Der Fürst-Pückler-Park an der deutsch-polnischen Grenze

Wiedergeburt eines Parks

45:11 Minuten
Neues Schloss im Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.
Neues Schloss im Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau. © imago/Rainer Weisflog
Von Margarete Wohlan  · 21.07.2019
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"Ich bin der Gärtner von Muskau", sagte Fürst Pückler: In der Lausitz schuf er einen Park so groß wie 830 Fußballfelder. Zu Ostzeiten geriet sein beeindruckendes Landschaftskunstwerk in Vergessenheit. Doch der verwilderte Park erlebte ein Comeback.
Morgens um acht im Fürst-Pückler-Park an der deutsch-polnischen Grenze in Bad Muskau: Die Gärtner sind schon zu Gange, ansonsten relativ ruhig, das Schloss in Sichtnähe, die Wiesen, die Bäume, die Teiche, die kleinen Bäche, Idylle pur. Kaum zu glauben, als er angelegt wurde, 1815, da gab es Polen nicht. Es war aufgeteilt zwischen Preußen, Russland und Österreich-Ungarn. Und heute sind zwei Drittel dieses Park-Geländes auf dem polnischen Gebiet.
Ich möchte herausfinden, wie es damals war und wie es heute ist, Menschen treffen, die mir davon erzählen können, die brennen für diesen Park, die ihn lieben, die ihn manchmal auch hassen, und möchte erfahren, was das für ein Mensch war, dieser Fürst Pückler, und so vielleicht auch ein bisschen das gemeinsame deutsch-polnische Erbe feiern.

Der Landschaftsarchitekt als Visionär

An diesem Morgen führt Astrid Roscher eine Reisegruppe durch den Fürst-Pückler-Park. Vögel zwitschern während sie den Besuchern die Geschichte des Parks erzählt:
"Das ist 'ne Pücklersche Sicht, eine ganz klassische Aussicht in den Landschaftsgarten, nicht wie zum Beispiel in Wörlitz – in 'nem frühen Landschaftsgarten, das immer auf ein Gebäude oder eine Staffage ausgerichtet ist –, sondern es ist wie in einem Theater: Man hat eine Bühne, das ist die Wiese, und die Kulissen sind die Bäume sozusagen, die von links und rechts mal mehr, mal weniger hineinragen. Und dadurch hat man eine ganz tolle Tiefe und Spannung, ohne dass es ein Gebäude braucht.
Mit diesen Sätzen zieht Astrid Roscher ihre etwa 30 Zuhörer in den Bann – und schafft es, ganz nebenbei, aus dem "Landschaftsarchitekten" Pückler auch einen Theaterregisseur und Visionär zu machen.
Hermann Fürst von Pückler-Muskau abgebildet auf einem Stahlstich von Jaquemot (um 1840).
Hermann Fürst von Pückler-Muskau war ein Dandy und Vorreiter der deutschen Landschaftsarchitektur - hier in einem Stahlstich um 1840.© dpa / picture-alliance
Und die Mitarbeiterin der Pückler-Stiftung hat Recht: Fürst Hermann von Pückler-Muskau ist nicht nur der Begründer der modernen Landschaftsgestaltung, er hat auch trotz ewiger Geldnöte und politischer Umwälzungen hier einen genialen Park angelegt, mit "Salons unter freiem Himmel" und fantasievollen Sitzgelegenheiten, mit Schloss, Orangerie, Gärtnereien, Bächen und Brücken.
Und all das hat knapp 200 Jahre später die UNESCO dazu bewogen, diesen Park zum Weltkulturerbe zu erklären. Das Besondere: Er ist eine der wenigen staatenübergreifenden Welterbestätten.
Ich bin zum ersten Mal hier und von der Größe des Parks überwältigt: 830 Fußballfelder groß. Eine Neißelandschaft, die in die Fläche geht: Flussterrassen; Sichtachsen, die Pückler so wichtig waren; Hügel, besonders auf der polnischen Seite des Parks, die – wenn man sie hochgestiegen ist – einem das Gefühl geben, mitten in einem alten Wald zu sein. All das ist Pückler, von dem Heinrich Heine einst sagte, er sei der "fashionabelste aller Sonderlinge".


