Der Geschichte auf der Spur

16.07.2009
In dem historischen Kriminalroman "Pest in Breslau" von Marek Krajewski wird ein Oberwachtmeister mit einer Reihe brutaler Morde in Verbindung gebracht. Im Breslau der 20er-Jahre übt er Selbstjustiz und macht mit Hehlern und Zuhältern gemeinsame Sache.
Wie historische Romane so liegen auch Krimis, die in der Vergangenheit spielen, voll im Trend. Egal ob sie am Hof Friedrichs II. spielen, auf den Straßen des viktorianischen Londons oder in den Verliesen des zaristischen Russland - allen gemeinsam ist die Spekulation auf ein Leserinteresse, das den Thrill ebenso sucht wie das Abtauchen in exotisch-historische Räume. Dass man sich dabei auch noch weiterbildet, weil man allerlei erfährt über Tischsitten im alten Rom oder Sexualpraktiken in der Steinzeit, ist ein Nebeneffekt dieses Genres.

Auch die vier historischen Kriminalromane des polnischen Autors Marek Krajewski, die allesamt im damals deutschen Breslau der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts angesiedelt sind, setzen auf dieses Rezept. Eigentlich wollte Krajewski, Altphilologe und Universitätsdozent, es damit bewenden lassen. Nun hat er mit "Pest in Breslau", das die Stadt in den Inflationswirren um 1923 zeigt, doch noch mal nachgelegt. Es hat sich gelohnt.

Wie in den Romanen davor steht auch hier der Oberwachtmeister Eberhard Mock im Zentrum des Geschehens. Ein einsamer Wolf, um die 40, der raucht, viel zu viel trinkt und alles andere ist als eine sympathische Figur. Außer seinem Hang zur Literatur der Antike, was Krajewski die Möglichkeit gibt, Zitate von Homer, Plautus oder Seneca einzustreuen, verfügt er über eine Reihe denkbar schlechter Charakterzüge. Korrupt, jähzornig und brutal, lässt er sich schon mal bestechen und macht gemeinsame Sache mit Hehlern und Zuhältern. Gewalttätige Verhörmethoden scheut er ebenso wenig wie zweifelhafte sexuelle Praktiken. Um zu einem schnellen Ermittlungserfolg zu kommen, greift er immer wieder zur Selbstjustiz und er ist hoffnungslos sentimental, wenn es um seine eigenen Gefühle geht.

Der Plot ist simpel. Eine Reihe brutaler Morde erschüttern das Breslau der Krisenzeit. Gemeinsamkeiten weisen die Todesarten nicht auf. Da die Opfer aber durchweg Prostituierte, Zuhälter und Obdachlose sind, erhärtet sich nach und nach der Verdacht, es handele sich um eine finstere "Säuberungsaktion" im Asozialenmilieu. Drahtzieher: eine obskure Bruderschaft. Außerdem findet man an jedem Tatort Spuren, die auf Mock als Täter verweisen. Je mehr der sich dagegen zu wehren versucht, desto unentrinnbarer verstrickt er sich in ein Netz aus Intrigen und dunklen Machenschaften.

Mit Sinn für das plastische Detail, geradezu mit der Akribie eines Archäologen und viel Fantasie führt Krajewski durch eine versunkene Stadt, durch Bordelle und Spelunken, an die Stammtische der Stützen der Gesellschaft, wo Moral gepredigt und Unrecht vorbereitet wird. Es ist eine schäbige, schmutzige, stinkende Welt - nichts für verklärende, rückwärtsgewandte Romantiker. Man spürt förmlich das Virus des heraufziehenden Nazismus, das in die Gesellschaft einfällt und alle Werte vernichtet. Dass Mock, der böse Polizist, ein genaues Spiegelbild dieser Verkommenheit ist, macht ihn nicht besser. Indem er im neuen Roman aber zum Spielball undurchschaubarer Mächte wird, gewinnt der Gerechtigkeitssinn die Oberhand. Es ist so, als hätte dieser Anti-Ritter in vier Romanen so viele (moralische) Schulden angesammelt, dass ihm sein Erfinder endlich mal einen Denkzettel verpassen musste. Eine gehörige Portion Katharsis also, Läuterung, wie es bei den griechischen Ahnherren heißt. Und die gehörte immer schon zu einem richtigen Helden.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Marek Krajewski: Pest in Breslau
Aus dem Polnischen übersetzt von Paulina Schulz
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009
276 Seiten, 14,90 Euro