Der freie Wille als Fiktion

26.01.2009
Die Autoren von "Der Darwin-Code" wollen den Beweis antreten, dass nicht nur der menschliche Körper ein Ergebnis der Evolution ist, sondern auch unser Denken, Handeln und Fühlen. Die beiden Wissenschaftler haben damit ein Buch geschrieben, das zum Widerspruch herausfordert, weil es alle Zweifel ausschließen will.
Die Autoren lassen von vornherein keinerlei Zweifel an ihren Absichten. Mit ihrem Buch wollen sie den Beweis antreten, dass nicht nur der menschliche Körper in all seinen Ausprägungen ein Ergebnis der Evolution ist, sondern auch der Geist, unser Denken, Handeln, Fühlen. Das Problem der Beweisführung liegt allerdings darin, dass wir unsere Urahnen nicht mehr befragen können und es selten eindeutige materielle Manifestationen ihrer Absichten gibt.

Die Genforschung hat es da leichter. Sie kann anhand von Gensequenzen Verwandtschaften nachweisen. Die beiden Autoren können nur Plausibilität für ihre Aussagen in Anspruch nehmen. Ihre Schlussfolgerungen beruhen weitgehend auf Mutmaßungen, nicht auf harten Fakten.

So fragen sie als Erstes stets, welchen Nutzen ein bestimmtes Verhalten für das Überleben der Menschen gehabt hat, denn laut Darwin haben die Ausleseprinzipien Selektion und Variabilität auch den Menschen in seinem jetzigen Erscheinungsbild geprägt. Unsere Vorliebe für Fleisch, Fett und Zucker wird etwa dadurch erklärt, dass eine solche Nahrung das Gehirn von Jägern und Sammlern besonders gut versorgte.

Einen wachen Kopf aber brauchten unsere Vorfahren, um Waffen und Werkzeuge zu entwerfen, die sie in den Savannen vor wilden Tieren schützten und neue Nahrungsquellen erschlossen. Der Körper, der sich genetisch zwei Millionen Jahre lang an das nomadische Leben angepasst hat, kommt aber mit der modernen Ernährung nicht mehr klar. Dass wir uns von großer Vielfalt, Qualität, der Sinnlichkeit des Essens beeinflussen lassen, sei also ebenfalls evolutionsbiologisch vorteilhaft.

Bei solchen harmlosen Beispielen machen die Autoren allerdings nicht halt. Auch der Terrorismus findet nach Ansicht von Sabine Paul und Thomas Junker in der Evolution seine Wurzeln. Eine aberwitzige These: Schon immer habe es Menschen gegeben, die sich für ihre Gemeinschaft aufgeopfert haben. Auch wenn diese Helden oder Märtyrer sich nicht selbst fortgepflanzt hätten, so habe doch diese Form des Altruismus den genetischen Fortbestand der eigene Gruppe gesichert, also dem Überleben der Art gedient. Massenmord als Altruismus, man muss schon einer besonders kruden Form von Küchenpsychologie und Biologismus anhängen, um zu solchen Schlüssen zu kommen.

Dann kann es kaum mehr überraschen, dass auch die gesamte Kultur für die beiden Autoren nicht mehr als eine evolutionsbiologische Methode ist, Wissen und Verhalten weiterzugeben. Schmuck, Gemälde, Luxusgegenstände können demnach als Ausweis besonderer genetischer Eigenschaften angesehen werden, getreu dem Darwinschen Prinzip sexueller Auslese: wer sich dem Sexualpartner attraktiv präsentiert, unterstreicht damit, wie gesund und überlegen er ist.

Zudem ermöglicht Kunst den Individuen eines Stammes, sich über gemeinschaftliche Fantasien zu identifizieren und ein Gruppengefühl zu entwickeln. Die Autoren halten diese evolutionsbiologische Erklärung der Kunst zwar für spekulativ, aber für sehr plausibel. Mehr als das ist auch nicht gefragt, denn ihre dogmatische Hintergrundüberzeugung steht ohnehin fest: was wir sind, wie wir denken und handeln, unser gesamtes Verhalten ist von der Evolution bestimmt und gesteuert. Folglich sind wir genetisch vorprogrammiert. Der freie Wille ist eine Fiktion.

Das Gehirn ist für die Evolutionsbiologin Sabine Paul und den Biowissenschaftler Thomas Junker nichts anderes als eine Art Computer, eine biochemische Maschine, die umsetzt, was die Evolution als sinnvoll zum Fortbestand der Menschen in Jahrmillionen entwickelt hat. Dass sich dennoch eine gewisse Form von Handlungsfreiheit konstatieren lässt, spricht keineswegs gegen die These der biologischen Determination. Auch die Handlungsfreiheit hat sich als evolutionär erfolgreiche Strategie herausgestellt. Ein Buch, das zum Widerspruch herausfordert, weil es alle Zweifel ausschließen will. Ein evolutionsbiologischer Dogmatismus ist aber genauso wenig wissenschaftlich wie ein religiöser.

Rezensiert von Johannes Kaiser


Thomas Junker, Sabine Paul: Der Darwin-Code – Die Evolution erklärt unser Leben,
C.H.Beck Verlag München 2009, 224 Seiten, 22 Abbildungen, 19.90 €