Der Fall Kampusch auf der Bühne

Von Ulrike Gondorf · 19.04.2009
Die Geschichte der jungen Österreicherin, die nach langer Gefangenschaft ihrem Entführer entkam, verursachte einen Medienrummel. In dem Stück der Schriftstellerin Katrin Röggla, das am Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde, muss das Publikum aktiv die Rolle des Mediennutzers übernehmen und sich klarmachen, dass jeder mitspielt.
Einen Medienrummel, der noch jedem in Erinnerung ist, hat Kathrin Röggla sich als Vorlage für ihr jüngstes Theaterstück gewählt: den Fall Natascha Kampusch. Die junge Frau konnte im Sommer 2006 nach achtjähriger Gefangenschaft ihrem Entführer entkommen. Und wurde, kaum dass sie ihre Freiheit wiedergewonnen hatte, wieder eingekreist, ins Visier genommen, auf bestimmte Erwartungen festgelegt von einer sensationslüsternen Öffentlichkeit und profitgierigen Medien.

Das sind "Die Beteiligten" in Kathrin Rögglas Stück, beteiligt nicht im Sinne von Mitgefühl und Anteilnahme, sondern als Komplizen in einem perfiden Spiel, in dem eine Seite die andere bedingt immer weitertreibt. In Stephan Rottkamps Uraufführungsinszenierung am Düsseldorfer Schauspielhaus muss das Publikum aktiv die Rolle des Medienkonsumenten übernehmen und sich klarmachen, dass jeder mitspielt dabei.

Die Zuschauer werden in Gruppen aufgeteilt und in enge, schwarze Kabinette platziert. Dort erwarten sie ein Schauspieler in Person und fünf weitere auf Monitoren. In einer Art virtueller Talkshow geht es um das Schicksal eines Entführungsopfers, dessen Geschichte die von Natascha Kampusch ist. Der Name wird aber niemals genannt und die Figur tritt auch nicht auf. Sie ist das Bild in den Köpfen der sechs Figuren, die Röggla zeigt: ein Zeitungsschreiber, ein Fernsehmacher, eine Online-Moderatorin, eine Psychologin, eine klatschsüchtige Nachbarin und ein ehemaliger Bekannter, der allerdings gar nicht mehr weiß, ob er die plötzlich prominente junge Frau wirklich gekannt hat oder ob ihm seine Erinnerungen eingeredet worden sind.

Mit einem verblüffenden Kunstgriff bringt die Autorin das Thema Medienkritik und die Form ihres Stücks zur Deckung: alle Personen bedienen sich nur der indirekten Rede, sprechen im Konjunktiv, der Möglichkeitsform, die eben nicht aussagt, was real der Fall ist. Außerdem formulieren alle so, als würde das Opfer ihre Worte wiedergeben. "Zunächst einmal müsse ich mich doch als das Opfer sehen, das ich sei", verlangt zum Beispiel die Psychologin. Und je länger das geht, umso penetranter wird die Unverschämtheit, mit der hier alle das "Ich", die Persönlichkeit ihres Gegenübers usurpieren.

Kathrin Röggla hat einen fulminanten, vielschichtigen, dabei auch witzigen Text geschrieben. In Stephan Rottkamps Inszenierung wird er sehr einleuchtend umgesetzt. Denn der mediale "schöne Schein", der am Anfang den Zuschauer vereinnahmt, erweist sich im Laufe des Abends immer mehr als hohl und fassadenhaft. Die sechs Darsteller setzen ihre schwierigen, sprechopernhaften Parts souverän um und erreichen die spielerische Leichtigkeit, die diesen kunstvollen Text zum Glänzen bringt.