"Der Direktor und Diktator"

Von Christian Linder · 12.11.2008
"Nervenarzt, Vater, Mutter, Dirigent und Diktator" - von allem ein bisschen stecke in Hans Werner Richter, schrieb Heinrich Böll. "Als unbestrittener "Chef" der Gruppe 47 prägte der Schriftsteller die deutsche Nachkriegsliteratur wesentlich mit - auch wenn er sich mit seinem eigenen Oeuvre nie in den Vordergrund der Diskussionen schreiben konnte. Vor 100 Jahren wurde Richter geboren.
Es waren keine Mikrofone geöffnet, als sich 1947 in einer Villa am idyllischen bayrischen Bannwaldsee einige Autoren trafen, um sich gegenseitig Texte vorzulesen und sie zu diskutieren. Die Autoren gehörten zum Umfeld der von Hans Werner Richter und Alfred Andersch gegründeten Literaturzeitschrift "Der Ruf", die von der amerikanischen Besatzungsmacht kurz vorher verboten worden war.

Daraufhin hatten Richter und Andersch aus Not dieses private Treffen am Bannwaldsee organisiert, ohne auch nur ahnen zu können, dass aus diesem Zusammentreffen eine Gruppe entstehen würde, die sich nach dem Jahr des ersten Treffens "Gruppe 47" nannte und einen enormen Einfluss auf die literarische, aber auch politische Entwicklung in der Bundesrepublik ausüben sollte. Lange nach dem letzten offiziellen Treffen im Jahr 1967 erinnerte sich Hans Werner Richter an den Anfang:

"Es ist also nie etwas gegründet worden, sondern es ist wirklich entstanden, und ich bin besonders stolz darauf, dass in diesem unserem Land mal etwas spontan entstanden ist. Und ich freue mich immer noch heute dafür, wenn unsere Germanisten keine Definition finden für die Gruppe 47."

Andersch überließ Richter 1947 nach dem ersten Treffen das Vorrecht, zu weiteren Tagungen einzuladen, und das geschah durch Übersendung einer einfachen Postkarte.

"Ich lade alle Leute ein, die mir passen, die mit mir befreundet sind, und wir lesen uns gegenseitig vor und amüsieren uns und reden sehr viel und tanzen abends und es ist ein Fest, das drei Tage dauert, und dann gehen wir alle wieder auseinander - und der Freundeskreis existiert immer und den nennt man Gruppe 47."

Hans Werner Richter wurde als unbestrittener "Chef" der Gruppe eine der bestimmenden Figuren der westdeutschen Nachkriegsliteratur - wenn sein eigenes literarisches Werk auch keine große Anerkennung fand. Seine meisten Bücher waren redliche, als solche aber respektierte autobiografische Bekenntnisbücher mit programmatischen Titeln wie "Die Geschlagenen" oder "Spuren im Sand".

Geboren am 12. November 1908 als Sohn eines Fischers in dem Dorf Neu-Sallenthin auf der Insel Usedom, zog die Familie bald ins sogenannte "Kaiserbad" Bansin. Im nationalsozialistischen Deutschland politisch links orientiert, auf Seiten der KPD, floh Richter nach Paris, konnte sich jedoch dort finanziell nicht halten und kehrte nach Deutschland zurück, um in Berlin als gelernter Buchhändler unterzukommen.

1943 geriet er als Soldat in amerikanische Kriegsgefangenschaft, wurde in den Lagern Camp Ellis in Illinois und Fort Kearney in Rhode Island interniert und gab seit Frühjahr 1945 die antifaschistische Zeitschrift "Lagerstimme" heraus, aus der sich die Zeitschrift "Der Ruf" entwickelte.

Dass Richter, inzwischen wieder in Deutschland, von den Amerikanern wegen seiner Arbeit an der Zeitschrift "Der Ruf" bald misstrauisch beobachtet wurde, lag an seinem Bekenntnis zu seiner Vergangenheit. In seinem Roman "Die Geschlagenen" hieß es:

"Ich bin Sozialist und ein Deutscher. Es gibt für mich nur eine Möglichkeit: In meinem Land meine Ideen durchzusetzen. Aber nicht gegen mein Land, nicht für fremde Interessen."

1968, rückblickend auf seine sozialistischen Hoffnungen, musste Richter aber erkennen, dass sie durch den Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei großenteils zunichte gemacht worden waren. Politische Debatten der Nachkriegszeit ließ Richter während der Tagungen der Gruppe 47 allerdings nur am inoffiziellen Rande hochkommen. Marcel Reich-Ranicki erinnert sich:

"Sehr charakteristisch für Richter: Es durfte nicht diskutiert werden über Politik, das war verboten, es wurde ein Stück Prosa oder ein paar Gedichte gelesen, und dazu musste man sich äußern. Und wenn jemand anfing, auszubrechen, da hat er gleich abgebrochen."

Ein Autor musste sich die Plenumsdiskussionen über seinen Text schweigend anhören - er saß, wie man bald sagte, auf dem "elektrischen" Stuhl. Richter selber kam über seinen legendären Ruf als "Chef" der Gruppe 47 nicht hinaus - trotz zahlreicher Ehrungen für sein eigenes Werk, wie den Fontane-Preis der Stadt Berlin, den er schon 1949 erhielt, oder den 1951 verliehenen René-Schickele-Preis für den Roman "Sie fielen aus Gottes Hand".

ollendet hat er sein eigenes Werk mit dem Band "Im Etablissement der Schmetterlinge. Einundzwanzig Porträts aus der Gruppe 47". Gestorben ist Hans Werner Richter im März 1993 in München. Begraben liegt er auf seiner Heimatinsel Usedom, auf dem Friedhof von Bansin.