"Der Computer zeichnet selber ja gar nicht"

Andreas Deja im Gespräch mit Alexandra Mangel · 14.04.2011
In Zeiten von 3-D-Animationen blieb Andreas Deja bei Disney immer beim Zeichentrick. Im neuen Winnie-Puuh-Film ist er für die Figur von dessen Freund Tigger verantwortlich: mit weißem Papier, Bleistiftanspitzer, Radiergummi und großer Begeisterung.
Alexandra Mangel: Herr Deja, Sie sind Chefzeichner bei Disney, und für diesen Film Animationsleiter für die Gestaltung von Puuhs Freund Tigger, man kann sagen, die wildeste, die impulsivste Figur des Films, die die Leinwand fast sprengt, wenn sie da auf ihrem eigenen Schwanz durchs Bild hüpft. Was heißt das konkret, was ist da ihre Aufgabe?

Andreas Deja: Bei diesem Film sah es ein klein wenig anders aus als bei herkömmlichen Zeichentrickfilmen, denn normalerweise ist die erste Aufgabe, die mir gestellt wird als leitender Phasenzeichner oder Chefzeichner, die Figur zu entwerfen, graphisch zu entwerfen.

Aber den Tigger gab es ja schon, und den Puuh gab es ja schon. Ich musste mich quasi so an die Vorlagen halten aus den drei Kurzfilmen der 60er-Jahre, und Gott sei Dank gibt es ja bei Disney ein Archiv, das hat so einen langen Namen, dieses "Walt Disney Animation Research Library", wo wir also wirklich noch alle Zeichnungen und Hintergründe und Gemälde aufheben von allen Filmen.

Ich konnte also ins Archiv gehen, mir die alten Tigger-Szenen noch mal anschauen, ausleihen, studieren, wie die Nase dann auf dem Gesicht sitzt, wie groß die Augen sind oft, und so weiter, und solche Details dann zeichnen zu lernen, und dann lege ich das Ganze auf die Seite und zeichne dann meine Version von der Figur.

Mangel: Sie haben eben schon die Walt-Disney-Kurzfilme aus den 60ern erwähnt, nun gibt es ja auch diese wunderbaren Originalzeichnungen von Ernest Shepard zu Milnes Kinderbuch aus den 20er-Jahren. Haben die Sie auch interessiert für diesen Film?

Deja: Ich habe die mir damals angeschaut, ich mochte die immer schon, die Zeichnungen, weil die so unglaublich sensibel sind und kindgerecht und ohne kindisch zu sein. Ich fand die immer sehr, sehr schön eigentlich. Die Zeichnungen mussten damals die alten Disney-Zeichner studieren, denn die wollten die Disney-Versionen von ihren Figuren basieren lassen auf die Shepard-Zeichnungen. Wir mussten uns so ein klein wenig an die alten ersten Disney-Versionen halten.

Mangel: Wenn man das Programmheft liest, dann fällt auf, wie stark betont wird, dass die Figuren im klassischen Disney-Stil liebevoll von Hand gezeichnet sind. Ist die handgezeichnete Animation heute eine solche Ausnahme, dass man das so betonen muss?

Deja: Ich glaube schon, denn wenn man sich die Trickfilme anschaut, die ja regelmäßig heute in die Kinos kommen – ich glaube, 99 Prozent sind ja schon computeranimiert heutzutage –, der handgezeichnete Film ist schon seltener geworden. Ich habe mal versucht, selber Computertechnik zu lernen, Computeranimationstechnik, vor einigen Jahren, und habe dann nach zwei, drei Abenden eingesehen, dass ich das lernen kann, oder lernen könnte, dass es mir aber weniger Spaß machen würde.

Das ist irgendwie weniger spontan als mit dem Papier und mit dem Bleistift, das ist ein bisschen kalkulierter, und ich habe mich dann entschieden, okay, das ist eine Art des Trickfilms für andere Leute, das können andere machen, ich bleibe lieber beim Zeichentrick.

Mangel: Der Grund, warum Sie vor ein paar Jahren sich mit Computeranimation auseinandergesetzt haben, war ja, dass der damalige Disney-Chef Michael Eisner entschieden hatte, die langjährige Zeichentricktradition von Disney zu beenden und komplett auf Computeranimationen in 3-D-Verfahren umzusteigen. Wie haben Sie die Phase damals erlebt im Hause Disney?

Deja: Ja, das war vor einigen Jahren nicht so ganz einfach, ich war, glaube ich, sogar für zwei Jahre lang der einzige Trickfilmzeichner, oder der letzte Trickfilmzeichner bei Disney. Das ist eine ganz komische Ehre. Ich habe ...

Mangel: Die Anderen sind gegangen?

