Der Erfinder des Großstadt-Cowboys

Von Dirk Fuhrig · 23.07.2013
Philip Marlowe ist der Prototyp des Privatermittlers, der mit lässigem Auftreten und einem gehörigen Schuss Sex-Appeal jeden noch so komplizierten Fall löst. Der Schöpfer dieser literarischen Figur, Raymond Chandler, betrachtete sich als Seelenverwandten seines raubeinigen Helden.
Film-O-Ton:

Lauren Bacall: "May I help you, Sir?”"
Humphrey Bogart: ""Yes, I'm looking for a good mystery, something off the beaten track.”"

Lauren Bacall: ""Here is one. It's Raymond Chandler's latest best seller: The Big Sleep.”"
Lauren Bacall und Humphrey Bogart – die Verfilmung hat das Buch dauerhaft berühmt gemacht: durch die beiden legendären Hollywood-Schauspieler wurde Raymond Chandlers Roman "The Big Sleep" (Der große Schlaf) 1946 zu einer Ikone der Kriminalliteratur.

Film-O-Ton:

Humphrey Bogart: "" ... each had the same ending: murder.”"

Mord – das unabdingbare Ingrediens in jedem Kriminalroman. Aber nicht das einzige, wie Chandler selbst betonte:

""Es muss immer einen geheimnisvollen Zusammenhang geben. Das eigentlich Spannende ist nicht, wer letztlich der Mörder ist, sondern wie die Situation war und was die Beteiligten wussten."

Chandler war schon über 50, als er 1939 in seinem Debütroman "The Big Sleep" einen Protagonisten ganz neuen Typs erfand: den abgebrühten, ultra-lässigen, zur Schwermut neigenden Privatermittler im Trenchcoat und mit Schlapphut. Zigarette stets im Mundwinkel, alkoholischen Getränken - natürlich der härteren Variante - nicht abgeneigt.

Philipp Marlowe, der sich in den endlosen Straßenschluchten von Los Angeles herumtreibt, ist die urbane Version des amerikanischen Westernhelden. Der Großstadt-Cowboy war Vorbild für viele andere Ermittler, auf der Leinwand etwa für Kojak oder Inspector Columbo. "Hardboiled" – abgebrüht - wurde zu einer Genre-Bezeichnung.
"Ich gelte ja doch als ziemlich zäher Bursche. Aber an diesem Jungen war etwas, das ließ mich nicht los."

Als "zäher Bursche" sah sich Raymond Chandler auch selbst – vieles am Charakter des Romanhelden Philipp Marlowe trägt Züge des Autors. Raubeinigkeit, Macho-Allüren, einsamer Wolf mit weichem Kern.

Chandler wurde am 23. Juli 1888 in Chicago geboren und wuchs teilweise in London auf. Mit Anfang 20 zog er nach Kalifornien. Seine Beziehung zu England prägte ihn jedoch Zeit seines Lebens. Und so ist es kein Zufall, dass eine der letzten bekannten Tonaufnahmen Chandlers ein Gespräch 1958 in der Londoner BBC ist. Darin schwadroniert er – unnachahmlich knarzig und spöttisch - mit dem britischen James-Bond-Autor Ian Fleming über Polizisten und Geheimagenten diesseits und jenseits des Atlantiks - in Amerika hätten es die Beamten schwerer, meint Chandler. Sie stürben häufiger, weil dort schneller mal die Kugeln flögen als in England.

Raymond Chandler: "They must have an immense interior courage.”"

Ian Fleming: ""They must. They have a hard time.”"

Chandler: ""Why the policemen don't have a very good time in America?”"

Ian Fleming: ""They don't?”"

Raymond Chandler: ""The policemen get shot every once in a while.”"

Ian Fleming: ""Yes, because you shoot much more than we do over here.”"

Während manche amerikanische Kritiker Raymond Chandler anfangs leicht abfällig als "Thriller-Autor" bezeichneten, wurde er in Großbritannien schon früh als sprachgewaltiger Schriftsteller gefeiert. Auf "The Big Sleep" folgten Romane wie "Leb wohl, mein Liebling" oder "Das hohe Fenster". Die Verfilmungen wurden weltweit zu Klassikern des melancholisch-atmosphärischen Krimi-Genres "film noir". Chandlers letzter großer Erfolg war 1953 "The Long Good-Bye" (Der lange Abschied), in dem Philip Marlowe sich väterlich eines Versagers annimmt:

""Terry Lennox brockte mir eine Menge Scherereien ein. Aber schließlich und endlich gehört das mit zu meinem Beruf."

Der entscheidende Einschnitt in Chandlers Leben ist 1954 der Tod seiner Frau, der 18 Jahre älteren Pianistin Cissy Pascal. Er kann nicht mehr schreiben, wird depressiv, verfällt endgültig dem Alkohol. Aus dem immer gut aussehenden Mann wird ein Wrack. Chandler stirbt am 26. März 1959 in Kalifornien.

Sein Held Philip Marlowe ist bis heute eine der bedeutendsten Gestalten der Kriminalliteratur geblieben.