Der Affe und das Alpha-Männchen

22.05.2012
Das alte Lied: eine Frau und zwei Männer, der eine ist ihr gebrechlicher Ehemann, der andere dessen durchtrainierter Feind-Freund. In "Jim" packt Thomas Lang diese Geschichte in wohliges Manufactum-Bürgertum und liefert zugleich eine kulturelle Branchenananalyse der schreibenden Gilde.
Eben noch wurden die Probleme und Todessehnsüchte der 80er-Jahre-Jugend verhandelt (in Thomas Langs Roman "Bodenlos") - schon klopft in der neuen Erzählung "Jim" das Alter mit seinen Gebrechen an. Sie vertreiben die Todessehnsucht zuverlässig, auch wenn sie den Lebensgenuss einschränken.

Dem Publizist Frank Opitz, einem Mann um die 50, macht nach einer Tumoroperation die Hand zu schaffen: Von ihr strahlt Schmerz in den ganzen Körper; die extreme Extremität scheint in seiner Selbstwahrnehmung die Ausmaße sowie die Feinfühligkeit eines Klodeckels zu haben. Schreiben kann er so nicht mehr. Und selbst wenn: Schon länger gelingt es ihm kaum noch, eigene Beiträge in den Feuilletons zu platzieren. Die Selbstachtung gebietet es, dass ihm der ganze Medienbetrieb immer intriganter und dümmer erscheint. Aktuell quält sich der ehemalige Premium-Schreiber mit einem Gedenkartikel fürs Würfelner Tageblatt: über den komplett vergessenen deutsch-polnischen Schriftsteller Kaspar Andrucki. Da kann man zum Kulturpessimisten werden.

Dass ein stagnierender Autor, der in seiner Backlist bloß einen (zudem plagiierten) Novellenband hat, ein prächtiges Haus mit parkartigem Grundstück sein eigen nennt, ist nur möglich, weil Opitz eine sehr attraktive und eben auch vermögende Frau geheiratet hat. Von daher wundert man sich ein wenig, dass er die männliche Konkurrenz, die ihm neuerdings den Platz an Annas Seite streitig macht, nicht noch viel heftiger erleidet.

Denn da gibt es einen Affen und einen Alpha-Mann. Anna hat dem traumatisierten, von Tierschützern "befreiten" Orang-Utan Jim in ihrem ummauerten Garten ein Asyl gegeben. Sie schmust mit dem haarigen Kraftprotz, während Frank lieber furchtsam im Haus bleibt. Und dann ist da noch der alte Studienfreund Tobias Mundt. Der ehemalige Fernsehmoderator, der neuerdings Pferdeschwanz trägt und im eng anliegenden Radfahrerdress daherkommt, interessiert sich zunehmend für die schöne Anna, während der lädierte Opitz sexuell nicht mehr einsatzfähig ist. Man kennt die Konstellation aus Martin Walsers "Ein fliehendes Pferd": zwei Freund-Feinde im Widerstreit, der eine melancholischer Ironiker, der andere auftrumpfender Vitalbolzen.

Thomas Lang verbindet eine parabelhafte Handlung über Kunst und Krankheit mit der Milieudarstellung eines ökologisch korrekten, stilbewussten, finanziell abgefederten Manufactum-Bürgertums. Der Zumutungen sind viele: Anna hat Jim Farben hingestellt, und gelegentlich malt der Affe ein Bild, das sie und Tobias für große Kunst halten. Gemeinsam planen sie eine Galerie: Jims Werke sollen dort verkauft und mit dem Geld eine Stiftung finanziert werden. Weil aber die Kreativität des Orang-Utans launisch ist, soll Frank aushelfen: einfach mal mit der eingefärbten Bratpfannenhand übers Papier streichen, um äffische Kunst zu produzieren. Ist ja für einen guten Zweck. Hier ist die größtmögliche Demütigung erreicht. Aber an diesem Punkt nimmt die Erzählung eine Wendung. Opitz kriegt seine Hand langsam wieder in den Griff. Am Ende kommt es zum subtilen Showdown am Manufactum-Gartenbeet.

Überladenheit wurde der Prosa Thomas Langs gelegentlich vorgeworfen. Diese Erzählung ist motivisch dicht gewebt und auf den Punkt geschrieben. Sie lebt von der Konstellation: eine Zauberfrau, umgeben von einem kuriosen maskulinen Trio. Vor allem lebt sie von der novellistischen Erscheinung des Affen, der das Klettern nie richtig gelernt hat und ungeschickt im Baum oder am Balkon hängt. Ein beeindruckendes Sinnbild - und die Stärke besteht darin, dass gar nicht restlos ausbuchstabiert wird, wofür.

Besprochen von Wolfgang Schneider

Thomas Lang: Jim. Eine Erzählung
Verlag C.H. Beck, München 2012
124 Seiten, 16,95 Euro

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