Heute spazieren hier polnische und deutsche Familien mit ihren Kindern, Touristengruppen aus der ganzen Welt besuchen Park und Schloss, Deutsche und Polen versuchen gemeinsam, diesen Spätbarock anmutenden Park lebendig zu halten. Was Pückler, der erste Besitzer dieses Parks, wohl dazu gesagt hätte?
Kolorierte Lithographie des Fürst-Pückler-Parks in Muskau nach Zeichnung vonWilhelm Schirmer (1834).
Kolorierte Lithographie des Fürst-Pückler-Parks in Muskau nach Zeichnung von Wilhelm Schirmer (1834).© dpa / picture-alliance / akg-images
Die deutsche Schriftstellerin Ludmilla Assing schrieb 1873/74 die folgende Geschichte über Pückler auf:
"Einmal ließ der Prinz von Preußen an den Gärtner von Muskau schreiben, wenn derselbe einige Tage abkommen könnte, um wegen Anlagen auf dem Babelsberge guten Rat zu geben. Der Gärtner kam, ließ sich anmelden, wurde hereingerufen, und siehe da! Es war der Fürst selbst, der mit Recht versichern konnte: 'Ich bin der Gärtner von Muskau!'"
Luftaufnahme des Fürst-Pückler-Parks und dem Schloss Bad Muskau. 
Luftaufnahme des Fürst-Pückler-Parks und dem Schloss Bad Muskau. Die Parklandschaft gehört seit 2004 zum UNESCO-Welterbe. © imago stock&people
Brigitte Haraszin, von Beruf Fernmeldetechnikerin, hat sich schon immer für den Park und dessen Geschichte interessiert. Aber erst seitdem sie Rentnerin ist, hat sie sich ganz und gar ihrem Hobby verschrieben. Ich treffe sie im Pavillon "Gloriette".
"Das ist ein wunderschöner Ort. Das ist wie so ein Rundblick in den Park hinein, man sitzt etwas erhöht, hat das Schloss vor Augen, die wunderschöne Tränenwiese, die Pückler eigentlich umbenennen wollte in Schnucken Tal. Aber das haben die Muskauer nicht angenommen, die heißt nach wie vor Tränenwiese."
Brigitte Haraszin schwärmt von dem Park. Pückler habe hier in der Muskauer Heide so etwas wie eine Oase geschaffen:
" Wenn Sie hierher reisen, kommen Sie ja kilometerweit durch Kiefernheide, was ja von der Eiszeit geprägt ist, also Kiefern sind am liebsten auf Sandboden zuhause, und hier ist wirklich überall Sand und Heide, Heidekraut, Blaubeerkraut und so was, eigentlich der schlechteste Boden. Hier wächst also nicht viel, wenn kein Regen kommt. Und der ist bei uns auch recht selten. Und er hat sich wirklich die Mühe gemacht, hier diese Muskauer Heide zu einer Oase zu machen."

Andere Adelige führten Pücklers Erbe fort

Ob Pückler sich vorstellen konnte, welchen Verlauf sein Park in den folgenden 150 Jahren nehmen wird? Immerhin kannte er die Lausitzer Enge und floh oft aus ihr, bis hin in den Orient.
Als er jedenfalls 1871 starb, gehörte der Muskauer Park bereits seit 25 Jahren einem anderen – dem Prinzen Friedrich der Niederlande, und danach den Grafen von Arnim. Sie alle führten die Ideen von Pückler fort, der eine unauffällig gebändigte Natur erschaffen hatte, setzten aber auch eigene Akzente und schufen so ein homogenes Landschaftskunstwerk, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein jähes Ende fand. Die neue deutsch-polnische Staatsgrenze machte die Neiße – zuvor ein Bindeglied zwischen den beiden Parkteilen – zur unüberwindbaren Trennlinie.
Brigitte Haraszin erinnert sich:
"Ich bin ja auf der anderen Seite von der Neiße geboren, eigentlich auf dem Polenmarkt, den es damals noch nicht gab, dort befand sich unser Haus. Wir konnten es aber nicht mehr sehen, weil ungefähr 300 Meter von der Neiße alle Häuser weggerissen wurden, wegen der Bewachung von den Polen. Und unser Haus war nimmer da – und meine Mutter, die hat immer bloß gezeigt, dort ungefähr war das."
Zwei Boote fahren auf der Neiße durch den Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.
Bootstouren auf der Neiße durch den Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.© dpa / picture-alliance / Klaus Nowottnick
Über die Neiße spann sich eine Brücke, erinnert sich Brigitte Haraszin. In Sichtweite badeten damals polnische Kinder.
"Wir hatten auch versucht, mit Kindern, die in der Neiße badeten, Kontakt aufzunehmen. Die Brücke in der Mitte, die war schon wieder aufgebaut. Und wir durften als Muskauer bis zur Mitte links von der Brücke baden, und die polnischen Kinder durften rechts von der Brücke bis zur Mitte baden – also kein Kontakt. Ja, nicht einmal zueinander schwimmen!"

