Der Düsseldorfer Kontext

Von Ute May · 11.09.2010
Die Landeshauptstadt von NRW zeigt gern, was sie zu bieten hat. Zehn Museen und ein gutes Dutzend namhafter Galerien und privater Sammler dokumentieren mit "Kunstgegenwärtig", weshalb Düsseldorf als internationale Kunstmetropole gilt.
Auf dem Plakat fällt ein alter roter VW-Bulli auf. Ein Liebhaber-Stück, das vor einem grau-beigen Haus mit grünen Markisen parkt. Das Foto des Amerikaners Steven Shore sei ein fotografischer Meilenstein, erläutert Werner Lippert, Direktor der NRW-Forums Kultur und Wirtschaft:

"Steven Shore ist der Fotograf, der die Farbfotografie in die Welt gebracht hat nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich kann mich gut erinnern, dass wir in den ersten Ausstellungen gestanden haben und uns gefragt haben, wie können Menschen so Farben fotografieren, so brillante, so tolle Farben."

Bernd Becher, der 2008 gestorbene Professor der Fotografieklasse an der Düsseldorfer Kunstakademie und seine Frau Hilla haben diese epochale Neuheit sofort erkannt. Zwar haben sie auch weiter nur schwarz-weiß fotografiert, aber dennoch ihren Studenten Shores neue Fotogestaltung nachdrücklich empfohlen.

Das NRW-Forum stellt die weltbekannten Typologien von Bernd und Hilla Becher aus und, so Werner Lippert,

"es zeigt die frühen Arbeiten von Shore, die in den 70er, 80er-Jahren maßgeblich waren. Und wir zeigen bei den Becher-Schülern eher die früheren, also unbekannte oder nicht so bekannte kleinere Arbeiten von Gursky und Struth und Ruf oder Candida Höfer, in denen man diese Einflüsse sehen kann."

Eine Nabelschau wolle man in Düsseldorf mit der Quadriennale nicht betreiben, macht Düsseldorfs Kulturdezernent Hans-Georg Lohe deutlich. Wohl aber beweisen, welche Einflüsse und welche Reaktionen sich aus der Düsseldorfer Kunst im internationalen oder nationalen Kontext seit den 1950er-Jahren ergeben haben. Von dieser Idee ließen sich nicht nur öffentliche Museen begeistern, sondern auch private Sammler, freut sich Hans-Georg Lohe:

"Die Julia-Stoschek-Collection ist dabei, die Langen Foundation mit der ZERO-Foundation und die Galerien machen in einer hervorragenden Art und Weise mit, indem sie Deutschland-Premieren machen, dass das jetzt auch die ganz aktuelle Kunst ist, die jetzt hier in Düsseldorf gezeigt wird."

Auch wenn alle Häuser reichlich mit sich selbst zu tun hatten, ist es spannend zu sehen, dass zum Beispiel Impulse der Fluxus-Bewegung an mehreren Ausstellungsorten auftauchen: In der Kunstsammlung, im Schloss Benrath oder im Museum KunstPalast.

Eine so umfangreiche Kunst-Plattform, als die sich die 2. Quadriennale in Düsseldorf versteht, kommt an dem rheinischen Künstler, an Joseph Beuys nicht vorbei. Marion Ackermann, die neue Direktorin der Kunstsammlung, hat ihm, fast 25 Jahre nach seinem Tod, breiten Raum gelassen:

"Wir sind von zehn Hauptwerken, bedeutenden Raum-Installationen, ausgegangen und haben um diese herum dichte Kontextfelder gebildet, auch mit vielen Zeichnungen. Aber ganz durch sein Leben hindurch. Es gibt einen Überblick. Es ist durchaus auch chronologisch, in einer Substruktur geordnet."

