Deplatforming von Rechtsextremen

Das Sperren der Identitären trifft die Bewegung

08:34 Minuten
Ein Graffiti zeigt, wie ein blauer Pac-Man ein schwarz-gelbes Lambda-Zeichen der sogenannten Identitären Bewegung auffrisst.
Radikale von sozialen Netzwerken zu verbannen, kann sie zwar schwächen, aber dafür finden sie anderswo Zuflucht - ohne Widerspruch. © Picture Alliance / dpa / Sachelle Babbar / ZUMA Wire
Natascha Strobl im Gespräch mit Gesa Ufer · 07.08.2020
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Immer mehr soziale Netzwerke sperren die Identitäre Bewegung. Das habe finanzielle Folgen für die Organisation, sagt Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl. Allerdings weiche die Bewegung auf andere Kanäle aus - was neue Probleme mit sich bringe.
"Deplatforming" heißt eine Strategie, um Hass und Hetze zurückzudrängen: Einzelne Personen oder Gruppen werden von digitalen Plattformen verbannt, wenn sie gegen deren Regelwerk verstoßen. Auf Facebook und Instagram erging es der Identitären Bewegung schon vor zwei Jahren so, vor einem Monat zogen nun auch Twitter und Youtube aus dem Google-Universum nach.

Zeitpunkt dem US-Kontext geschuldet

Rechtsextremismus-Expertin Natascha Strobl sagt, die Löschung zum jetzigen Zeitpunkt müsse aus dem US-Kontext heraus verstanden werden, aus europäischer Sicht habe es keinen konkreten Anlass gegeben, die Bewegung gerade jetzt zu verbannen. 2015 und 2016 hätte es in Europa eher ein Thema hätte sein können. "Es war eigentlich um die Identitären sehr ruhig geworden."
In den USA hätten sich die Umstände dagegen geändert. Es gebe mit der Black-Lives-Matter-Bewegung eine neue Debatte über Rassismus und Rechtsextremismus – und das nicht nur auf der Straße, sondern auch in sozialen Medien.
Zudem gebe es eine Studie des Global Project against Hate and Extremism. Die Wissenschaftler hätten ausgiebig recherchiert und analysiert, wie sich Hass und Hetze in den sozialen Medien ausbreite. In diesem Bericht seien auch konkrete Handlungsempfehlung an Tech-Unternehmen geliefert worden: "Eine davon war, dass Deplatforming eine sinnvolle Maßnahme ist", erläutert Strobl. Diesem Rat seien Twitter und Youtube dann gefolgt.

Weniger Diskursmacht und Spenden

Für die vom Deplatforming betroffenen Akteure wie die Identitäre Bewegung wirke sich das zweifach aus: Erstens könne sie die Diskurse auf den reichweitenstarken Plattformen und über diese dann in der Gesellschaft nicht mehr so prägen wie bis dahin. "Gerade die Identitäre Bewegung als Teil der Neuen Rechten hat eine Strategie, wie sie in öffentliche Diskurse – und die finden in sozialen Medien statt – hineingeht", sagt Strobl. Im Endeffekt sorge sie dafür, dass ein demokratischer Diskurs nicht mehr möglich sei: "Wir haben das gesehen im Bereich Migration, Flucht, Sicherheit."
Die zweiten Wirkung sei, dass die Spendeneinnahmen sinken könnten. "Organisationen wie die Identitäre Bewegung finanzieren sich vor allem über Spenden und die bekommen sie vor allem, wenn sie Aufsehen erregen." Ihre Aufmerksamkeitsstrategie zahle sich eben finanziell aus – und wenn Aufmerksamkeit ausbleibe, bewirke das auch den Entzug von finanziellen Ressourcen.

Neue halböffentliche Kanäle

Gruppen wie die Identitären würden nun allerdings auf andere Kommunikationsmittel ausweichen, etwa geschlossene oder halbgeschlossene Chatgruppen auf Telegram und Signal.
Die charakteristische Halböffentlichkeit dort bringe eigene Probleme mit sich. "Das ist eigentlich fast noch problematischer, als wenn sie sich auf Twitter oder Youtube bewegen", sagt Strobl, denn in dieser Blase gebe es gar keinen Widerspruch mehr: "Die Radikalisierungsprozesse funktionieren viel schneller in diesen Plattformen", sagt Strobl. Und dann gebe es auch Strategien, dass die Fans die Inhalte wieder auf die alten Plattformen tragen sollen.
Dass Privatunternehmen nun beschließen, bestimmte Inhalte nicht mehr auf ihren Plattformen zuzulassen, könne man problematisieren, sagte Strobl, sei aber nicht ganz neu: Auch Zeitungen und Fernsehstationen abseits des öffentlich-rechtlichen Rundfunks seien privatwirtschaftlich organisiert und gewinnorientiert.
"Das heißt, wir haben es hier nicht mit einer exklusiven Situation zu tun, was jetzt die sozialen Medien betrifft." Auch in Zeitungen oder Fernsehstationen hätten nicht alle Meinungen Niederschlag gefunden, auch dort habe es immer schon eine Vorauswahl gegeben.
(mfu)
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