Der Ostteil des Parks glich einem Dschungel

Wir werden während der Deutschlandrundfahrt immer wieder über die mehr als 40 Jahre Trennung zwischen dem östlichen und westlichen Teil des Muskauer-Parks, wie es Pückler nannte, erfahren – an dieser Stelle aber soll die Park-Enthusiastin Brigitte Haraszin das vorerst letzte Wort haben:
"Wenn wir miteinander gut auskommen, dann gefällt mir das. Und parkmäßig bin ich froh, dass der Park wieder Substanz hat. Denn der Park war ja ohne die polnische Seite – ohne den Ost-Park – wie ein Torso, also diese Sichtbeziehungen fehlten. Man kann ja jetzt so rüber gucken, bis in den polnischen Park rein, vorher war das eine Wildnis. War das ein Dschungel. Wir durften ja im kleinen Grenzverkehr 1972 zum ersten Mal dort rüber, und da haben wir keinen Weg, keinen Steg gesehen, das war alles zugewachsen. In diesen ganzen Kriegsjahren und danach hatte der Urwald soviel Zeit heranzuwachsen, dass keine Fasson mehr da war. Und das, was man jetzt sieht, das ist ja schon wieder erlebbare Kulturlandschaft."
Zwei Brücken im Park überqueren die Neiße und verbinden so den deutschen und polnischen Teil miteinander, der nur im Volksmund Fürst-Pückler-Park heißt. Korrekt ist: "Muskauer Park" auf Deutsch und "Park Muzakowski" auf Polnisch.
Eine der beiden Brücken heißt "Doppelbrücke". Barbara Iwlew hat sie als Treffpunkt vorgeschlagen. Sie ist Direktorin des polnischen Parkteils, und natürlich frage ich sie als erstes, warum die Brücke so heißt wie sie heißt.
"Weil sie tatsächlich zweigeteilt ist: Der erste Teil der Brücke verbindet das deutsche Ufer mit der kleinen Insel in der Mitte der Neiße, die 'Jeannette' heißt. Und der zweite Teil verbindet die Insel mit dem polnischen Ufer. Also heißt sie 'Doppelbrücke'."
Dass Pücklers Beziehung zur Damenwelt eine innige war, zeigen viele Stationen im Park, nicht nur die Insel Jeannette, sondern auch zum Beispiel der Freda-Blick oder der Helminen-Weg.
Blick auf Bäume und eine Wiese im Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.
Der Fürst-Pückler-Park im sächsischen Bad Muskau. Der Park wird durch die Neisse in zwei Hälften geteilt. 300 ha liegen auf der deutschen Seite bei Bad Muskau, 700 ha auf der polnischen Seite bei Leknica. © Arco Images GmbH
Auch an diesem Spätsommertag kämpfen die polnischen Gärtner wie so oft gegen die Hitze. Ein Traktor, der einen Riesen-Tank mit Wasser hinter sich zieht, wässert unweit von uns Bäume und Sträucher. Insgesamt sind elf Mitarbeiter im Park angestellt, erklärt Barbara Iwlew.
"Wir haben hier ein riesiges Gebiet, für das wir weder genügend Leute haben noch das richtige Werkzeug – es ist wie es ist. Und in diesem Sommer kommt die Hitze dazu – eine echte Ausnahme. Denn wir müssen ständig gießen! Die Jungpflanzen vor allem, die kleine Eiche zum Beispiel, die hier aus historischen Gründen gepflanzt wurde. Und daneben liegt die alte Eiche, die wir fällen mussten, weil sie umzukippen drohte. Sie sehen, wie groß die mal war! Damit die junge so groß wird, muss man halt ständig gießen! Und die alte bleibt liegen, sozusagen als Zeitzeuge der Vergangenheit."
Wir gehen den Weg entlang der Neiße, Barbara Iwlew erzählt, dass sie vor 20 Jahren aus Krakau hierher an die deutsch-polnische Grenze gezogen ist – und damals noch nicht genau wusste, was sie hier erwartet. Nur dass sie als ausgebildete Försterin mit Wald und Landschaftsgestaltung zu tun haben wird – womit sich ihr ganz persönlicher Traum erfüllte.
"Es war wunderschön, die Farben, der goldene Herbst. Ich habe mich sofort verliebt."

