Der Außenseiter

08.07.2009
Johannes Calvin gilt als großer Reformator Europas, Erzvater der Demokratie - und ewiger Außenseiter. Der Theologe und Schriftsteller Klaas Huizing sammelt in seinem neuen Sachbuch Wissenswertes über das Leben Calvins - und erläutert, warum es noch heute lohnt, sich mit dem Kirchenreformer zu beschäftigen.
Vor 500 Jahren wurde Johannes Calvin im nordfranzösischen Noyon geboren. Einer der prägenden Köpfe der Reformation - und doch ein Unbekannter, einer, der hinter Werk und Wirkungsgeschichte fast verschwindet. Wenn überhaupt, dann existieren negative Bilder: Göttlicher Tugendterror in Genf, ein als Ketzer verbrannter theologischer Gegner - und ist Calvin nicht auch für den Kapitalismus verantwortlich?

Der Theologe und Schriftsteller Klaas Huizing streitet die Fremdheit weder ab, noch versucht er, Calvins Versagen an Punkten wie dem Ketzerprozess gegen Michael Servet schönzureden. Allein dafür schon ist sein Essay zum fremden Reformator lesenswert. Huizing fragt, ob es sich dennoch lohnt, sich mit Calvin zu beschäftigen. Er wählt zur Beantwortung dieser Frage den biografischen Zugang - nicht primär den über Calvins Biografie allerdings, sondern den über die eigene: Huizing stammt aus einer calvinistischen Gemeinde in den Niederlanden. Er erinnert sich an große Autos, die nur verschämt gefahren wurden, und an Ehefrauen, die nach einem Seitensprung in der Gemeinde aufs Arme-Sünder-Bänkchen verbannt wurden. Hinter den durchaus widersprüchlichen Erinnerungen aber kann er vieles an Calvin neu aktualisieren.

Natürlich zeichnet er dafür auch dessen Biografie nach: Den strebsamen Aufsteigersohn, der Zeit seines Lebens am zufriedensten hinter dem Schreibtisch mit seinen Texten und Studien ist - sich aber dennoch keiner kirchenpolitischen Auseinandersetzung entzieht, die seinen Weg kreuzt. Von außen scheint Calvins Leben in mehrere scharf abgrenzte Teile zu zerfallen. Es gibt den fest dem katholischen Adel verbundenen Calvin der Frühzeit, den Humanisten und Philologen, schließlich den Kirchenreformer im protestantischen Geist, der in Genf ersehnt, vertrieben und schließlich an die Spitze der Gemeinde gestellt wird und der doch immer ein Außenseiter bleibt.

Theologisch, das zeigt Huizing schlüssig, sind die Brüche längst nicht so stark. Calvin argumentiert in seinem theologischen Hauptwerk, der Institutio, auch in den letzten Überarbeitungen noch auf Basis der stoischen Philosophie und ihrem Ideal von Maßhalten und Milde, mit der er seine universitäre Ausbildung begonnen hatte. In vielem ist seine Theologie ganz den klassischen Vorstellungen verpflichtet, vom Aufbau entlang des Glaubensbekenntnisses bis hin zur Vorstellung von Jesus Christus.

Und doch sind es gerade die ureigenen Themen Calvins, an denen sich noch 500 Jahre später sowohl bleibende Wirkung als auch heftige Ablehnung entzünden. Die Lehre von der doppelten Prädestination etwa: dass Gott vorherbestimmt habe, wer von den Gläubigen errettet, aber auch, wer verdammt wird. Calvin versteht das als Trost, sagt Huizing. Eine tröstende Lehre für denjenigen, der sich gläubig Gottes barmherzigen Handeln überantworten kann. Spätere Generationen, das verschweigt Huizing nicht, sind schon bald an dieser Lehre auch verzweifelt.

Anders als Luther ging Calvin nie nur von dem einzelnen Gläubigen aus, der sich allein vor Gott sieht. Er hatte immer auch die Gemeinde mit im Blick. Für sie entwickelte er eine Ordnung, in der jeder auf den anderen achtet, auf dass das Leben aller gottgemäß sein möge. Ja, diese Kirchenzucht hat zu Auswüchsen geführt, sagt der Theologe Huizing im Rückblick. Aber das Ideal einer transparenten Gemeinde, in der die Regeln klar und für jeden zugänglich sind, kann man auch als Grundlage demokratischen Denkens verstehen. Und so endet die Auseinandersetzung mit dem strengen Zuchtmeister Calvin darin, in ihm trotz aller menschlichen Schwächen - natürlich - einen großen Theologen neu zu entdecken, aber auch einen "Erzvater der Demokratie".

Huizings Buch ist am stärksten dann, wenn er sich Calvin als Theologe nähert und dessen Lehren durch alle Überformungen der Epigonen und Gegner hindurch auf ihren Kern zurückführt. Die bewusst untheologische Schreibweise steht dem manchmal eher im Weg, Verweise auf die "Calvin und Hobbes"-Comics bleiben dem in sich stringenten Gedankengang ebenso unverbunden wie die manchmal seitenlangen Zitate von Stefan Zweig bis Wikipedia. Trotzdem ist das Buch ein knapper und dennoch anregender Einstieg in die ferne, aber wirkmächtige Gedankenwelt des kompromisslosen und doch milden Reformators.

Besprochen von Kirsten Dietrich

Klaas Huizing: Johannes Calvin ... und was vom Reformator übrig bleibt
Edition Chrismon, Frankfurt am Main 2008
160 Seiten, 9,90 Euro
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