"Der Begriff 'Rasse' kann nicht unschuldig verwendet werden"

Heiner Bielefeldt im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 08.09.2008
Heiner Bielefeldt, der Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte, hat dazu aufgerufen, das Wort "Rasse" zu vermeiden. Es gehe nicht nur um die Bereinigung von Gesetzestexten, sondern sprachliche Sensibilität. Der Begriff "Rasse" habe immer dazu gedient, Menschen abzuwerten und auszugrenzen, sagte Bielefeldt.
Klaus Pokatzky: Ein Wort soll aus unserem Sprachgebrauch verschwinden, das Wort Rasse. Verschwinden soll es gerade auch aus Texten, die den Rassismus ächten. Darüber möchte ich jetzt sprechen mit Heiner Bielefeldt, den ich im Studio willkommen heiße. Guten Morgen, Herr Bielefeldt.

Heiner Bielefeldt: Guten Morgen, Herr Pokatzky.

Pokatzky: Sie sind Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin, das auf einen Beschluss des Deutschen Bundestages vor sieben Jahren als nationale Menschenrechtsinstitution gegründet wurde. Nun appellieren Sie an die Bundestagsabgeordneten, dass sie das Grundgesetz und weitere Gesetze sprachlich bereinigen sollen. Das Wort "Rasse" soll verschwinden. Welches Wort soll an seine Stelle treten?

Bielefeldt: Nun, da kann man sich Unterschiedliches vorstellen. In Europa gibt es einige Staaten, die haben es tatsächlich geschafft, bei der Umsetzung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinien diesen Begriff zu vermeiden und haben dann zum Beispiel gesprochen von ethnischer Herkunft, ethnischer Identität, da gibt es verschiedene Varianten. Übrigens, über Rassismus wird man nach wie vor reden müssen. Wenn man sagt, wir reden nicht mehr über Rasse, dann heißt das nicht, wie manche befürchten, dass man Rassismus nicht mehr offen ansprechen könnte.

Ein kleiner Punkt noch. Sie sagten, wir appellieren an die Bundestagsabgeordneten. Wir wollen zunächst mal breiter eine Diskussion darüber anstoßen, dass wenn man sich gegen Rassismus wendet und das setzt ja vieles voraus, dass man dann konsequenterweise auch den Begriff vermeiden sollte, der so ein Träger rassistischer Ideologien geworden ist. Es geht nicht nur um jetzt Bereinigung von Gesetzestexten, sondern einfach ein Stück um sprachliche Sensibilität, aber vor allem um Konsequenz im Bemühen, im Kampf gegen Rassismus, was ja vieles bedeutet, nicht nur und nicht in erster Linie die Sprache.

Pokatzky: Was ist denn so das Verwerfliche an dem Wort Rasse?

Bielefeldt: Na ja, es bedeutet, und zwar von Anfang an, dass Menschen sortiert werden, dass Menschen kategorisiert werden, und zwar meistens so, dass die einen dann in der oberen Kategorie sind, andere vielleicht in der mittleren Kategorie und einige ganz unten, die Schwarzen zum Beispiel. Das kann man schon in den entsprechenden Kategoriensystemen des späten 18. Jahrhunderts finden. Die Vorstellungen, dass es überhaupt wesentlich sei, bei Menschen über solche möglicherweise aufzufindenden biologischen Differenzen zu reden. Einen Menschen danach zu sortieren, das ist schon verwerflich, dem Bedeutung zu geben.

Und deshalb, man muss Rassismus bekämpfen und man muss sich auch überlegen, was das sprachlich bedeutet. Der Begriff "Rasse" ist ein Begriff, von dem man nicht sagen kann, dass er in irgendeiner Weise unschuldig verwendet werden kann. Er ist immer gewesen und nicht nur in Deutschland Träger rassistischer Abwertung, rassistischer Ausgrenzung.

Pokatzky: Aber wenn Sie jetzt das Wort "Rasse" durch den Begriff ethnische Herkunft ersetzen wollen, dann kommen wir ja gleich auch wieder in eine Zwickmühle. Dieser Begriff ist ja spätestens seit den ethnischen Säuberungen auch historisch belastet. Wird da jetzt nicht ein sprachlicher Teufel durch einen verbalen Beelzebub ausgetrieben?