Wachposten sicherten die Grenze im Park

Barbara Iwlew weiß aus Erzählungen, wie es hier früher war. Bis in die 70er-Jahre hinein war die Nähe zur deutschen Grenze für die Bewohner ein unsicheres Gebiet. Sie waren bei Kriegsende aus dem Osten Polens in die ehemaligen deutschen Gebiete umgesiedelt worden und glaubten noch lange, sie würden nach Hause zurückkehren. Der Park war in ihren Augen nicht polnisch, warum sollte man sich also darum kümmern, ihn pflegen?
"Die Gegend hier war zum Teil Staatswald, zum Teil wurde sie landwirtschaftlich genutzt. Das hieß für den Park: Es gab keine Sichtachsen wie heute, keine offenen Durchbrüche, keine Wege und Wiesen – der Park war bewaldet. Und dann gab es auch noch die Grenze: streng gesichert. Ein Grenzgebiet, das eingezäunt war, Infra-Rot-Warnmelder, Wachposten. Diesen Weg hier, auf dem wir spazieren, gab es nicht! Als ich hier anfing, gab es diese Doppelbrücke nicht. Und der Weg von hier zur zweiten, der sogenannten 'englischen Brücke' kam mir vor wie eine Fernreise. Man konnte nicht einfach rüberfahren, auch nicht rübergehen, sondern musste weite Umwege fahren. Und heute ist das alles so nah!"
Zu verdanken sei das einigen Enthusiasten, die den Wert des Parks erkannten und sich schon in den 80er- und 90er-Jahren für ihn einsetzten, erzählt Barbara Iwlew.
"Sie haben einfach angefangen, obwohl es noch die Grenze gab. EU und Schengen waren in weiter Ferne und die Haltung zum Park in Deutschland und Polen ziemlich unterschiedlich. Aber es gelang!"
Gärtnermeister Bernd Witzmann steht vor einer Hecke.
Gärtnermeister Bernd Witzmann begann 1998 damit, die verwilderten Wege im polnischen Teil des Parks wieder freizulegen.© Deutschlandradio / Margarete Wohlan
Zwei Stunden später, ebenfalls an der Doppelbrücke, diesmal aber im deutschen Teil des Parks, treffe ich das Pendant von Barbara Iwlew: Parkmeister Bernd Witzmann. Er ist in Bad Muskau geboren und aufgewachsen. Doch erst 1998 lernt er den polnischen Teil des Parks kennen, als Leiter eines ganz besonderen ABM-Projekts: Zehn junge, deutsche und polnische Arbeitslose hatten die Aufgabe, die historischen Wege im polnischen Teil des Parks freizulegen und wiederherzustellen – eine Idee des polnischen und deutschen Arbeitsamtes in der Grenzregion.
Insgesamt führten rund 40 Kilometer Wege und Pfade durch den Park, erklärt Bernd Witzmann. Und bis heute seien nicht alle Wege freigelegt.
"Wir haben immer noch viele Wege, die im Verborgenen liegen, aber die nicht zum wesentlichen Kernbereich erstmal gehören. Das gibt’s übrigens im deutschen Parkteil auch noch."
Während wir auf der deutschen Parkseite an der Neiße entlang spazieren, erzählt Bernd Witzmann, dass er deutlich mehr Mitarbeiter hat, die für die Parkpflege zuständig sind. Die Arbeit ist die gleiche – aber die Polen haben nur ein Drittel der Mitarbeiter.

