabbat". Doch die Gemeinden, die sich in Richtung der untergehenden Sonne verneigen, bestehen nicht nur aus Betern, die familiäre Wurzeln im Judentum haben, denn seit Jahren klopfen in Deutschland zunehmend Menschen an die Türen der Rabbiner, bei denen dies nicht der Fall ist:

Ehrenberg: "Wenn jemand kommt zu mir und er äußert: "Ich möchte gern zum Judentum übertreten!" - natürlich die Frage ist: Warum?"

Ben-Chorin: "Meine erste Reaktion ist: "Bleiben Sie, wo Sie sind! Wir sind eine Minorität, wir haben genug Probleme, uns selbst zu halten."

Die Erfahrungen, die die Bewerber mit den einzelnen Rabbinern machen, sind also durchaus unterschiedlich, wie es auch Pia die Philosophiestudentin und André der Feuerwehrmann erfahren mussten.

André: "Man wird mehrfach abgelehnt. Also es ist nicht so, dass man Jubel schreiend umarmt wird und sagt: "Wir freuen uns über jeden, der kommen möchte."

Pia: "Ich war in der Synagoge, wo ich zuerst war, unzufrieden. Ich bin dann zu einer anderen Synagoge gegangen, zu Herrn Tovia Ben Chorin, der hat mich dreimal weggeschickt."

Ehrenberg: "Ich weiß, dass viele Leute sagen: "Muss man drei Mal ... !" Das steht nirgendwo geschrieben. Wenn man hat festgestellt, dass es ernst ist, man soll nicht verzögern."

Ben-Chorin: "Nachdem wir in einer modernen Welt heute leben, und ich glaube, dass ich als Rabbiner nicht die Weisheit für mich alleine habe, arbeite ich mit einem Psychologen zusammen, weil der Betreffende, der zu mir kommt, mit einem Psychologen ganz anders spricht, als mit mir."

Ehrenberg: "Man muss nur prüfen, ob die Absicht ist gut, weil gibt es natürlich verschiedene Motive."

Und die Motive der Konvertiten sind keineswegs immer im Sinne des orthodoxen Judentums ...

Pia: "Ich hab am Anfang meines Weges amerikanische Einführungsliteratur in das Judentum gelesen, die vor allem die drei wichtigsten Strömungen wiedergeben, und es ist für mich sehr wichtig, dass Frauen auch als Rabbinerinnen, Vorbeterinnen, Kantorinnen, die gleichen Rollen inne haben können wie Männer."

Ehrenberg: "Ich hab Probleme mit Rabbinerinnen, die Kippa tragen. Ich glaube, Kippa ist ein männliches Kleid, ja. Sie kann doch eine Perücke tragen. Ich werde sagen so: Wir leben heute in einer Welt von Feminismus, dass die Frauen haben einen riesigen großen Freiraum, aber für mich ist sehr sehr schwer zu akzeptieren - Rabbinerin für die Gemeinde. Es entspricht nicht der Orthodoxie."

Ein Gottesdienst in der Synagoge in der Berliner Pestalozzistraße
Mit L'cha dodi begrüßen Juden in allen Synagogen der Welt die "Königin Shabbat".© picture alliance / dpa / Mittenzwei Karl
Identifikation mit einer Schicksalsgemeinschaft
Bei der Bewertung durch den liberalen Rabbiner spielen religiöse Dogmen eine weitaus geringere Rolle.

Ben-Chorin: "Zum Judentum überzutreten ist nicht eine streng religiöse theologische Position, sondern es ist erstmal eine Identifikation mit einer Schicksalsgemeinschaft, die in den 3000 Jahren - Auszug aus Ägypten - oder 4000 Jahren - angefangen mit Abraham - den Dialog geführt hat mit dem Schöpfer und durch diesen Dialog eine jüdische Lebensform und Denkform und Form von Verantwortung und Unabhängigkeit, die an die Gruppe stellt, entwickelt hat. Also es ist nicht genug, dass ich sage: "Ich glaube an alle diese Dogmen!" Man muss auch sehen, ob sich so ein Mensch auch integrieren kann."

Genau auf diese "streng religiöse theologische Position" aber, die Rabbiner Ben-Chorin nicht als vorrangig für eine Konvertierung bezeichnet, legt sein orthodoxer Amtsbruder großen Wert. Begründet ein angehender Konvertit seinen Schritt gar mit der Heilserwartung in jener kommenden Welt, die im Judentum "Ha'olam Haba" genannt wird, wird er geradezu gegenteilige Reaktionen auslösen.

Ben-Chorin: "Sie versuchen schon, sichere Papiere zu kaufen. Ich weiß nicht, ob es da auch einen Bankrott gibt in der kommenden Welt mit den Wertpapieren. Aber Sie sprechen hier in einer theologischen Form, wo ich für Sie der falsche Partner bin."

Ehrenberg: "Wenn er sagt, wegen Ha'olam Haba? Bitteschön, das bedeutet, dass der Mensch gläubig ist, dass er glaubt an die Torah. Ha'olam Haba müssen wir sagen - wenn du wirst nach dem Weg von der Torah leben, bekommst du Ha'olam Haba."