Bielefeldt: Ja, das mag ja sein. Ich glaube im Übrigen, dass Rassismus mit allen sprachlichen Varianten einhergehen kann. Es ist nicht so, dass durch die Ersetzung dieses Begriffs allein schon was gewonnen wäre. Das wäre ganz naiv zu meinen, jetzt in erster Linie bei der Sprache anzusetzen und dann hätten wir das Problem gelöst. Das ist unsinnig. Man kann über verschiedene sprachliche Varianten nachdenken, sie alle haben ihre Pferdefüße. Es gibt auch keinen Begriff, wo wir als Institut sagen, okay, das ist die Lösung schlechthin.

Uns geht es zunächst mal um eine Debatte. Rassismus kann es in allen möglichen semantischen Feldern geben. Aber eins ist klar, der Kampf gegen Rassismus kann nicht glaubwürdig geschehen, wenn man an diesem so belasteten, von Anfang an so vergifteten Begriff der "Rasse" festhält. Das ist schon gut, über Varianten nachzudenken, auch wenn wir für uns nicht in Anspruch nehmen, die ideale Lösung zu haben. Und wenn wir erst recht nicht so naiv sind zu glauben, dass über sprachliche Bereinigung die gesellschaftlichen Probleme schon gelöst wären.

Pokatzky: Das ist ja ganz sicherlich auch noch ein unglaublich langer Weg dahin. Dass ja gerade Antirassismustexte den Begriff Rasse immer noch verwenden, führt ja auch zu unglaublichen Verrenkungen. In der EU-Richtlinie "zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder ethnischen Herkunft" aus dem Jahr 2000 heißt es: "Die Europäische Union weist Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz verschiedener menschlicher Rassen zu belegen, zurück. Die Verwendung des Begriffs 'Rasse' in dieser Richtlinie impliziert nicht die Akzeptanz solcher Theorien." Und verwendet wird der Begriff dann munter. Wie optimistisch sind Sie denn, wenn Sie jetzt mal wirklich eine realistische Zeitschiene aufmachen sollten, dass Sie irgendwann Politiker mit Ihrem Vorstoß vielleicht doch überzeugen könnten, dann zumindest in den eigenen Texten ein bisschen logischer zu verfahren?

Bielefeldt: Na ja, die Tatsache, dass man zu solchen Verrenkungen Zuflucht nimmt, wie Sie gerade sie zitiert haben, zeigt ja, dass es eine gewisse Sensibilität gibt. Den meisten ist ja doch ein bisschen unbehaglich dabei, diesen Begriff zu verwenden und dann gibt es eben diese etwas verklemmten Fußnotenklarstellungen. Wir meinen nicht, Punkt, Punkt, Punkt. So ein gewisses Bewusstsein ist ja da. Das stimmt mich optimistisch und außerdem stimmt mich doch optimistisch, dass in Österreich das gelungen ist, dass in Finnland das gelungen ist, jetzt jedenfalls bei der Umsetzung der EU an die Diskriminierungsrichtlinien, diesen Begriff zu vermeiden. Es gibt Beispiele dafür in anderen europäischen Ländern.

Eigentlich gibt es kein Argument an diesem verkorksten und wie gesagt vergifteten Begriff festzuhalten. Ich glaube nicht, dass wir das in kurzer Zeit erreichen werden. Ich meine, die Politik hat im Moment offenkundig, sagen wir mal, etwas handfestere Probleme noch zu lösen. Aber es gehört schon zur Glaubwürdigkeit der antirassistischen Orientierungen dazu, dass man eben auch darüber sich nicht nur Gedanken gemacht, sondern ab und zu mal ein paar Entscheidungen fällt. Ich hoffe, dass wir das dann doch mittelfristig mal hinkriegen, auch da in den Gesetzestexten mehr Klarheit zu schaffen.

Pokatzky: Ich spreche mit Heiner Bielefeldt, dem Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte über das Unwort "Rasse". Herr Bielefeldt, Sie sind Theologe, Philosoph und Historiker. Sie waren vor Ihrer Ernennung zum Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte Dozent an der Universität Bielefeld, an den Fakultäten für Rechtswissenschaft und Pädagogik. Davor waren Sie an den Universitäten in Mannheim und Heidelberg. Wie oft, Hand aufs Herz, haben Sie denn im Laufe Ihrer langen akademischen Arbeit das Wort "Rasse" verwendet, verwenden müssen oder wann haben Sie angefangen, ein anderes Wort dafür zu finden?

Bielefeldt: Na ja, ich muss sagen, mir ist selber dann manchmal erst spät aufgefallen, dass ich in meiner Jugend bei Zeltlagern Lieder gesungen haben, die ich heute nicht mehr singen würde.

Pokatzky: Welches?

