Der Aufstieg der Metze

Von Frieder Reininghaus · 16.10.2010
Die Kölner Oper muss, ebenso wie das benachbarte Schauspielhaus, saniert werden. In Vorbereitung der (über)fälligen Generalüberholung werden in dieser Saison einige Produktionen ausgelagert: "L'incoronazione di Poppea" von 1642, Claudio Monteverdis letzte Arbeit für das Musiktheater, wird im derzeit leer stehenden wuchtigen Gebäudekomplex des Gerling-Konzerns angeboten.
Die Fabel vom Aufstieg der Kurtisane zur Kaiserin an der Seite des 'durchgeknallten' Imperators Nero Claudius Caesar Augustus Germanicus, der als Machthaber in Rom von 54 bis 68 erst für preiswertes Brot und prickelnde Spiele, dann zunehmend für Angst und Schrecken sorgte, ist der erste ganz in der menschlichen Realgeschichte angesiedelte Opernplot, obwohl sich zu Beginn und am Ende noch kurz drei allegorische Gottheiten des Barocktheaters zeigen.

Die von der Vorkriegsmonumentalästhetik inspirierte Nachkriegsarchitektur des Gerling-Quartiers bildet den Rahmen. Er prägt die Produktion: Dieter Richters Spielfläche schließt an die Essensausgabe des ehemaligen Konzern-Casinos an und wird an drei von vier Seiten gegenüber den Zuschauern durch einen Gaze-Vorhang abgetrennt. Einsam in der Mitte ein einziges Requisit: der schmucklos-funktionale, Ehrfurcht gebietend imposante Gerling-Schreibtisch. Rings um ihn lässt Regisseur Dietrich Hilsdorf eine dreieinhalbstündige Party steigen.

Es ist Neros Fest aus Anlass der Erhöhung seiner neuen Lebensabschnittspartnerin. Mit faszinierender schauspielerischer Genauigkeit zeichnen die singenden Protagonisten die Intrigen und die psychischen Befindlichkeiten der Intriganten: angefangen von Wolf Matthias Friedrich, der den kaiserlichen Erzieher und Ratgeber Seneca mit profundem Bass ausstattet, oder den von David DQ Lee demonstrativ als beschränkt gezeigten Verlobten der Poppea, der sich – der Not der Umstände gehorchend – rasch mit einer Neuen verbindet. Dieser Drusilla verleiht die Sopranistin Claudia Rohrbach in Leidenschaft und Aufopferungsbereitschaft eine glänzende Stimme.

Die Partie der Kaiserin Ottavia wird von Rominda Boscolo mit unterdrückter Leidenschaft und kühl-souveräner Würde ausgestattet. Ein musikalisches Ereignis ist die Zusammen- und Übereinkunft der schlank-kühl-glatten Titelfigur Sandrine Piau, die die Poppea mit vokaler Verführungskraft auskostet, mit dem Counter Franco Fagioli. Seine Stimme prozessiert die Egomanie, die Verschlagenheit und Herrschsucht des Kaisers mit höhnischer Süße und dekuvrierender Schärfe heraus. Konrad Junghänel ist dabei mit intensiv-expressiver Zeichengebung behilflich.

In der Pause werden die Damen des Publikums in einen venezianischen Salon gebeten, in dem sie Nero aus größter Nähe erleben dürfen. Die Herren müssen mit der kürettierten Konzernküche vorlieb nehmen.
Die Videoeinblendungen über den Häuptern der handverlesenen Gürzenich-Musiker bleiben diskret. Überhaupt meidet die Produktion sichtbaren Totschlag, geizt mit Blut und Sperma. Auch mit Anspielungen auf den machiavellistischen Kontext der Entstehungszeit.

Die Botschaft des Werks will unmittelbar und unverstellt zu den Heutigen sprechen: Das Theaterfigur gewordene Glück hält die Tugend für eine "schon lange in Armut gefallene Gottheit", im Gegenzug die Tugend das Glück für ein "Hirngespinst der Völker". Amor schneidet den beiden Keifenden das Wort ab, heißt die alten Gouvernanten schweigen: Er ist der mobile Faktor, bleibt Agent und wird Agens der Geschichte: der Erhöhung und des Falls von Figuren wie Poppea oder Bruni.