Der Berliner Dialog der Religionen

Von Matthias Bertsch · 22.01.2011
Gerade in Großstädten, und besonders in Berlin, ist die religiöse Vielfalt enorm: Mehr als 250 Religionsgemeinschaften sind hier verzeichnet – und das, obwohl rund 60 Prozent der Bevölkerung keinerlei Religionsgemeinschaft angehören. Berlin ist damit die Stadt mit der größten religiösen Vielfalt in Europa. Allerdings heißt Vielfalt nicht unbedingt Austausch - bis jetzt.
Ein Dialog der Religionen muss sein, darin sind sich alle am Gespräch Beteiligten einig. Und noch etwas ist Common Sense unter den dialogbereiten Gläubigen: Es geht nicht darum, den anderen von der Überlegenheit der eigenen Religion zu überzeugen.

"Jeder hat einen Wahrheitsanspruch, auf alle Fälle, aber das hindert uns nicht, miteinander ins Gespräch zu gehen, und auf dieser Augenhöhe ist es eben wirklich wichtig, dass ich den anderen auch wirklich wertschätze in der Eigenerklärung, wie er sich sieht, und dass ich mich dann abgrenze, ist gar nicht so schlimm, das festigt eben mein Eigenes, aber ich weiß dann eben, wie der andere tickt, sag ich mal ganz salopp, das ist dann der Grund dafür, dass wir uns nicht die Köpfe einschlagen, ja."

Tuba Isik-Yigit ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für komparative Theologie und Kulturwissenschaften an der Universität Paderborn und Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz. Die 29-jährige Muslima blickt schon auf zehn Jahre Dialog-Erfahrung zurück – mit gemischten Gefühlen.

"Wenn man dann die Dialog-Gespräche hat und die Menschen sich erklären, sag ich mal, also eigentlich gar kein richtiger Dialog geführt wird, sondern eher ein Sich-Rechtfertigen und dann denkt man irgendwann: 'Hier 11. September, das könnt ihr nicht in meine Schuhe schieben!', sondern ich hab das jetzt mal erklärt, dass auch der Islam die Gewalt zum Beispiel verurteilt, aber wenn dennoch die Muslime immer wieder darauf reduziert werden, wenn jetzt irgendein Anschlag passiert, zum Beispiel jetzt der aktuelle Anschlag an die Kopten in Ägypten, das waren Muslime, sie wieder gebrandmarkt werden, oder gesagt wird: Jetzt müsst ihr Mal Stellung nehmen, also dann frag ich mich, warum haben wir diese ganzen Gespräche geführt?"

Vorbehalte gegenüber dem Islam spielten bei der Auftaktveranstaltung des Berliner Dialogs der Religionen eine erstaunlich geringe Rolle, obwohl es die Initiative des Senates ohne die Debatte um den 11. September und andere im Namen des Islam verübten Anschläge nicht gäbe, wie der Regierende Bürgermeister in einem Grußwort andeutete. Doch wer darauf beharrt, den Islam als eine intolerante, wenn nicht gewaltbereite Religion zu sehen, wird einem wirklichen Dialog mit den Muslimen nicht gerecht, so der Direktor der Evangelischen Akademie zu Berlin, Rüdiger Sachau:

"Ich glaube, dass die Muslime selber Leidtragende dieser Anschläge sind, die sie verurteilen, weil so eine Hermeneutik des Verdachts gegenüber allem, was muslimisch ist, eingetreten ist, also wenn sie was Gutes sagen, sich solidarisch zeigen mit den Opfern, die Anschläge verurteilen, dann sagt man: Das sagen sie ja nur so, und wenn sie nichts sagen, sind sie sowieso schon verloren."

"Ich muss ehrlich sagen, dass natürlich auch eine bestimmte Tendenz in der Presse kontraproduktiv ist, indem sie bestimmte Ängste verstärkt, statt das Gemeinsame zu betonen oder auch positive Beispiele von Dialog und Zusammenleben zu zitieren", ...

