Der Datenfluss im Labor der Zukunft

Von Lutz Reidt · 15.11.2012
Laboruntersuchungen werden immer besser aber auch immer umfangreicher. Doch wo sollen die Daten hin, die zu Proben gehören, die in winzigen Proben in Kälteschränken eingefroren sind? Forscher vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT haben dafür neue Ideen.
Wer heute beim Arzt eine Blutprobe abgibt, muss in der Regel ein paar Tage auf den Befund warten. Wenn es zum Beispiel um eine mögliche HIV-Infektion geht oder den Verdacht einer Krebserkrankung, dann ist das Warten auf den Befund oft mit quälender Ungewissheit verbunden. Dass eine Laboranalyse länger dauert, liegt auch an der aufwändigen Dokumentation. Über jede Probe muss akribisch Protokoll geführt werden. Patientendaten, Messergebnisse, Messverfahren - all das müssen Laboranten im Detail aufschreiben. Das kostet Zeit und ist fehleranfällig

Forscher vom Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik IBMT in St. Ingbert zeigen auf der Messe Medica in Düsseldorf das "Labor der Zukunft". Hier erfolgen die Untersuchungen und vor allem auch die Dokumentation der Proben vollautomatisch.

Die infizierten HIV-Zellen lagern in kleinen Proberöhrchen, jedes mit farbigem Verschluss gesichert - violett, grün, gelb, rot oder blau. Die Proben stecken in einer kleinen Palette, einem so genannten Rack. Damit zu hantieren, ist Routine für den Ingenieur Dr. Frank Ihmig, obwohl ihn nicht nur eine doppelwandige Stahlwand von den Proben trennt, sondern auch ein erhebliches Temperaturgefälle:

"Wir kühlen unsere Systeme mit flüssigem Stickstoff. Die konservierten Proben werden in einem Temperaturbereich unterhalb von minus 150 Grad gelagert; der kälteste Punkt in dem Tank ist minus 196 Grad Celsius. Das ist die Temperatur für die Langzeitlagerung von biologischem Material."

Frank Ihmig arbeitet am Fraunhofer-Institut für Biomedizinische Technik an der Außenstelle Sulzbach im Saarland. Der Forscher steht an einem Raum hohen, weiß lackierten Turm und blickt durch ein kleines Fenster ins Innere. Dort ist die Luft knochentrocken. Kein einziges Eiskristall lässt auf die exorbitante Kälte schließen, die im Inneren herrscht. Seine Hände stecken in beheizten Handschuh-Eingriffen, die ins Innere führen und ein Arbeiten mit den Proben erlauben.

Tiefgefrorene Zellen verharren in einer Kältestarre, bei der alle Stoffwechselvorgänge zum Stillstand kommen. Nach dem Auftauen sind die Zellen wieder funktionsfähig. Als Kältemittel dient flüssiger Stickstoff, der relativ günstig zu haben ist.

Deswegen ist die so genannte Kryokonservierung bei extrem niedrigen Temperaturen weltweit üblich, wenn es darum geht, etwa zum Beispiel Serum und Plasma von Blutproben langfristig zu lagern.

Das Fraunhofer-Institut hält infizierte HIV-Zellen in einer Zellbank bereit. AIDS-Forscher aus aller Welt greifen darauf zu, um potentielle Impfstoffe gegen die Krankheit zu testen. Wird eine Probe angefordert, muss Frank Ihmig das richtige Muster lokalisieren, damit es vollautomatisch durch ein spezielles Schleusensystem vom Lagerplatz in der Kryobank zu ihm gelangt:

"Wir haben ein spezielles elektronisches Lagersystem aufgebaut. Die Besonderheit ist, dass die Elektronik darin dann auch tieftemperaturtauglich ist; wir haben da jahrelang entwickelt und spezielles Know-how auch gesammelt, um dieses elektronische Lagersystem so aufzubauen wie es heute ist; und wir haben damit die Möglichkeit, die eingelagerten Proben zu jedem Zeitpunkt zu identifizieren und den Lagerplatz zuzuordnen und Informationen abzurufen."