Hielt noch Ackermanns Vor-Vorgänger und Gründungsdirektor Werner Schmalenbach die Beuys’sche Kunst für nicht museabel, so stellt Marion Ackermann heute fest:

"Ich finde es faszinierend zu beobachten, wie sich eine nachkommende Generation wieder sehr stark für ihn zu interessieren scheint. Was ist das eigentlich, was an Joseph Beuys die Menschen wieder anspricht, dass Joseph Beuys mit etwas Abstand auch so viele Themen schon vor 30 Jahren angesprochen hat, die die Menschen, vor allem die jungen, jetzt wieder so bewegen."

Im Ständehaus, der Dependence der Kunstsammlung für die Kunst des 21. Jahrhunderts, heißt es ironisch: Auswertung der Flugdaten. Mit sicherer Bodenhaftung können Besucher hier die künstlichen Höhen- und Irrflüge seit den 1980er-Jahren bestaunen.

Einen anderen Ansatz verfolgte James Lee Byars, obwohl auch für ihn Kunst öffentlich sein musste. Gabriele Uerscheln ist die Direktorin des Museums für Europäischen Gartenkunst, das im barocken Schloss Benrath untergebracht ist. Dessen Architekt, Nicolas de Pigage, lässt sie mit Byars kommunizieren:

"Zunächst kann man ja erstaunt sein, dass das Ganze hier in einem Schloss stattfindet. Es geht um die perfekte Achse als Ideal. Wie die beiden da versucht haben, sich dem anzunähern. Und wir nehmen dann das Objekt von James Lee Byars und setzen die genau in die Achspunkte rein, die wichtig sind für das Schloss Benrath."

Auch die aus 3.333 roten Rosen gesteckte und langsam welkende Kugel greift neben etwa 30 weiteren Artefakten die perfekte Form in den Sichtachsen des Schlosses auf.

Nicht vollständig wäre der Überblick über die internationale, von Düsseldorf aus beeinflusste Kunst ohne Nam June Paik, befindet der Direktor des Museums KunstPalast, Beat Wismer:

"Wichtig war uns, einen massiven Schwerpunkt auf den frühen Nam June Paik zu legen, die ganze Düsseldorf- und Fluxus-Geschichte. Das absolut Reizvolle und Charmante an Nam June Paik ist ja seine Bastelei. Wenn man diese Ausstellung anguckt, denkt man zum Beispiel an Dieter Roth. Man denkt nicht an High-Tech. Es ist wirklich eine sympathische Bastelei."

Nam June Paik, der gelernte Musiker und Komponist, wurde Video-Künstler aus Neugier, ja vielleicht auch aus einem unbändigen Spieltrieb. Das alles dokumentiert die ihm gewidmete Präsentation mit vielen Details.

Ohne die Kunstakademie, so viel ist sicher, wäre Düsseldorf nicht zu solch einem wichtigen Zentrum für bildende Kunst geworden, glaubt Werner Lippert, der mit seinem NRW-Forum an der Quadriennale teilnimmt:

"Das hat auch immer was mit Streit zu tun. Im 18. Jahrhundert war die Kunstakademie dafür berühmt, sich zu streiten. Das ist vor allem nach dem Krieg, nach 1957 wieder passiert. Ich erinnere an Joseph Beuys, der von der Landesregierung rausgeschmissen wurde und er vehement dagegen gekämpft hat."

Das hat sich in die jüngste Zeit nicht geändert, stellt Lippert fest:

"Es gab jetzt wieder einen kleinen Kampf in Düsseldorf, als Markus Lüpertz gegangen ist als großer Verfechter der Malerei. Jetzt haben wir einen neuen Rektor. Und was macht der als Erstes? Er holt einen Andreas Gursky als Professor für freie Kunst ins Haus. Das heißt, es sind unausgesprochene Reibereien, die aber zu explosiven Impulsen führen und dazu, dass Düsseldorf im Moment wieder einem neuen Höhepunkt zustrebt."

Homepage von "Kunstgegenwärtig"
Mehr zum Thema