Der "bessere Schlingensief"

Von Bettina Ritter · 10.08.2006
Er gründet eine Ich-AG, schreibt Rechnungen an die Bahn für "ungewollten Lebenszeitverlust durch Warten" und macht Fernsehen ohne Kamera. Jetzt hat Peter Kees, der sich selbst für den besseren Schlingensief hält, die Botschaft des utopischen Landes Arkadien eröffnet, für das nur Lebenslustige ein Visum bekommen.
"Man kommt auf diese Welt und hat sich's eigentlich nicht ausgesucht und erfährt dann verschiedene Grenzen. Eine ganz große Grenze ist die, dass man irgendwann sterben muss und auch damit muss man sich irgendwann beschäftigen."

Peter Kees, 40 Jahre, blau-beige gestreiftes Hemd mit offenen Manschettenknöpfen, kurze blonde Haare, schwarz geränderte Brille, sitzt in seinem Lieblingslokal im Berliner Prenzlauer Berg und zieht genüßlich an seiner Zigarette. Er überlegt. Was treibt ihn zu seinen Aktionen an?

"Wir werden ja heute alle wie so Halbgötter geboren und denken, alles ist möglich, und dann kann man ja an der Realität sehen, wie's ist. Ob's soziale Grenzen sind, ob's ökonomische Grenzen sind, was auch immer, politische Grenzen. Auf jeden Fall sind das erstmal so Gegebenheiten, wo ich mir denke, Moment mal, was ist das denn. Und dann stelle ich einfach nur ein Fragezeichen auf."
"Guten Abend meine Damen und Herren, ich darf sie ganz herzlich begrüßen zum ersten öffentlichen Ersatzfernsehen, TV-Real."

Peter Kees' Projekt "TV Real" ist eines dieser Fragezeichen. Seit vier Jahren lädt er meist unbekannte, aber immer interessante Menschen in seinen "Fernseher" ein. Hinter einer großen Fensterscheibe sitzend, interviewte er bereits 200 Leute an wechselnden Spielstätten, etwa in Berlin, Görlitz, Hamburg und Mannheim. Ein realer Fernsehersatz inmitten einer medialen Mediendemokratie, so der Künstler.

"Wer die Sendung schon gesehen hat, wer den ein oder anderen Abend hier verbracht hat, weiß, dass es sich bei TV Real um eine Weltpremiere handelt. Denn zum ersten Mal in der Mediengeschichte findet Fernsehen ohne Fernsehen statt, ohne Kameras und ohne Übertragung."

Ein weiteres großes Fragezeichen setzte Kees mit seiner Ich-AG-Aktion. Er erklärte sein eigenes Leben zur Ich-AG und stellte Rechnungen aus, unter anderem an Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder für "künstlerische Beiträge im Zusammenhang mit der dadurch entstandenen Aufwertung der BRD" oder an Bahn-Chef Hartmut Mehdorn für "ungewollten Lebenszeitverlust durch Warten". Auch der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, bekam Post, erzählt Kees schmunzelnd.

"Wowereit hat mir zunächst schreiben lassen, wie die Ich-AG wirklich funktioniert. Da bekam ich einen ganz dicken Brief, wo drauf stand, wie die Ich-AG eigentlich gemeint ist, eh die Ironie begriffen wurde. Die Deutsche Bahn hat mir am Ende einen Reisegutschein über 10 Euro geschickt, obwohl ich da annähernd 100.000 berechnet habe."

Peter Kees wurde im bayerischen Bayreuth in eine Beamten-Familie geboren. Beruflich ist er das schwarze Schaf. In der Kleinstadt fühlte er sich mit seinen künstlerischen Ambitionen bald in die innere Emigration getrieben. Als Ventil halfen die Bayreuther Festspiele, bei denen er als Statist arbeitete. Er studierte Regie, Musikwissenschaft, Philosophie und Kunst, machte viel freies Theater, bevor er seine ganz eigene Richtung fand. Beim Wort Aktionskunst zieht Kees aber die Stirn in Falten. Er zieht "Interventionskunst" vor.

"Ich mag ja diese Begriffe überhaupt nicht. Was mich nicht interessiert, ist dieses Bedienen der Kulturindustrie. Ich mache nicht Kunst, um zu verkaufen. Da kann ich auch 'n Schuhladen aufmachen und dann rote Schuhe verkaufen. Ich versuche letztlich mich einzubringen in gesellschaftliche Prozesse und mich da irgendwie zu verhalten und zu äußern, und da meine Meinung zu sagen."

Bayreuth ließ den Künstler nicht los. Als Christoph Schlingensief, ebenfalls berühmt-berüchtigt für seine aufsehenerregenden Aktionen, zwischenzeitlich als Parsifal-Regisseur im Sommer 2004 ausfiel, erklärte sich Kees unaufgefordert bereit, dessen Job zu übernehmen. Mit überwältigendem, internationalen Medienecho, erinnert er sich amüsiert.

"Schlingensief ist natürlich ein unglaublicher Selbstinszenator, der beherrscht das perfekt und der will das auch. Und das sehe ich unglaublich kritisch. Ich versuche da, ein ganz normaler Mensch zu sein. Ich will ja gar nicht der große Künstler sein. Oder doch? Auf jeden Fall bin ich der bessere Schlingensief!"

Heute will Kees keine Protest-Aktionen mehr. Vor kurzem hat er eine Botschaft Arkadiens in Berlin eröffnet und sich selbst zum Botschafter ernannt. Arkadien, das in der Kunst von Goethe über Novalis bis hin zu Shakespeare für eine friedliche Gegenwelt voll Glück steht. In seinem "Embassy of Arcadia" verteilt Kees Papiere mit Anträgen. Lebenslustige erhalten Visa. Glücklosen, Sinnsuchern, Utopisten, Träumern, Schutzsuchenden und eiskalten Realisten wird Asyl gewährt.

"Kritisch zu sein und Fragezeichen zu setzen und zu intervenieren ist nach wie vor sehr wichtig, aber ich glaube einfach, irgendwann ist man's auch leid immer kritisch zu sein und zu sagen, das find ich nicht gut. Irgendwann muss man dann auch Antworten geben. Und ich versuche, damit einfach auch 'ne Antwort zu geben."