"Der damalige Terrorismus war provinziell"

Moderation: Katja Schlesinger · 01.12.2006
Angesichts des islamistischen Terrors muss nach Ansicht des Historikers Wolfgang Kraushaars der Terrorismus der RAF neu bewertet werden. Zu Zeiten des Deutschen Herbstes habe man sich eine Steigerung nicht vorstellen können, sagte Kraushaar. Das, was heute aber tagtäglich im Irak passiere, stelle all das in den Schatten, was jemals unter dem Vorzeichen der RAF geschehen sei.
Auszüge aus dem Gespräch:

Katja Schlesinger: 34 Tote gehen auf das Konto der RAF, der Rote Armee Fraktion – und das zwischen 1970 und 1993. Verglichen mit den Opfern heutiger Terroranschläge ist das eine sehr niedrige Zahl. Und so heißt es in dem Buch "Die RAF und der linke Terrorismus" auch, man könnte von heute aus gesehen fast nostalgische Gefühle entwickeln beim Gedanken an den damaligen Terror. Wir wollen den Terror der RAF aber hier in keinster Weise klein reden – im Gegenteil: Ich bin jetzt im Gespräch mit Wolfgang Kraushaar, dem Herausgeber und Mitautor des umfassenden 1400-Seiten-Werkes "Die RAF und der linke Terrorismus".

Wolfgang Kraushaar ist Politologe, arbeitet am Hamburger Institut für Sozialforschung und hat sich einen Namen gemacht mit seinen Forschungen über Protestbewegungen in der Bundesrepublik, vor allem der 68er Generation. Guten Tag, Herr Kraushaar

Wolfgang Kraushaar: Guten Tag Frau Schlesinger.

Schlesinger: Wie gesagt, das Buch heißt "Die RAF und der linke Terrorismus", beim Stichwort Terrorismus fällt uns erst mal der heutige Terrorismus von El Kaida und Co ein, und in der Tat, in den ersten Aufsätzen Ihres Buches geht es auch nicht speziell um den Terror der RAF, sondern eher um Vergleiche, der Terror damals und heute. Wenn man also die RAF und El Kaida vergleicht, was hat sich am Terrorismus geändert?

Kraushaar: Nun, man könnte beinahe sagen, fast alles hat sich verändert, vielleicht mit Ausnahme der beiden Hauptanschlagsziele, nämlich den USA oder US-amerikanische Einrichtungen und Israel. Israel ist nach wie vor – das sind vielleicht die Kontinuitätsmomente – im Visier des heutigen Terrorismus. Wenn man das vielleicht noch mal zurückblickend präzisieren darf: In den 70er Jahren hat es ja seitens der RAF zumindest so etwas gegeben wie die Schattenrisse politischer Zielsetzungen, es ging damals um die Beendigung des Vietnam-Krieges, es ging um die nationale Unabhängigkeit Palästinas, die weltweite Unterstützung einzelner Befreiungsbewegungen, die Bekämpfung von Ausbeutung und Unterdrückung und so weiter. Natürlich waren das auch alles ideologische Versatzstücke von einer Art militanter Selbstermächtigungsideologie, aber es war gleichzeitig auch anschlussfähig, zumindest an die politischen Überzeugungen bestimmter Länder, bestimmter Akteure. Das hat sich heute sehr stark verändert. Wenn wir an El Kaida oder vergleichbare terroristische Netzwerke der Gegenwart denken, dann geht es ja nicht mehr um erkennbare politische Ziele, sondern eher um verquaste religiöse Absichten. Und damit hängt etwas ganz entscheidendes zusammen: Nämlich die Entgrenzung von Zerstörungsmitteln und die Ausweitung, man könnte sagen der Kampfzone, und damit der Opferziele.

Schlesinger: Und bleiben wir noch ein wenig bei den Unterschieden, zum Beispiel was die Organisationsstruktur anbelangt. Die ist ja auch eine völlig andere bei El Kaida.

Kraushaar: Ja, man muss natürlich den Ursprung und die historische Genese dieser Gruppen mit im Auge haben. Bei der RAF ist es ja zweifelsohne so gewesen, dass sie aus den Resten der 68er Bewegung, der APO, entstanden ist, während El Kaida, man weiß das ja insbesondere in Bezug auf Osama Bin Laden, dass das die Verwicklung im Afghanistan-Krieg gewesen ist. Die Ursprünge sind völlig verschieden. Und unsere Erkenntnisse darüber, was die historische Entwicklung von El Kaida anbetrifft, sind viel begrenzter als die Erkenntnisse, die wir darüber haben, wie es in den frühen 70er Jahren zur RAF hat kommen können.

Schlesinger: Ein Kapitel heißt in dem Buch "Von der RAF zu El Kaida" und der Autor schreibt, dass der damalige Linksterrorismus provinziell gewesen sei. Was meint er damit?

Kraushaar: Er meint damit sicherlich eine Art Relativierung, eine nachträgliche Relativierung des Schreckens, der von den 70er und 80er Jahren ausgegangen ist. Das ganze Land war ja in Unruhe, man denke nur an die Ereignisse während der Schleyer-Entführung, des so genannten Deutschen Herbstes, als dann zusätzlich noch eine Maschine der Lufthansa nach Mogadischu entführt worden ist. Das schien einem so zentral zu sein, dass man fast den Eindruck damals hatte, es gebe überhaupt keine Steigerungsmöglichkeiten mehr. Nun wissen wir aber, dass sich tagtäglich Dinge abspielen, im Irak beispielsweise, die allein an Opferzahlen all das in den Schatten stellen, was jemals unter dem Vorzeichen de RAF geschehen ist.