Ananas vom Fürsten

Der Park ist übrigens nicht nur schön, sondern auch nützlich. Das war er auch schon zu Pücklers Zeiten, wie Parkmeister Bernd Witzmann immer wieder gern zum Besten gibt.
"Die hohen Herrschaften haben sich damals gern selbst versorgt, in ihren Anlagen ist das durchaus machbar gewesen, weil Fläche war vorhanden und Gärtner, und da haben sie Obst, Gemüse, alles angebaut, und sogar exotische Sachen konnte man sich noch erlauben wie beim Fürst Pückler: die Ananas! Die er selber als exotische Frucht angebaut hat erfolgreich, und dann na ja verschenkt hat, um Damen zu beeindrucken hauptsächlich, als Charmeur! Und diese Kultur wird heute wieder neu betrieben seit na ja sechs, sieben Jahren ungefähr, sehr erfolgreich, und Ananas wird auch sehr gern heute noch den Ehrengästen verschenkt, und das ist jedes Mal ne Freude für sie."
Das kann ich mir natürlich nicht entgehen lassen – eine Ananas im deutsch-polnischen Grenzgebiet im "Muskauer Park Muzakowski". So etwas kann man sich nicht ausdenken.
Kolorierte Lithographiedes Blauen Blumengartens (1834) im Fürst-Pückler-Park in Muskau, nach einer Zeichnung vonWilhelm Schirmer.
Kolorierte Lithographiedes Blauen Blumengartens (1834) im Fürst-Pückler-Park in Muskau, nach einer Zeichnung von Wilhelm Schirmer.© dpa / picture-alliance / akg-images
In Sichtweite des Schlosses liegt ein vierseitiger Hof mit Remise, Marstall und Beamtenwohnhäusern – der sogenannte Vorwerkhof. Bis auf die Turmuhr über dem Marstall, wo einst Pücklers Pferde untergebracht waren, wird heute nichts mehr so genutzt wie früher.
Stattdessen: Ausstellungsräume, ein Café, Wiese, Bänke und Bäume. Einige der Wohnungen können als Ferienwohnung gebucht werden, andere sind dauervermietet, so auch die von Ekkehard Bruksch. Wie kaum ein anderer kennt er den Fürst-Pückler-Park: nicht nur seine Lehre hat er in den Gärtnereien hier gemacht, von 1955 bis 1958, sondern er hat bis zu seiner Rente 2005 auch hier gearbeitet, die letzten 38 Jahre als Gärtnermeister.
"Der Park ist ja meine Lebensaufgabe gewesen und das geht auch immer noch weiter. Und man lebt, zumal man mitten im Park drin wohnt, da lebt man mit den kulturellen Dingen, die hier im Park passieren, und natürlich auch mit der Natur des Parks."
Parkgärtnerin Babette Lange pflegt im Fürst Pückler-Park in Bad Muskau die Pflanzen auf der blauen Fuchsienbrücke im Blauen Garten.
Parkgärtnerin Babette Lange pflegt im Fürst Pückler-Park in Bad Muskau die Pflanzen auf der blauen Fuchsienbrücke im Blauen Garten.© dpa / picture alliance / Jens Kalaene
Ich habe ihn gebeten, mir die Bäume im Park genauer zu zeigen, denn auch sie haben durch den Zweiten Weltkrieg sehr stark gelitten – nicht nur durch den deutschen, sondern auch durch den sowjetischen Beschuss. Und sie können noch heute, nach mehr als 70 Jahren, deshalb zusammenbrechen. Ekkehard Bruksch zeigt auf einen Ahorn:
"Da ist was abgebrochen, und da, wenn man das genau untersucht, dann steckt da auch wirklich ne Kriegsverletzung drin! Aber eine versteckte Kriegsverletzung, ein Splitter, der möglicherweise im Kern drin gewesen ist und der eben die Fäulnis einwirken ließ. Der Splitter selbst ist nicht das Problem, sondern die anschließenden Fäulnispilze, die dann die Zerstörung des Holzes vonstatten gehen lassen. (…) Aber man sieht, dass hier der Baum sehr vital ist und mit aller Kraft versucht, die Wunde zu schließen. Und das ist immer noch das Gute, dass die Bäume eben diese Kraft aufbringen."

Langzeitwirkungen des Krieges

Bäume haben Empfindungen – das ist nicht erst seit dem Bestseller "Das geheime Leben der Bäume" des Försters Peter Wohlleben bekannt. Und sie speichern lang zurückliegende Erlebnisse. Dass aber Geschosse, die vor über 70 Jahren über die Neiße flogen und im Park detoniert sind, so eine Langzeitwirkung auf Bäume haben, erstaunt mich doch.
Doch die meisten Bäume sind in einem gepflegten Zustand – genauso wie die Sträucher, Wiesen und Blumenbeete im Park. Nicht nur sichtbar für mich als Laien, sondern auch für einen Experten wie Gärtnermeister Bruksch, der penibel auf seinen täglichen Spaziergängen prüft, ob die Bäume gesund sind.
"Ich bin stolz darauf, dass ich den Park in einer schweren Zeit auch geführt habe. Wo es mit den Maschinen und mit Kraftstoff und mit Geld und so weiter nicht so üppig war, dass wir trotzdem den Park in einer recht guten Form gehalten haben."