In der Regel aber wird ohnehin nicht beim ersten Besuch die Entscheidung getroffen, ob der Kandidat geeignet ist, ins Judentum aufgenommen zu werden.

Ben-Chorin: "Da ist ein Kurs von einem Jahr, und im Lauf des Kurses sehen wir, wie sie sich entwickeln. Wir haben da einen Lehrer. Ich treffe mich auch mit den Leuten von Zeit zu Zeit, und wenn sie dann fertig sind ... ein Gespräch mit mir, dann kenne ich auch schon die Leute. Dann kommen sie vor drei Rabbiner. Von der allgemeinen Rabbinerkonferenz haben wir unseren Beth Din - unser Gericht. Dann ist das Interview, und wenn sie es bestanden haben - die Männer erst Beschneidung und dann in die Mikwe zu gehen, also das rituelle Bad. Und die Frauen sofort ins rituelle Bad. Das ist so der Prozess."

Ein kleiner Junge, mit der traditionellen Kopfbedeckung "Kippa", aufgenommen auf dem Chanukka-Fest der Jüdischen Gemeinde von Frankfurt (Oder)
Ein kleiner Junge, mit der traditionellen Kopfbedeckung "Kippa"© picture alliance / dpa / Patrick Pleul
Unterschiede zwischen liberalen und orthodoxen Gemeinden
Doch wer sich nach dem Gijur - der Anerkennung durch ein Rabbinatsgericht - schon als Teil des Volkes Israel wähnt, muss beim Besuch in orthodoxen Gemeinden feststellen, dass der Richterspruch liberaler Rabbiner dort keineswegs auf Zustimmung stößt.

Ehrenberg: "Liberale Rabbiner akzeptieren? Respektieren ja, akzeptieren ist zu viel. Es ist bekannt, dass die Orthodoxie akzeptiert die Übertritte von den Liberalen nicht. Warum? Weil der Kandidat ins Judentum - er muss das authentische Judentum vertreten. Also: Es müssen drei Rabbiner sein, die Shabbat und alle Gesetze der Tora praktizieren. Aber wenn ein Rabbiner selbst kein Shomer Shabbat ist, oder nicht koscher oder anderes - in unseren Augen, er hat keine Vollmacht!"

In einem aber sind sich der orthodoxe Rabbiner und sein liberaler Kollege einig: Die Konversion junger Menschen kann zum Problem werden, wenn der Lebenspartner noch nicht gefunden ist - und die Konvertiten sind sich dessen durchaus bewusst:

Pia: "Für mich ist bei der Partnerwahl im gewissen Grad 'ne Selbstverständlichkeit, dass zum Konvertieren dazu gehört, dass ich eine jüdische Familie gründen möchte."

André: "Zu dem Zeitpunkt als ich den Gijur gemacht habe, hatte ich keine Beziehung und habe jetzt eine Freundin, die nicht jüdisch ist, und es wäre schon ein Problem für mich, wenn wir noch Kinder haben wollen und sie nicht übertreten wollen würde."

Ehrenberg: "Ist natürlich ein Problem, weil in diesem Fall bedeutet, wenn sie hat die Absicht, mit ihm weiter zu leben, ist ein Verstoß gegen die Tora. Und in diesem Fall, wir lehnen das natürlich ab."

Ben-Chorin: "Besonders wenn es zu den Hohen Feiertagen kommt, dann sagt der nicht-jüdische Partner: "Ach, Rosh ha-Shana musst du zwei Tage in die Synagoge gehen, zehn Tage drauf isst du plötzlich 24 ... 25 Stunden nicht, vier Tage danach habt ihr dann Laubhüttenfest. Dann musst du wieder in die Synagoge. Ah, wenn du noch in eine orthodoxe Synagoge gehst, da haben sie immer zwei Tage für jeden Feiertag. Man kann nichts mit dir planen!"

Doch selbstbewusst versteht Rabbiner Ben-Chorin zumindest das von ihm repräsentierte liberale Judentum als eine moderne, weltoffene Religion, und vielleicht liegt darin das Geheimnis, weshalb die Synagogen auch Zulauf aus dem Kreis der nicht-jüdischen Bevölkerung haben.

Ben-Chorin: "Ich glaube, das Judentum kann sehr attraktiv sein, weil es dialektisch ist, weil man nicht an eine bestimmte Gestalt glauben muss, um Antwort zu finden zu existenziellen Fragen, weil man nicht durch Sünde geboren wird, weil Körper und Geist eine Einheit ist - nicht Körper die Quelle der Sünden und der Geist das Reine. Sex wird nicht als Sünde dargestellt - Sie haben das "Hohe Lied", auch wenn es allegorisch dargestellt wird. Unabhängigkeit ist Verantwortung, die von der Gruppe getragen wird. Also, das ist attraktiv für eine Welt wie heute, die neue Götzen hat, und da, glaub ich, haben wir was der Welt zu schenken."
Chanukka-Leuchter
Toleriert der nicht-jüdische Partner Aktivitäten zu jüdischen Feiertagen?© chrisandre_pixelio.de
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