Denksysteme des islamistischen Terrors

Moderation: Ulrike Timm · 29.03.2006
Das Buch "El Kaida - Texte des Terrors" dokumentiert die Denksysteme des islamistischen Terrors. Auf über 500 Seiten sind Reden und Hasstiraden von vier El-Kaida-Protagonisten nachzulesen. Doch nach Ansicht des Islamwissenschaftlers Peter Heine bringt die Lektüre des Bandes nur wenig neue Erkenntnisse. Viele Gedanken seien bereits seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bekannt.
Timm: "Schließe dich der Karawane an", so es heißt beschwörend in einem Text des 1989 ermordeten Abdallah Assam, der zu den wichtigsten Vordenkern des militanten Islamismus gehört. Und weiter: "Wenn der Feind in muslimisches Gebiet eindringt, wird der Dschihad zur individuellen Pflicht eines jeden". Assams Ideen trieben junge Araber in Scharen nach Afghanistan, wo sie an der Seite der Mudschahedin gegen die sowjetische Armee kämpften, und das war die Geburtsstunde von El Kaida. Wer den ideologischen Hintergrund der Terrororganisation El Kaida verstehen will, sollte deren eigene Texte lesen, meint Gilles Kepel und versammelt in einem dickleibigen Buch die Texte von vier Protagonisten des militanten Islamismus. Texte, die im Internet kursieren, Flugblätter, Reden, Hasstiraden. Professor Peter Heine ist Islamwissenschaftler und El-Kaida-Experte von der Humboldtuniversität in Berlin. Herr Heine, verändern diese Texte den Blick auf El Kaida?

Heine: Ich weiß es nicht so ganz genau. Für Spezialisten, die sich seit vielen Jahren, spätestens seit dem 11. September mit der Gruppe beschäftigt haben, bringen sie einiges Neues, aber nicht sehr viel. Was mir auffällt, ist diese sehr blumige Sprache, das wussten wir schon vorher. Was mir fehlt, ist im Grunde das Bild, das zu diesen Texten gehört, denn vieles von dem, was hier dokumentiert wird, ist ja doch über Al Dschasira und andere Medien gelaufen, bei denen man ein Bild hat, und das fehlt, um sie wirklich in ihrer Gänze verstehen zu können.

Timm: Dann malen Sie uns dieses Bild mal kurz.

Heine: Was mir auffällt, also wir wissen zum Beispiel, dass Osama Bin Laden und jeder, der das mal gesehen hat, auf eine ganz bestimmte Art auftritt, sehr ruhig, sehr gelassen, ohne hektische Bewegungen. Was nicht so klar ist, ist zum Beispiel auch seine Sprache im Arabischen, die ebenfalls sehr ruhig ist, ein gutes Hocharabisch darstellt und entsprechend durchaus eine Wirkung auf die Zuhörer hat.

Timm: Herr Heine, die Stärke des Buches "Texte des Terrors" liegt in der Authentizität, das schreibt die Süddeutsche Zeitung. Ich frage mich, reicht das und nützt es uns wirklich, 500 Seiten Texte von Terroristen zu lesen?

Heine: Im Grunde, glaube ich, nicht. Also es mag sicherlich für den einen oder anderen interessant sein, so etwas nun wirklich konkret in einer Übersetzung zur Kenntnis zu nehmen. Es sind auch eine Reihe von Dingen da, die mir jedenfalls so noch nicht bekannt waren. Was eigentlich interessant an dem Buch ist, sind die einleitenden Abschnitte jeweils zu den vier hier genannten Protagonisten des islamistischen Terrors. Da steht einiges, was wir bisher noch nicht wussten.

Timm: Dann lassen Sie uns mal weggehen von dem Buch und hin ganz in das Sujet El Kaida. Herr Heine, viele Texte El Kaidas, die ja vor allem durch das Internet in Umlauf gebracht werden, die lesen sich als Aufruf zu nackter Gewalt. Kann man dahinter überhaupt noch eine Strategie ausmachen?

Heine: Nun, da werden schon Strategien formuliert. Der Ausgangspunkt ist ja, jedenfalls was Osama Bin Laden angeht, die Tatsache, dass auf der arabischen Halbinsel, wie er sagt, sozusagen auf dem Gebiet der beiden heiligen Stätten von Mekka und Medina sich nun Ungläubige, also in diesem Falle Amerikaner aufhalten, und worüber er sich besonders erregt, ist ja dann die Tatsache, dass es da noch auch arabische Soldatinnen gibt, was offenbar als besonders schmachvoll angesehen wird. Zunächst ist es so gewesen, dass man in diesen ganzen terroristischen Kreisen gemeint hat, die jeweiligen Regierungen in Ägypten oder in Saudi-Arabien anzugreifen, und dass es da eine Veränderung vom nahen Feind zum fernen Feind gegeben hat, das ist etwas, das wir wussten, das sich aber in seiner ganzen Konsequenz im Grunde erst seit dem 11. September so dargestellt hat.

Timm: Nun beginnen ja Terroristen häufig als Weltverbesserer mit einem echten politischen Anliegen und entgleisen dann in die Gewalt, weil sie in blindem Hass nur noch sich selber sehen. Kann man solche Brüche und Entwicklungen auch bei El Kaida ausmachen, womöglich mit Hilfe der eigenen Texte?