Die Wiedergeburt des Parkes

Bis zu 15 Mitarbeiter waren zu DDR-Zeiten in der Gärtnerei beschäftigt – nicht nur, um den Park zu pflegen, sondern auch die Grünanlagen der Stadt und den Sowjetischen Ehrenhain. Ab 1945 gehörten zwei Drittel des Parkgeländes zu Polen. Ekkehard Bruksch erzählt, dass schon im deutschen Teil des Parkes viel zu tun war. Ende der 80er-Jahre kam es erstmals zu einer Zusammenarbeit mit den polnischen Parkgärtnern:
"Die schönste Zeit war für mich dann, als wir im polnischen Teil auch mitarbeiten durften. Das war für mich eigentlich die schönste Zeit überhaupt in meiner Berufspraxis, wo wir mit den Polen zusammengearbeitet haben und gemeinsam Wege gesucht haben, die historischen Wege freigelegt haben, wir haben Fotos ausgetauscht. Das war so eine wunderbare Zeit! Das ist wie eine Wiedergeburt des Parks gewesen."
Eine Wiedergeburt des Parkes von Hermann von Pückler-Muskau. 1833 schrieb er:
"Wege sind die stummen Führer des Spazierengehenden und müssen selbst dazu dienen, ihn ohne jeden Zwang jeden Genuss auffinden zu lassen, den die Gegend darbieten kann. Der höchste Grad der landschaftlichen Gartenkunst ist nur da erreicht, wo sie wieder freie Natur, jedoch in ihrer edelsten Form, zu sein scheint."
Blick auf die Englische Brücke im Landschaftspark in Bad Muskau. 
Blick auf die Englische Brücke im Landschaftspark in Bad Muskau. Sie wurde 1945 zerstört und 2011 wieder aufgebaut. © imago stock&people
Sonntag, früher Vormittag. Heiko und Marta Reinarz sind mit ihren beiden Söhnen Jan und Florian auf dem Weg zur katholischen Kirche im polnischen Leknica – dem Pendant von Bad Muskau, einer 2.500-Einwohner großen Kleinstadt. Weil das Wetter schön ist, gehen die vier durch den Fürst-Pückler-Park, auch wenn das etwas länger dauert. Denn der Park – da sind sich die beiden einig – ist etwas Besonderes. Heiko Reinarz erinnert sich an die erste Zeit im Park:
"Als ich 2001 angefangen habe, in dieser Gegend zu arbeiten, und den Park überhaupt erstmal kennengelernt habe, da war dann gerade die Ecke, die hier oben beim Schloss zu sehen ist, fertiggestellt, und der ganze Rest wartete auf das, was noch zu tun war, und das war ne ganze Menge!"
Auch seine Frau Marta Reinarz ist von dem Park begeistert:
"Und als man dann sah, wie sich das Schloss entwickelte, war das schon beeindruckend! Jetzt, wo es fertig ist, ist es einfach nur noch schön. Alle kommen hierher und bewundern es! Aber es gibt hier nichts anderes außer dem Park. Ich würde mir hier mehr wünschen. Doch das geht nicht gegen den Park, er ist ein zauberhafter Ort."

Eine deutsch-polnische Liebe

Marta, geboren und aufgewachsen in der Nähe von Krakau. Heiko, geboren und aufgewachsen in der Nähe von Bonn. Sie lernten sich 1995 in Polen kennen, als der damals 27-jährige Rheinländer ehrenamtlich an einem Auslandseinsatz der Malteser teilnahm.
Es dauerte fünf Jahre, bis sie heirateten und sich in Bad Muskau niederließen, dieser knapp 4.000 Einwohner kleinen Grenzstadt, sozusagen auf halbem Wege zwischen Bonn und Krakau. Ihre beiden Söhne kamen hier zur Welt, sind jetzt sechs und zehn Jahre alt, sprechen sowohl polnisch als auch deutsch – und: sie kennen die beiden katholischen Kirchen diesseits und jenseits der Neiße. Ihr Weg dorthin führt sie durch den Park. Der große Sohn sammelt unterwegs Zweige und bastelt daraus Pistolen oder Säbel, erzählt Marta Reinarz.
"Ich kenne keine andere Familie außer uns, die das macht. Ich habe versucht, meine polnischen Bekannten zu überreden, dass sie mit uns abwechselnd hier und dort an den Gottesdiensten teilnehmen – vergeblich!"
Für Marta und Heiko Reinarz ist es wichtig, ihren Glauben zu leben. Als Rheinländer ist er katholisch erzogen, hat ein katholisches Gymnasium besucht. Und doch: In Bad Muskau ist es für beide eine neue Erfahrung, was katholisch sein hier bedeutet.
Waldbach im Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.
Ein Waldbach fliesst durch den Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.© Arco Images GmbH
Die katholische Kirche in Bad Muskau, ein roter Backsteinbau, 1873 eingeweiht. In direkter Nachbarschaft die weißleuchtende, evangelische Kirche, 220 Jahre älter. Beide Kirchen sind durch den vor kurzem eingeweihten Ökumenischen Pfad miteinander und auch mit dem Fürst-Pückler-Park verbunden.
Michael Noack ist Pfarrer der katholischen Gemeinde. Zwei Mal in der Woche hält er hier eine Messe. Für ihn sind die in Bad Muskau lebenden Polen ein wichtiger Bestandteil seiner Gemeinde – besonders nach der Wende haben sich hier vermehrt polnische Familien niedergelassen.
"Ich sehe es persönlich ja als Chance für unsere Gemeinden, auch wieder noch einmal verstärkt Familien zu integrieren. Aber es gibt halt große Differenzen. Und dazu kommt, dass Religion und Glaube ganz viel mit der Muttersprache zu tun haben. Ich hab das ganz häufig erlebt, wie dankbar auch polnische Gemeindemitglieder waren, die zur Beichte wollten, wenn ich dann angeboten habe, es gibt auch einen polnischen Priester, der die Beichte hört. Glaube hat eben etwas mit der Heimat zu tun, mit der Verbundenheit."

