"Der Geist von van Gogh"

Von Kerstin Schweighöfel · 24.11.2006
Dass van Gogh die Arbeiten der Expressionisten stark beeinflusst hat, ist hinlänglich bekannt. Wie stark diese Inspiration jedoch gewesen sein muss, zeigt die Ausstellung "Vincent van Gogh and Expressionism" in Amsterdam, bei der rund 100 Werke deutscher und österreichischer Expressionisten mit van Gogh-Gemälden konfrontiert werden.
Alexander Pechstein, der Enkel des berühmten deutschen Brücke-Malers Max Pechstein, im Gespräch mit der britischen Kunsthistorikerin Jill Lloyd. Sie ist die Kuratorin der Ausstellung "Van Gogh und der Expressionismus" – und der Pechstein-Erbe hat es sich nicht nehmen lassen, zur Eröffnung nach Amsterdam zu reisen. Denn zu den vielen Künstlern, die in den Bann von Vincent van Gogh gerieten, gehörte auch sein Großvater.

"Ja, also diese Ausstellung hat für mich einen ganz besonderen Charakter. Üblicherweise sind Kunstausstellungen bezugnehmend zu einem Maler zu seinem Werk. Hier haben wir eine Ausstellung, wo die Inspiration, die von van Gogh ausgegangen ist und die Künstler der Brücke doch sehr beeinflusst hat, steht hier im Mittelpunkt."

"Van Gogh", so pflegte Max Pechstein zu sagen. "ist der Vater von uns allen." Damit meinte er nicht nur die "Brücke"-Mitglieder in Dresden, sondern eine ganze Generation. Denn auch der Blaue Reiter in München gehörte dazu, erklärt Kuratorin Jill Lloyd. Und Wiener Expressionisten wie Oskar Kokoschka und Egon Schiele:

"Schiele hat sich sehr stark mit van Gogh identifiziert in seinen Briefen und Tagebüchern. Er hat gedacht, ich bin geboren im selben Jahr wie van Gogh gestorben ist. Es ist fast eine Reinkarnation von van Gogh."

Insgesamt sind 100 Arbeiten zu sehen, bei denen die Werke deutscher und österreichischer Expressionisten direkt mit van Gogh-Gemälden konfrontiert werden. Darin liegt die Stärke der Ausstellung. Denn die Tatsache, dass der niederländische Maler die Expressionisten beeinflusst hat, ist altbekannt. Erst in der direkten Konfrontation allerdings offenbart sich, wie verblüffend stark diese Inspiration war: Das Selbstporträt von Ernst Ludwig Kirchner mit Pfeife zum Beispiel geht direkt auf ein Selbstporträt von van Gogh mit Strohhut zurück, auf dem auch der Niederländer eine Pfeife im Mund hat. Die "weißen Baumstämme" von Emil Nolde tanzen genauso wie die schlanken Olivenbäume seines niederländischen Vorbildes. Und erst wenn Kandinskys "Straße in Murnau" neben dem "Gelben Haus in Arles" von van Gogh hängt, sieht man, wie sehr der Deutsche beim Malen das Bild des Niederländers vor Augen gehabt haben muss.

"Was wir zeigen wollten, ist die Reinterpretation von van Gogh, also, es ist überhaupt keine Frage von Kopie, es ist nicht immer eine sehr direkte Beziehung. Aber was wir zeigen wollten, ist der Geist von van Gogh, der in seinen Bildern zu sehen ist, das hat die jungen expressionistischen Maler sehr beeindruckt, und sie haben das auf ihre eigene Weise reinterpretiert."

Die Brücke-Maler sprach dabei vor allem van Goghs vitale Vision der Natur an, seine spontane Art des Malens. Die Künstler des Blauen Reiters reizte die Symbolik der Farbe und die Möglichkeit, so wie ihr Vorbild durch Farbkontraste emotionale Effekte zu erzielen. Die Wiener Expressionisten wiederum waren vor allem fasziniert von der psychologischen Innerlichkeit der Porträts des Niederländers.

"Also, es hängt ganz davon ab, was für ein Interesse die Künstler gehabt haben, und sie haben ganz verschiedene Sachen in van Gogh entdeckt."

Vertraut wurden die Expressionisten mit dem Werk des Niederländers durch zahlreiche Ausstellungen in Dresden, München und Wien. Nach dem Tod von Vincent van Gogh 1890 hatten Sammler und Museumsdirektoren in Deutschland und Österreich schnell angefangen, Werke des Künstlers anzukaufen. Schon 1914 befanden sich 164 van Gogh-Arbeiten in deutschen und österreichischen Sammlungen. Der Kunstkritiker Julius Meier-Gräfe sorgte mit einer ersten Biographie dafür, dass der Künstler zum Mythos wurde. Und bereits 1906 erschien eine erste Ausgabe von Briefen van Goghs auf Deutsch:

"Und ich glaube, das war sehr wichtig, weil mit diesen Briefen spricht van Gogh ganz, ganz direkt an den Leser, ich glaube, die Identifizierung mit van Gogh, die man in der expressionistischen Malerei sieht, ist teilweise durch diese Begegnung, durch die Briefe."

Zu den Überraschungen auf der Ausstellung zählt ein wiederentdecktes Gemälde mit Sonnenblumen von Egon Schiele, das bei einem Privatsammler in Paris aufgetaucht war und im letzten Sommer versteigert wurde. Es ist ein sehr anschauliches Beispiel dafür, wie die Expressionisten van Gogh neu interpretierten: Denn Schieles Sonnenblumen sind verwelkt, sie sind tot – sein Bild ist schwermütig in dunklen braunen Farben gehalten und strahlt damit eine ganz andere Stimmung aus als die Sonnenblumen des großen Vorbildes.

Zu den Höhepunkten der Ausstellung zählt zweifellos auch "Lotte", die "junge Frau mit rotem Fächer" von Max Pechstein. Rechts und links von ihr hängen zwei van Gogh-Gemälde: die "Italienerin" und der "Zoave", ein Mann in südlicher Kleidertracht. Von beiden hat sich Pechstein inspirieren lassen - bei der Komposition diente die Italienerin als Vorbild und bei den Farben der Zoave: So trägt Lotte ein grünes Tuch vor einem roten Hintergrund, und der Zoave eine rote Kopfbedeckung vor einem grünen Hintergrund:

"Er hat eine Erinnerung von zwei van Gogh-Bildern, die er damals gesehen hat. Oft, sie waren oft in den frühen Ausstellungen gezeigt worden, und er hat diese Erinnerung von zwei van Gogh-Bildern irgendwie zusammengebracht in seiner eigenen Malerei."

Der Enkel des Künstlers Alexander Pechstein hat sich dieses Bild ganz besonders intensiv angeschaut – für ihn ist es unumstritten der Höhepunkt der Ausstellung:

"Mit dem roten Fächer, die junge Frau mit dem roten Fächer, das ist meine Großmutter Lotte."