Bielefeldt: Ach, da gab es zum Beispiel ein ganz furchtbares Lied "Negeraufstand ist in Kuba".

Pokatzky: … Schüsse hallen durch die Nacht.

Bielefeldt: Genau, kennen Sie auch. Das ist 30 Jahre her. Damals war ich noch ein Teenager und habe dazu die Klampfe geschlagen. Das fanden wir alle furchtbar lustig. Mir ist es heute peinlich. Ich sage das jetzt ganz bewusst als ein Beispiel dafür, dass ja nicht immer böser Wille dahintersteckt. Ich wäre empört gewesen, hätte man mir jemand vorgeworfen, dass ich selber ein Rassist sei. Aber man trägt solche Klischees mit sich in der Sprache.

Oder ein anderes Beispiel. Früher hat man für Heuchelei dann manchmal gesagt, das ist pharisäerhaft. Und damit ist so ein antijüdisches Klischee auch schon wieder mit im Spiel. Das ist jetzt nicht nur eine Sache des bösen Willens, sondern eine Frage sozusagen von Bewusstseinsbildung, bei der wir alle lernen können. Wir sind immer unterwegs, man muss sich was sagen lassen. Und ich habe selber viel gelernt, oft weil mir auch andere Hinweise gegeben haben. Und diesmal sind wir in der Position, der Politik mal wieder den kleinen Hinweis zu geben, dass eine Sensibilität, die ja erkennbar schon da ist, doch bitte vielleicht auch da mal Konsequenzen haben sollte.

Pokatzky: Herr Bielefeldt, wann begann denn die Debatte über das Zweifelhafte, das Anrüchige am Gebrauch des Wortes "Rasse"? Seit wann wird bei uns darüber diskutiert?

Bielefeldt: Na ja, ich kann es nicht wirklich präzise datieren. Sicher ist, dass das nicht ganz neu ist. Man merkt es ja schon eben in diesen Fußnoten. Die UNESCO hat vor Jahrzehnten schon drauf hingewiesen, dass all diese Theorien, dass Menschen unterschiedliche Rassen haben und von dorther unterschiedliche Wesensmerkmale aufweisen, wissenschaftlicher Unsinn sind. Und sie sind vor allem unmenschlich, weil sie eben zu Kategorisierungen, zu Hierarchisierungen führen, die mit Menschenrechten, mit Menschenwürde ganz unvereinbar sind. Darüber wird seit einigen Jahrzehnten diskutiert.

Im Grunde kann man aber sagen, sogar schon der Herder Ende des 18. Jahrhunderts fand es merkwürdig, dass seine Zeitgenossen anfingen, die Menschen so zu sortieren, wie man Hunderassen und Pferderassen sortiert. Da gab es schon eine Irritation, die man im Grunde über 200 Jahre zurückverfolgen kann. Na ja, und jetzt wollen wir mal eben ein bisschen konsequenter sein in der Zukunft und mit diesem Begriff doch ganz aufräumen.

Pokatzky: Wir dürfen aber auch nach Ihrer Auffassung in Zukunft zu einem Rassisten Rassisten sagen und Rassismus zu diesem fürchterlichen Menschenverachtenden, was dahintersteckt?

Bielefeldt: Ja, natürlich. Nicht mehr den Begriff "Rasse" zu verwenden, heißt nicht, dass man nicht Rassismus ansprechen muss. Aber Rassismus ist eine Ideologie, die unterstellt, dass Menschen wesenhaft unterschiedlich seien aufgrund biologischer Merkmale oder aufgrund kultureller Prägung, aufgrund unterschiedlicher Mentalitäten, und da wird das Individuum erdrückt. Diese Ideologie muss bekämpft werden, und man kann sie Rassismus nennen, und man muss sie Rassismus nennen in all ihren Varianten, die diese Ideologie hat, ohne dass man dann selber die damit einhergehende Diskriminierung noch mal mit dem Rassebegriff unterbaut. Das ist ja absurd.

Pokatzky: Herzlichen Dank, Heiner Bielefeldt, Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte für ein Gespräch über ein schwieriges Wort und ein noch schwierigeres Vorhaben wahrscheinlich, dass Sie sich auf die Fahnen geschrieben haben. Auf jeden Fall eine Initiative, die uns sensibilisieren wird. Dabei alles Gute!

Bielefeldt: Danke schön.

Pokatzky: Und einen schönen Tag noch, Herr Bielefeldt.

Bielefeldt: Danke sehr, Herr Pokatzky.