Umzug von Cottbus nach Muskau

Michael Noack ist in Cottbus aufgewachsen. Die katholische Gemeinde dort sei wie alle in Ostdeutschland vom Sozialismus geprägt gewesen, erzählt er, trotz der schlesischen Wurzeln, die noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg dort und hier lebendig waren. Seit etwa einem Jahr ist er hier Pfarrer – und macht mit den polnischen Gemeindemitgliedern ganz neue Erfahrungen in seinem Amt
"Also wenn ich dort was sage, als Pfarrer, dann hat das für die 'nen ganz anderen Stellenwert. Da muss ich auch selber ein bisschen aufpassen: Wie formuliere ich Dinge? Denn ich will ja nicht dieser Pfarr-Herr sein, der befiehlt: Du läufst jetzt links lang, obwohl da 'ne Mauer ist. Das will ich ja gar nicht sein, das ist doch gar nicht meine Vorstellung von Glauben. Glaube hat etwas ganz wesentlich mit Freiheit zu tun."
Zurück zu Marta und Heiko Reinarz, diesmal in ihrer geräumigen hellen Wohnung, im Zentrum von Bad Muskau. Die ostdeutsche Diaspora, die beide vorher nicht kannten – und mittendrin ihre gemeinsame, deutsch-polnische Beziehung. Heiko Reinarz erinnert sich an die Anfänge:
"Es war natürlich anfangs für einen Rheinländer eine Art Kulturschock, weil die Mentalität doch 'ne andere ist. Aber auch da gewöhnt man sich dann dran."
Marta Reinarz ist es wichtig, dass ihre Familie nicht nur in den deutschen Gottesdienst vor Ort, sondern auch den auf der polnische Seite besucht.
"Ich fühle mich als Polin. Und obwohl ich hier lebe und auch den deutschen Pass habe, werde ich nie eine richtige Deutsche sein. Ich bringe meinen Kindern einfach das bei, was man mich gelehrt hat und wie ich es von zuhause kenne. Aber ich möchte eben auch, dass sie sehen: Auf der deutschen Seite ist es ähnlich. Sie sollen sich hier und dort wohl fühlen."
Der polnische Touristenführer Roman Sobera sitzt auf einer Bank aus Stein im Fürst-Pückler-Park.
Früher war die polnische Seite des Parks so verwildert, dass man ihn für einen Wald hielt, erzählt der polnische Touristenführer Roman Sobera.© Deutschlandradio / Margarete Wohlan
Ich bin im polnischen Teil des Muskauer Parks, in der Nähe der Doppelbrücke. Neben mir steht der polnische Grenzpfosten, rot-weiß, auf der anderen Seite sehe ich den deutschen, schwarz-rot-goldenen. Eine polnische Touristengruppe überquert die Brücke Richtung Schloss. Hier habe ich mich mit Roman Sobera verabredet. Er lebt seit 1986 in Leknica und hat, als er Rentner wurde, begonnen, polnische Touristen durch den Park zu führen.
"Sie interessiert vor allem dieser preußische Aristokrat, der das Terrain hier so gut genutzt hat. Sie fragen bewundernd, wie er das vor 200 Jahren gemacht hat? Etwas, was sich bis heute nicht verändert hat. Denn sowohl die polnische als auch die deutsche Seite sorgen dafür, dass die Pücklerschen Pläne nicht durch radikale Veränderungen zerstört werden."

