Der Camorra-Kritiker will nicht aufgeben

07.02.2012
Seit dem Erscheinen seines Buchs "Gomorrha" über die neapolitanische Camorra lebt Roberto Saviano mit Personenschutz. Nun ist sein neues Buch auf Deutsch erschienen - eine schriftliche Fassung von TV-Vorträgen, mit denen Saviano in Italien enorme Einschaltquoten erzielte.
Roberto Saviano ist längst eine Ikone. Vor allem für die jüngere Generation bot er in der Spätphase der Ära Berlusconi ein Gegenmodell: Er trat auf als jemand, der Missstände ungescheut benannte, auf die Unterwanderung demokratischer Strukturen durch die organisierte Kriminalität hinwies, eine Kultur der Legalität propagierte und an staatsbürgerliche Ideale appellierte. Der vorläufige Höhepunkt seiner Karriere als Schriftsteller und Journalist war die Fernsehsendung "Vieni via con me" (deutsch: "Komm weg mit mir"). 2010, die über elf Millionen Zuschauer erreichte und sogar die Einschaltquoten der Champions League übertrumpfte. Ein unerhörter Erfolg, der zugleich belegte, wie verzweifelt die Lage war.

Roberto Saviano, Jahrgang 1979 und nach 2006 mit seinem Buch "Gomorrha" über die neapolitanische Camorra international bekannt geworden, nutzte seine Popularität, bot eine Plattform für einen politischen Dialog und zählte zu den wenigen Gegenstimmen im komplett berlusconisierten Einerlei der Medien. In seiner Sendung operierte er weder nach dem üblichen Programmschema eines Magazins mit schnellen Schnitten und einer Fülle von Themen, noch hielt er sich an das Format einer Durchschnittstalkshow.

Zwar gab es eine ganze Riege illustrer Gäste, wie den Hoffnungsträger der Linken und Präsidenten der Region Apulien Nichi Vendola, den Schauspieler Roberto Benigni, den Dirigenten Claudio Abbado und den ehemaligen Berlusconi-Verbündeten und Vertreter der Rechten Gianfranco Fini. Aber im Mittelpunkt stand jedes Mal ein langer Monolog Savianos. Diese kleinen Vorträge erschienen kurz nach der Ausstrahlung der Sendung in Italien als Buch und liegen jetzt auf Deutsch vor - unter dem aktionistisch angehauchten Titel "Der Kampf geht weiter".

In neun Kapiteln behandelt Saviano die Frage der Einheit Italiens, die Ermordung des Antimafia-Richters Giovanni Falcone 1992, die Arbeitsweise der kalabresischen `Ndrangheta, das Giftmüllgeschäft, das Erdbeben von l'Acquila, die Potenziale Süditaliens, das Recht auf Selbstbestimmung in der Intensivmedizin und den Zustand der Demokratie. Seine Schwerpunkte sind einerseits seinen eigenen Interessen geschuldet, nehmen andererseits Bezug auf Ereignisse im Jahr 2010. Der Schriftsteller erzählt den Italienern Italien und macht sie darauf aufmerksam, dass es sich lohnt, sich als handelndes Subjekt zu begreifen. Dabei erlaubt er sich auch pathetische Gesten. So anschaulich er in seiner Darstellung ist, so schlicht ist die (fernsehgemäße) sprachliche Gestaltung.

Die Lektüre erzeugt heute einen eigentümlichen Effekt, denn das Buch wurde von den aktuellen Ereignissen überholt. Der italienische Ministerpräsident heißt mittlerweile Mario Monti, in Neapel regiert der ehemalige Staatsanwalt Luigi de Magistris, und gern wüsste man, ob Saviano jetzt einen Wandel erkennt. Dass seine Forderungen mehr denn je gelten und viele der Probleme mitnichten behoben sind, versteht sich von selbst. Italien braucht eine moralische Erneuerung. Saviano hat einen Anfang gemacht, vielleicht ist ihm sein Land endlich auf den Fersen.

Besprochen von Maike Albath

Roberto Saviano: Der Kampf geht weiter
Aus dem Italienischen übersetzt von Friederike Hausmann und Rita Seuß
Carl Hanser Verlag München 2012
176 Seiten, 17, 90 Euro
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