Deja: Die Anderen sind gegangen oder umgeschwenkt auf Computeranimation. Und ich wollte das also nicht machen, habe aber dann damals doch noch bei Disney irgendwie immer Zeichenarbeit gefunden. Ob es jetzt eine Titelsequenz war für einen Film, oder wir hatten eine Gruppe von Künstlern, die in Sydney, Australien an einem zweiten Teil für "Bambi" gearbeitet haben, dann bin ich da runtergegangen, hab denen so ein klein wenig ausgeholfen. Und irgendwann mal war dann aber auch wirklich nichts mehr da zu zeichnen.

Und ich dachte mir, okay, Plan B, dann gehst du halt nach hause und arbeitest an eigenen Kurzfilmen, und dann hatten wir auf einmal in der nächsten Woche einen Wechsel im Management, das heißt, Pixars Management war dann auf einmal auch unser Management.

Mangel: John Lasseter kam als neuer Disneychef.

Deja: Genau so war es. Und eine seiner ersten Ankündigungen war damals, dass wir bei Disney jetzt nicht nur computeranimierte Filme machen, sondern auch weiterhin Zeichentrickfilme, und das war natürlich eine gute Ankündigung.

Mangel: Hat Sie das damals komplett überrascht, dass ausgerechnet der Pixar-Chef, der für Digitalproduktionen wie "Toy Story", "Findet Nemo", die ja äußerst erfolgreich waren, zuständig war, dass der die Wende zurück zur Zeichnung verursachte?

Deja: Ich fand es ironisch, dass der weltweite Computeranimationsguru nach Disney zurückkommt und dann wieder diese alte Technik einführt. Aber andererseits muss man verstehen, dass John Lasseter mit den alten Klassikern ja auch aufgewachsen ist, ob es jetzt "Pinocchio" ist oder "Dschungelbuch" oder "Cinderella", und die er natürlich auch sehr mag, und er meint auch, dass es wirklich ein großer Teil von Disney ist, weiterhin Zeichentrickfilme zu machen, das wichtig ist. Und die Meinung habe ich natürlich auch.

Mangel: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" mit dem Disney-Chefzeichner Andreas Deja. Er zeichnet im neuen Winnie-Puuh-Film, der jetzt in den Kinos anläuft, für die Figur Tigger verantwortlich. Herr Deja, würden Sie sich zutrauen, auch noch in zehn, in 20 Jahren, wenn die Technik sich noch weiter entwickelt hat, in jedem Fall unterscheiden zu können: Dieser Trickfilm ist handgezeichnet und der ist computeranimiert?

Deja: Doch, ich glaube schon, weil der Computer – auch wenn ich dem Computer Zeichnungen gebe und sage, mach mir doch diese In-Betweens, diese Zwischenphasenzeichnungen, dann macht der das so automatisiert, dass die Bewegung letzten Endes unnatürlich aussieht.

Wenn man wirklich das Gespür oder das Gefühl haben will in einem Film, wie bei diesem Winnie-Puuh-Film oder wie "Das Dschungelbuch" oder "Robin Hood" oder wie auch immer, dann muss man die Sachen wirklich alle selber zeichnen, denn der Computer zeichnet selber ja gar nicht.

Mangel: Wie stark setzen Sie denn Computerverfahren für die Nachbearbeitung der Zeichnungen ein?

Deja: Eigentlich sehr viel. Die Zeichentrickarbeit für uns hat sich eigentlich überhaupt nicht geändert. Wir zeichnen weiter noch an diesen alten Disney-Zeichentischen aus den 40er-Jahren, haben da einen ganzen Stapel mit weißem Papier, Bleistiftanspitzer, Radiergummi, und arbeiten da an unseren Skizzen und denken aber auch gleichzeitig nicht irgendwie, okay, bis um fünf Uhr heute Abend muss ich noch 35 Tigger zeichnen.

Das geht uns nicht durch den Kopf, sondern wir denken wirklich, was geht in der Figur vor, was geht in dem Kopf vom Tigger vor, wie fühlt er sich jetzt gerade in dieser Situation, in dieser Szene, wie fühlt der Tigger sich zur anderen Figur, die vielleicht auch in der Szene drin ist? Das Zeichnen ist eigentlich so Nebensache, das läuft so nebenbei her.

Mangel: Sie selbst sind als Kind ja im Kino durch "Das Dschungelbuch" für immer für den Zeichentrickfilm entflammt. Sie haben dann schon als kleiner Junge an Disney geschrieben und sind von den Kollegen auch gleich in den Zoo zum Naturstudium geschickt worden. Heute wachsen Kinder ja mehr vor dem Bildschirm und sehr viel mit Computerbildern auf. Glauben Sie, dass dieser alte Bilderzauber da noch wirkt?

Deja: Ich habe ihn wirken sehen, zum ersten Mal letzten Sonntag, da hatten wir eine Vorstellung von "Winnie the Pooh" in London im Britischen Filminstitut, das war ein riesengroßes Kino mit Familien, mit Kindern, mit Teenagern, und es wurde so viel gelacht in dem Film, vor allem die Kinder, dass ich mir sagte, den Kindern ist es glaube ich egal, ob es computeranimiert ist oder von Hand gezeichnet, die wollen ganz einfach gute Figuren sehen, mit denen sie sich identifizieren können, eine gute Story, das sind so die Sachen, die bei Kindern, glaube ich, mehr zählen als die Art des Zeichentricks.