Als man den Park noch für einen Wald hielt

Der heute 74-Jährige mit graumeliertem Haar und sportlichem Outfit kann sich noch gut an seine ersten Jahre in Leknica erinnern. 1986 war noch nichts von der politischen Wende zu ahnen, der Park war ein Wald, Staatseigentum. Roman Sobera arbeitete damals als Erzieher im Waisenhaus und ging mit den Kindern oft hierher.
"Nicht nur ich wusste nicht, dass das hier ein Park ist – das wusste niemand in Leknica! Alle hielten es für einen Wald, in dem es irgendwo eine Art Garten mit Obstbäumen gibt. Da kann man im Herbst dann hingehen und Äpfel pflücken. Für die Kinder war das ein Spielplatz mit wunderbar zugewachsenen Waldwegen. Und wenn wir manchmal an die Neiße kamen, guckten wir mit etwas Neid rüber in den Westen."
Durch das wuchernde Gebüsch hindurch erblickten Leknica und die Waisenkinder schön geharkte Wege, Menschen, die Fahrrad fuhren, Mütter spazierten mit Kinderwagen umher. Idylle pur, sagt Leknica.
"Und in mir wuchs der Neid, dass – zum Greifen nah, in direkter Nachbarschaft – eine völlig andere Welt existierte."
Auf der polnischen Seite des Pücklerparks in Leknica sitzen Spaziergänger auf der Steinbank am Mausoleumshügel und genießen den Blick entlang der längsten Sichtachse des Parks bis zum Schloss in Bad Muskau auf der sächsichen Seite.
Spaziergänger blicken von der polnischen Seit des Parks auf die deutsche Seite, auf der das Schloss in Bad Muskau zu sehen ist.© Zentralbild
Polen in den 80er Jahren – damals hatte die Regierung das Kriegsrecht verhängt, um die Gewerkschaft Solidarność zu zerschlagen. Es blieb bis 1983. Aber was bis zur Wende blieb, waren Schlangen vor den Geschäften, Rückzug ins Private, Lethargie im Alltag. Es gärte, die Unzufriedenheit wuchs, aber niemand dachte im Traum daran, was 1989 dann Realität wurde.
Roman Sobera erinnert sich gut an die bleierne Zeit in Leknica kurz vor der Wende – und staunt bis heute:
"Irgendwie hat es das Schicksal so gewollt, diese ganzen Veränderungen. Eben noch war Leknica eine Stadt mit viel Industrie, die allen in der Gegend Arbeit gab: Braunkohletagebau, Glashütte, Ziegelei. Und dann plötzlich war es mit alldem vorbei. Es kam nur der Polenmarkt, der einem Teil der Einwohner Arbeit gab, aber ansonsten war hier eine solche Leere, dass man nicht wusste, wohin mit sich! Das ist ja immer noch so, Industrie gibt es hier bis heute nicht. Aber wie durch ein Wunder gab es diesen von der Natur geschenkten, von Historikern und Landschaftsgärtnern aufbereiteten Vorteil! Den Muskauer Park!! Das schaffte eine Grundlage – nicht für alle, aber doch für einige – einen Job zu finden. Das alles ist bestimmt noch nicht perfekt, aber da liegt die Zukunft unserer Region!"
Besucher wandern im Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.
Besucher wandern im Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.© dpa / picture alliance / Patrick Pleul
Für Roman Sobera war es ein sehr wichtiger Moment, als die UNESCO 2004 den "Muskauer Park Muzakowski" ausgezeichnet hat, ein "Kultur- bzw. Naturdenkmal, das im Interesse der gesamten Menschheit Schutz erfordert". So steht es in vier Sprachen auf dem Gedenkstein an der Doppelbrücke: auf Deutsch, Polnisch, Englisch und Französisch. Roman Sobera ist stolz auf die Auszeichnung:
"Dieses Grenzgebiet hier hat mit dem UNESCO-Welterbe-Titel eine Aufmerksamkeit bekommen, die mich sehr gefreut hat. Ein Park mit seinem polnischen und deutschen Teil wurde als Gesamtwerk UNESCO-Welterbe! Ich weise seitdem auch bei meinen Führungen immer wieder darauf hin, wie vorbildhaft das in punkto länderübergreifender Zusammenarbeit ist. Und dabei ist mir nicht wichtig, ob das nun polnisch oder deutsch ist. Für mich ist das ein europäisches Gut!"

Europäische Geschichte

Ich bin immer etwas skeptisch, wenn mir jemand von Europa und europäischem Gut erzählt – als würden sich damit nationale Grenzen auflösen und keinen Wert mehr haben. Ich glaube, es ist wichtig, seine Geschichte zu kennen, um zu wissen, wohin man will. Denn – und das beweist die Geschichte des Muskauer Parks – beides ist notwendig. Auf polnischer Seite wusste man bis in die 90er-Jahre fast nichts über die Geschichte des Parks. Roman Sobera bedauert das:
"Obwohl wir damals die Friedensgrenze zwischen der DDR und Polen hatten – beides Volksdemokratien – war es eben auch eine politische Grenze, auch wenn wir aus demselben Lager waren! Und es kam halt nicht zu einer Verständigung, die diese Vernachlässigung verhindert hätte. Fast 60 Jahre wurden vergeudet, die Gegend nicht gepflegt. Was für ein Verlust!"
Ob diese Einsicht etwas verändert, ob sie in Zukunft ähnliche Vergeudung oder Verlust verhindern wird? Nach all den Gesprächen, die ich hier geführt hab, den Kilometern, die ich gelaufen bin, den Sichtachsen, die ich kennengelernt hab, den Blicken, die ich genossen hab, den Büschen, Bäumen, Wiesen, Wäldern, Waldstücken, die ich erlebt habe, kann ich nur sagen: Das gemeinsame Erbe lebt."
geänderte Online-Fassung (mw)
Margarete Wohlan steht im Park, hält Äpfel in der Hand und lächelt
Unsere Reporterin Margarete Wohlan unterwegs im Fürst-Pückler-Park in Bad Muskau.© Deutschlandradio

Sie hören eine Wiederholung vom 28. Oktober 2018.

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