In der Alltagsroutine füllen Laboranten für jede Probe einen Protokollzettel aus, um Herkunft und Namen des Patienten sowie das Datum der Probenahme und weitere Arbeitsschritte zu dokumentieren. Eine zeitraubende Prozedur und zudem fehleranfällig. Kritisch kann es werden, wenn Protokollzettel und Proben verwechselt werden.

Mittlerweile speichern Laboranten Informationen auch in einem Strichcode, der sich mit einem Scanner auslesen lässt, ähnlich wie an elektronischen Kassen im Supermarkt. Doch lässt sich dieser Strichcode nur schwer lesen, wenn die Proben tiefgekühlt in Stahlbehältern lagern, sagt Projektleiter Daniel Schmitt:

"Barcode hat immer dann ein Problem, wenn Sie jetzt wirklich in offenen Kryotanks arbeiten, wo zum Beispiel eine Eisbildung stattfindet. Sie müssen dann den Barcode frei kratzen, um ihn wirklich lesen zu können. Sie müssen ja auch die Probe in die Nähe des Barcode-Lasers bringen. All das sind zum Beispiel Nachteile, die eine RFID, also eine Drahtlosübertragung von Informationen nicht hat."

RFID ist das englische Kürzel für Radiofrequenz-Identifizierung. Alle Informationen lassen sich somit drahtlos, also über Funk, übertragen. Daniel Schmitt sitzt dabei an seinem Computer und kann über das hausinterne Netzwerk jederzeit eine Inventur der Probenbank vornehmen, ohne einen Kryotank öffnen zu müssen. Die Kühlkette ist geschlossen - Wärme und Feuchte bleiben draußen.

Neben dem RFID-Chip mit der winzigen Datenantenne ist zusätzlich noch ein kleiner Speicherchip in jedem Proberöhrchen eingeschmolzen:

"Die Neuerung, die dort auch von uns hier am IBMT eingeführt wurde, ist der Speicherchip an der Probe. Dort können Sie wirklich in großem Umfang Informationen ablegen. Das geht von Bildern sogar, die Sie jetzt zum Beispiel mikroskopisch gewonnen haben bis zu komplexen Listen, bis hin zu komplexen Handlungsanweisungen."

Die starren Informationen auf einem Strichcode kann Daniel Schmitt nicht verändern, die Daten auf dem Speicherchip dagegen jederzeit. So können alle Beteiligten den Weg der Probe ohne manuellen Schreibaufwand auf elektronischem Wege mit Hilfe einer neu entwickelten Labor-Software lückenlos dokumentieren und in einer zentralen Datenbank speichern. Nach jedem Arbeitsschritt wird das Ganze aktualisiert - vom Tag der Probenahme über Transport und Einlagerung bis hin zur endgültigen Verwendung. So bleiben Probe und Protokoll untrennbar miteinander verbunden.

Um eine Verwechslung der Proben auszuschließen, lassen sich die unterschiedlichen Dokumentationsmethoden auch miteinander kombinieren. Also Strichcode plus Speicherchip plus RFID-Funkmodul plus unterschiedliche Farbkombinationen bei den Proberöhrchen. Sicher ist sicher, meint Daniel Schmitt - gerade wenn es hektisch wird im "Labor der Zukunft":

"Alle Ärzte schreiben "eilt" auf ihre Proben; und an jeder Stelle, wo Sie dann einfach mit der Stoppuhr hinter dem Laboranten stehen, ist eine potentielle Möglichkeit da, dass Proben verwechselt werden. Das ist in der Regel kein Problem, das fällt auf, weil irgendein Wert dann aus der Norm geht - dann wird einfach noch mal eine neue Probe gezogen. Wenn Sie aber remote sind, wenn Sie nicht die Möglichkeit haben, eine Probe noch mal neu zu ziehen, dann ist es umso wichtiger, dass Sie eine möglichst große Verwechslungssicherheit haben."

Das "Labor der Zukunft" setzt auf Proberöhrchen mit Speicherchips und winzigen Funkmodulen, um die Verwechslungsgefahr zu minimieren und Arbeitsabläufe zu optimieren. Für die Laboranten bedeutet das weniger Schreibkram, und für die Patienten ein gutes Stück mehr Sicherheit.

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