... die Pfarrerin der evangelischen Kirche Genezareth in Berlin-Neukölln, Elisabeth Kruse, die in ihrer Kirchengemeinde ein Interkulturelles Zentrum betreibt, ist nicht die Einzige, die die Medien dafür mitverantwortlich macht, dass aus Unkenntnis oft Angst wird - und nicht Neugier, wie von den Initiatoren des Berliner Religionsdialogs gewünscht.

Doch auch jenseits der islamkritischen Berichterstattung in den Medien bleibt die Frage, ob das Angebot eines interreligiösen Dialogs ausreicht, um Menschen neugierig zu machen – gerade dort, wo das Gespräch vielleicht am Nötigsten wäre: zum Beispiel in den Berliner Bezirken Neukölln und Wedding, in denen sich Armut mit Arbeitslosigkeit und einer hohen Zuwandererdichte verbindet. Ein Dialog mache nur dann Sinn, wenn es auch ein gemeinsames Anliegen gebe, betont die Weddinger Quartiersmanagerin Katja Niggemeier:

"Nicht der Dialog um des Dialogs willen, dass man sagt: Ich bin jetzt mal neugierig, was machen die dort oder dort oder wie sehen sie bestimmte Dinge hier oder dort, sondern was kann man gemeinsam besser erreichen, als wenn man es eben alleine macht, auch auf einer Stadtteilebene, und ich glaube, wenn man da was findet, dann macht so ein Dialog auch Sinn und spricht auch viele, unter Umständen auch über ihre Vorurteile hinaus hin an."

Um Vorurteile möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen und Neugier für andere Kulturen und Religionen zu wecken, müsse früh angesetzt werden, ist der Religionspädagoge und Direktor der Hamburger Akademie der Weltreligionen, Wolfram Weiße, überzeugt:

"Ein zentraler Ort, an dem Neugierde geweckt und auch befriedigt wird, das ist die Schule. Ich denke, die Schule als Bildungsorganisation baut ja gerade darauf, dass Kinder dann in die Schule kommen, was wissen wollen, Erfolgserlebnisse haben, nach einigen Jahren ist es oft der Fall, dass die dann auch keine Lust mehr haben dann, aber im Prinzip ist das doch das Bildungsdenken, dass wir in der Schule sozusagen ein Angebot machen, bei dem Jugendliche sagen: Ach, das ist interessant."

Die Schule als Ort eines interkulturellen Kennenlernens. Das klingt gut, sieht in der Praxis aber oft anders aus. Deutschstämmige Eltern mit einem höheren Bildungsabschluss meiden Schulen mit einem hohen Migrantenanteil, weil deren Ruf meist sehr schlecht ist. Rüdiger Sachau:

"Mancher nimmt das auch ein bisschen als Schutzbehauptung für so etwas wie eine dialogische Faulheit, aber das andere ist ganz klar: Ich will als Elternteil natürlich für mein Kind eine gute Bildung, und ich guck mir an, wie ist die Schule."

Wie die Neugier auf andere Religionen bei denen geweckt werden kann, die am Austausch kein Interesse haben, sondern lieber in der Sicherheit der eigene Religion oder Weltanschauung bleiben, mit dieser Frage hat sich der Berliner Dialog der Religionen bislang nicht ernsthaft beschäftigt. Dass das Gespräch notwendig ist, liegt nahe: Wie sollen Klischees und Vorurteile korrigiert werden, wenn nicht durch das Reden miteinander – und nicht übereinander? Ein solcher Dialog, so der Religionspädagoge Weiße, kann zwar keine Wunder bewirken, aber vielleicht manchem Unheil vorbeugen:

"Wenn die Arbeitsplätze insgesamt knapper werden, dann kann sich sehr leicht so ne Sündenbockmentalität herausbilden und keiner hat dafür Patentrezepte, aber es ist gut, wenn man noch in relativ ruhigen Zeiten den Dialog für möglichst viele möglich macht, damit so eine Erfahrung schon mal gewonnen worden ist, die dann die kollektiven Vorurteile nicht überhandnehmen lässt."