Der Fall Kathleen Stock

Wieso eine britische Philosophieprofessorin kündigte

12:01 Minuten
Demonstration für Transrechte in London. Ein junger Mensch trägt einen schwarzen Mundschutz mit der Aufschrift. "The future in non-binary".
Ist die Zukunft wirklich nonbinär? Der Streit um die Frage, ob es mehr als zwei Geschlechter gibt, wird immer unerbittlicher geführt. Symbolbild. © imago / NurPhoto / Wiktor Szymanowicz
Andrea Geier im Gespräch mit Britta Bürger · 05.11.2021
Audio herunterladen
Kathleen Stock erlitt auf dem Campus der Universität Sussex eine Panikattacke und trat von ihrer Philosophieprofessur zurück. Sie fühlte sich aufgrund ihrer wissenschaftlichen Ansichten bedroht. Doch so einfach ist der Fall nicht.
Am 28. Oktober war für Kathleen Stock das Maß voll. An diesem Tag war der Weg in ihr Büro an der Universität Sussex der reinste Spießrutenlauf für die 49-jährige Philosophieprofessorin. Die Wände waren mit Postern gepflastert, auf denen stand: "Kathleen Stock ist transphob! Feuert Kathleen Stock! Wir bezahlen nicht 9000 Pfund für Kathleen Stocks Transphobie!"
Es war das Letzte, das sie auf dem Campus sah, an dem sie 18 Jahre lang gearbeitet hatte. Sie drehte sich um, rannte zum Bahnhof und nahm den ersten Zug nach Hause. Auf Twitter erklärte die Professorin noch am selben Tag ihren Abschied von der Uni Sussex. Die letzten Jahre, schrieb sie zur Erklärung, seien für sie und ihre Familie absolut schrecklich gewesen. Vor den Plakaten hatte es Aufkleber gegen sie gegeben, Proteste maskierter Studenten und eine anonyme Social-Media-Kampagne.

Was ist Geschlecht?

Die Gender-Debatte hat sich durch den Fall Kathleen Stock weiter zugespitzt. Hier kämpfen zwei Lager mit jeweils harten Bandagen. Dabei dreht sich der Streit um die Frage, ob Geschlecht biologisch determiniert ist oder von jedem Menschen selbst gewählt werden kann. Aber auch um die Frage, ob sich aus dieser freien Wahl Rechte ableiten lassen, wobei sich die einen auf der Seite der Natur wähnen und die anderen auf der der Kultur.
Doch genau diese Zuspitzung auf diesen Gegensatz beklagt die Genderforscherin und Literaturwissenschaftlerin Andrea Geier: "Es geht hier um unterschiedliche Vorstellungen davon, was Natur ist. Ist Natur tatsächlich nur binär oder ist die binäre Wahrnehmung von Körpern und von Materialität selber eigentlich eine kulturelle Sicht auf Natur?" Das Kultur-Natur-Verhältnis sei also selbst in der Diskussion, sagt Geier.
Die Wissenschaftlerin plädiert für einen genaueren Blick auf die Debatte. Es seien viele Akteurinnen und Akteure mit unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten im Spiel gewesen. "Die Art und Weise, wie die Vorgänge dargestellt werden, haben immer eine gewisse Position oder auch Parteilichkeit. Ich habe gerade im Fall von Kathleen Stock nicht das Gefühl, dass ich wirklich viele Informationen über die Frage habe, wie sich die Universität verhalten hat", sagt Geier.

Es geht um gegenseitige Anerkennung

Von dieser Zuspitzung auf zwei Parteien – auf der einen Seite Stock und auf der anderen die trans- und queer-Comunity – müsse man sich ein Stück weit entfernen, fordert Geier, und nach der tatsächlichen Zuspitzung fragen. Letztlich gehe es in diesem Fall um eine versäumte gegenseitige Anerkennung, die im Vorfeld hätte moderiert werden müssen. Auf der einen Seite eine Professorin, die sich bedroht fühlt, und auf der anderen Seite eine Community, die sich in ihrer Existenz bedroht fühlt, wenn man Geschlecht nur biologisch definiert:
"Es reicht eben nicht, zu sagen: 'Ich bin nicht transfeindlich.' Das kann nicht reichen, sondern es braucht tatsächlich einen Diskussionsprozess, der sagt, in welchen Kontexten kannst du solche Meinungen äußern und damit sozusagen unbehelligt bleiben. Was aber bedeutet das für den Gesamtraum Universität, wenn Studierende nicht wissen, ob die Lehrperson sie in ihrer Existenz anerkennt? Das ist eine wichtige Frage für das Miteinander und das respektvolle Miteinander an Universitäten. Da kann man nicht einfach sagen: Na ja, der eine hat eine Meinung und der andere eben auch."
Mehr zum Thema