Mangel: Was war es bei Ihnen denn damals eigentlich genau, was Sie so gepackt hat, als Sie da als Kind im Kino saßen und "Das Dschungelbuch" gesehen haben?

Deja: Ich war immer schon ein Disney-Fan, auch als kleines Kind, habe aber nie einen Disney-Film im Kino gesehen. Unsere Eltern haben meine Schwestern und mich nie ins Kino genommen und es war nicht so deren Sache, habe aber damals so die ersten Ausschnitte aus Disney-Filmen in Quizsendungen gesehen, wie "Einer wird gewinnen" mit Hans-Joachim Kulenkampff. Der hatte so oft Quizfragen mit Disney-Themen, und ich war schon damals vollkommen fasziniert. Ein kleiner Ausschnitt von "Bambi" hat mich schon damals umgehauen.

Aber dann wirklich im Alter von elf zum ersten Mal diesen vollen, farbigen Zeichentrickfilm zu sehen, das war überwältigend und das war halt meine Sache, ich wollte so was auch machen.

Mangel: Ist das diese fantastische Fantasiewelt, die da ...

Deja: Halt die Faszination: Wie kann so was überhaupt funktionieren, dass man wirklich zeichnet, und danach einen bestimmten Ablauf von Zeichnungen zeigt auf der Leinwand, und die Figuren, die bewegen sich nicht nur, die haben auch eigene Entscheidungen und Freundschaften zueinander und Gefühle.

Ich fand also diesen ganzen Vorgang, die Idee des Disney-Zeichentrickfilms so faszinierend, das musste ich einfach machen.

Mangel: Sie fühlen sich da rein wie ein Schauspieler, eigentlich.

Deja: Genau. Wir denken auch eigentlich oder wissen, dass wir eigentlich mehr Schauspieler sind als Zeichner, denn das – wie gesagt – das Zeichnerische ist eigentlich schon Nebensache.

Mangel: Ihr Ausbildungsweg lief ja nach den Zoobesuchen über ein Grafikstudium an der Folkwang-Schule in Essen und von da sind Sie direkt bei Disney gelandet. Ist eine solche Karriere heute noch möglich?

Deja: Doch, ich glaube schon, man muss nur sich über den Durchschnitt so ein klein wenig abheben. Das wusste ich damals nicht, dass ich das konnte. Ich habe mir immer damals eingeredet, okay, nach Amerika zu gehen und da für Walt Disney zu zeichnen, das ist ein riesengroßer Traum. Die Familie sagt dir, ja klar, das wird passieren, auf jeden Fall, und das meinen die natürlich ironisch. Freunde sagen auch, du spinnst wohl! Und dann habe ich mir damals überlegt, klappen wird es wahrscheinlich nicht, aber versuch es auf jeden Fall mal, das war so meine Einstellung.

Dann habe ich aber Arbeitsproben zusammengestellt, damals in meinen Studienjahren an der Folkwang-Schule, habe die ans Studio geschickt, und zwar zu dem Ausbilder des Trainingsprogramms damals, der hieß Eric Larson, das war einer der alten Disneyzeichner, und dann kam auch ...

Mangel: ... einer der ganz berühmten.

Deja: ... einer der ganz berühmten, der schon die Katze in "Pinocchio" gezeichnet hat, Figaro, und die Geier im Dschungelbuch, und so weiter. Und dann kam auch eine Antwort zurück – ganz überraschend –, und dann sagte er noch, vielen Dank für die Sendung von deinen Sachen, und ich glaube, du hast das Zeug dazu. Er sagte, mach erst mal die Schule fertig, und dann nehmen wir dich auf ins Ausbildungsprogramm hier bei Disney.

Mangel: Haben Sie heute noch Zeit für Naturstudien, oder sehen Sie sowieso schon alles durch die Disney-Brille?

Deja: Nein, Naturstudien sind immer der Aufhänger überhaupt, oder die Voraussetzung. Im Augenblick habe ich gerade eine ganze Serie an Tierskizzen mit Löwen und Hyänen und Geparden fertiggestellt. Und zwar im Zusammenhang mit einem Disney-Naturfilm, der wird hier, glaube ich, entweder Ende des Jahres oder Anfang nächsten Jahres rauskommen, der heißt "African Cats", ist ein ganz fantastischer Film, und das Studio wollte also meine Skizzen zur Promotion für den Film anwenden.

Mangel: Dankeschön für das Gespräch! Andreas Deja, Chefzeichner bei Disney und im neuen Winnie-Puuh-Film, der heute in den Kinos anläuft, hat er den Tigger gezeichnet. Dankeschön.

Deja: Danke auch!
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