Heine: Ich denke schon, dass man das eine oder andere da feststellen kann. Also der Beginn des Ganzen, der Entwicklung, ist ja eben die Besetzung Afghanistans durch die Rote Armee und die dagegen agierenden völlig unterschiedlichen Gruppierungen, wobei es mir dann wieder sehr interessant war, dass zumindest ganz am Anfang der Entwicklung es vor allen Dingen die Afghanen waren, die dagegen vorgingen, während die Araber wohl eher als Dschihad-Touristen ins Land kamen und zu Beginn des Semesters wieder in die Herkunftsländer zurückkehrten.

Timm: Das heißt, selbst zu diesem Zeitpunkt war man sich untereinander nicht einig?

Heine: Das ist, glaube ich, ziemlich deutlich. Das kann man auch in diesem Buch sehen, die Konflikte, die innerhalb der verschiedenen Gruppierungen existierten, da wird an einer Stelle, ich glaube, ganz richtig gesagt, dass es in vielen Fällen sozusagen Familienfäden sind, die sich auf einem entsprechenden internationalen Level realisieren.

Timm: Texte von Terroristen, gesammelt, nur wenig kommentiert, liegen jetzt vor. Herr Professor Heine, viele meinen ja, wenn mehr Deutsche Hitlers "Mein Kampf" tatsächlich gelesen hätten, statt es sich wie eine Bibel in den Wohnzimmerschrank zu stellen, dann hätten sie von Anfang an die Ziele Hitlers gekannt. Kann man so eine These auf die Texte der islamistischen Terroristen Bin Landen und Sakarwi übertragen?

Heine: Also es ist sicherlich so, dass vieles von dem, was wir da lesen, jedenfalls einem einigermaßen gebildeten Muslim bekannt ist. Ob er das akzeptiert oder nicht, ist eine ganz andere Frage, aber diese Thesen sind alt, sie gehen teilweise ja, was die Neuzeit angeht, bis in den Beginn des 19. Jahrhunderts zurück.

Timm: Da spricht der Wissenschaftler. Ich frage aber für den Laien.

Heine: Also ich denke schon, dass vieles von dem bekannt ist und auch kritisch gesehen wird, das muss man natürlich auch hinzufügen.

Timm: Herr Heine, El Kaida wird oft als Netzwerk beschrieben, bei dem ganz wenige die Fäden in der Hand halten. Ist Osama Bin Laden da wirklich noch die zentrale Figur, als die er zum Beispiel von Präsident Bush gerne dargestellt wird, oder würde El Kaida auch ohne Bin Laden funktionieren?

Heine: Also ich glaube schon, dass El Kaida als Netzwerk auch ohne Bin Laden funktionieren würde. Wir sehen es ganz eindeutig. Ich glaube nicht, dass er großen Einfluss nimmt auf die Aktionen, die von Sakarwi im Irak beispielsweise durchgeführt werden.

Timm: El Kaida, das heißt übersetzt die Regel oder auch die Basis. Einige Tausend über viele Länder verteilte Terroristen versetzen durch ihre Anschläge Menschen in Angst und Schrecken, und dabei sind ja nicht nur so genannte Ungläubige die Opfer, sondern oft genug auch Muslime. Wo bleiben eigentlich die Demonstrationen, wo bleibt die schweigende Mehrheit der Muslime, die sich doch mit vollem Recht dagegen wehrt, mit den Islamisten in einen Topf geworfen zu werden?

Heine: Nun, wir können zunächst einmal einfach feststellen, also nehmen wir das irakische Beispiel, dass es da immer wieder zu entsprechenden Demonstrationen gegen die Gewalt gekommen ist.

Timm: Aber vergleichsweise klein.

Heine: Sie müssen einfach, was den Irak angeht, einfach auch dann das Risiko von solchen Demonstrationen sehen. Das wären dann die idealen Ziele für solche Angrifft, und wir haben so etwas ja mehrfach gehabt.

Timm: Ich dachte weniger an den Irak als zum Beispiel an Indonesien, an andere Länder.

Heine: Also ich denke, … für einen Muslim in Indonesien ist so ein Vorgang in einem beliebigen Land des Mittleren Ostens außerordentlich weit weg. Das sind ja doch einige tausend Kilometer, die dazwischen liegen, und viele beispielsweise Indonesier sind nicht unbedingt der Meinung, dass das sie direkt betrifft. Das heißt, unser Blick auf die islamische Welt in ihrer Gesamtheit wird, wenn man so will, dadurch etwas verstellt, dass man einfach diese geografische Dimension zum Beispiel nicht zur Kenntnis nimmt.

Timm: Und das Teuflische ist, die sind so gut vernetzt bei El Kaida, dass die große Mehrheit der Moslems sich nicht aktiv dagegen wehrt, zum Beispiel durch Demonstrationen. Es ist ja tragisch, dass der Glaube, der Islam so schnell oder so leicht mit dem Islamismus in eine Topf geworfen wird. Das ist ja tragisch für die Menschen selbst.

Heine: Ja, das ist sicher so, und es ist auch so, dass zumindest islamische Religionsgelehrte oder Intellektuelle dieses Problem sehen, und wir haben eben auch Gegentexte, und auch das kann man wieder aus manchen Reaktionen von El Kaida und anderen Gruppen sehen, die sich gegen diese Kritik an ihnen wehren müssen.

Timm: Vielen Dank für das Gespräch.