Den Urknall auf den Punkt gebracht

Von Anke Schaefer · 12.07.2010
Am Anfang war nicht das Wort, sondern der Punkt. Der Punkt als Urknall. So die Vorstellung des Berliner Zeichners Jens Harder, dessen Werk "Alpha: Directions" beim Comic-Salon in Erlangen als bester deutschsprachiger Comic ausgezeichnet wurde. Doch wie entsteht so ein Comic?
"Am Anfang war der Punkt. Das ist für mich der Start...."

Jens Harder lacht und freut sich über die sehr bedeutsame erste Seite seines preisgekrönten Comics. Ein klitzekleiner roter Punkt auf weißem Grund, sonst nichts. Harders Augen blitzen hinter einer schwarz umrandeten Brille. In "Alpha" erzählt er, wie in den vergangenen 14 Milliarden Jahren unser Universum entstand. Der Punkt ist der Urknall. Es folgen rund 2000 Bilder bis zur Entstehung des Menschen.

Jens Harder, eine sympathische, schmale Gestalt in Kakihosen, schwarze Haare, schwarzer Bart, sehr konzentriert, - sitzt vor seinem Computer, am gut aufgeräumten Schreibtisch seines Ateliers in Berlin-Prenzlauer Berg. Er dreht sich um, greift nach einer grauen Kiste, hebt den Deckel und zum Vorschein kommt das gesamte Projekt. Ein Stapel Blätter mit beeindruckenden, dicht an dicht mit Bleistift gezeichneten kleinen Skizzen: Saurier, Seeskorpione, Schachtelhalme und Farne.

"Also ganz am Anfang steht ein Zettel, dieser! Das war einfach eine Abfolge von Etappen, die wichtig sind. Das Nichts, obwohl das ist dann die linke Seite, wenn man aufschlägt, dann der Urknall, das Teilchenchaos, die ersten Galaxien, Planeten mit ihren Monden, dann unsere Erde und das letzte ist - Naturkatastrophen! Aber ich habe zu dem Zeitpunkt auch noch nicht genau gewusst, wie ich ende!"

Wenn Jens Harder die Skizzenblätter zeigt und dazu seine Erklärungen abgibt, dann spürt man in jedem Satz und in jeder Geste die Faszination, die er für sein Projekt hat. Im Grunde ist sein Comic eine riesige Zitatensammlung. Er hat sich nicht ausgedacht, wie die Saurier aussahen oder die Mammuts. Er hat viel gelesen, viel recherchiert, viele Bilder angeguckt und sie dann in seinem Stil nachgezeichnet.

"Wenn ich ein Projekt anfange, und wenn ich abends ins Bett gehe und schließe die Augen und überlege mir, was habe ich gemacht, dann sehe ich es in Gedanken fertig vor mir. Ich weiß schon, wie dick es ungefähr wird, wie es sich anfühlt, das Cover oder das Papier und die Farbigkeit, das verdichtet sich dann und wird immer schärfer, relativ schnell weiß ich die Dimension und dann kann man auch schon mal überschlagen, wie viele Jahre es dauert."

Das Ausdenken der Geschichte ist die eigentliche Arbeit, das Zeichnen selbst empfindet Jens Harder eigentlich nur noch als Fleißarbeit. Und dazu braucht er Musik.

"Gerade wenn man so viele Schraffuren und Strukturen macht wie in meinen Arbeiten, ist das so eine Art Katalysator, ohne den ist meine Hand irgendwie steif und ich habe keine Lust, mich durch eine Seite durchzustricheln, wo ich weiß, ich brauche noch drei Stunden, ehe sie fertig ist. Und bei Musik geht das locker von der Hand und der Rhythmus fließt dann auch mit ein."

Er liebt elektronische Musik und eigentlich herrscht selten Stille im Atelier, denn auch Tim, der Freund und Zeichner, der ihm am Schreibtisch gegenüber sitzt, fühlt sich von den Beats inspiriert. Jens Harder macht die graue Schachtel zu und versucht sich zu erinnern.

1970 ist er in Weißwasser in der Lausitz geboren, Ende der 90er-Jahre war er auf der Kunsthochschule in Berlin Weißensee. Aber wann hat er begonnen, zu zeichnen?

"Zeichnen kann ich zumindest solange, wie ich in der Lage bin, einen Stift in der Hand zu halten."

Und dann war es sein Vater, der ihn zu mehr inspiriert hat:

"Na, mein Vater, da er selber als Autodidakt vor sich hin zeichnete, hat mir das als Vorbild mitgegeben – also wie kann man seine Freizeit gestalten – kann man da stundenlang am Auto rumschrauben oder setzt man sich hin und malt ein kleines Öl-Gemäldchen, das war schon ein Vorbild und hat einen Nachahmungsreflex bewirkt, dass ich das dann auch machen wollte. Weil Papa ist ja der Beste. Und dann setzt man sich neben ihn und nimmt sich auch ein Blatt Papier."

Nur, dass es ja nicht nur das Vor-Sich-Hin-Zeichnen alleine ist, was Harder fasziniert, sondern eben das Aneinanderreihen von detailgenauen Bildern - zu großen Geschichten. Das wiederum hat er mit seiner Mutter geübt.

"Meine Mutter hat mich angeregt, Geschichten zu erzählen, wir haben uns stundenlang auf Spaziergängen Filme widergegeben und versucht, so minutiös wie möglich Ereignisse zu rekapitulieren, oder Träume, oder Bücher, die wir am Wickel hatten."

Da steht er auf und geht zur Tür, lässt sich aber durch diese kurze Unterbrechung überhaupt nicht ablenken. Schon sitzt er wieder auf dem Drehstuhl und erzählt jetzt von seiner Familie. Jens Harder ist Vater von zwei Kindern, seine Tochter ist bald drei Jahre, der Sohn zwei Monate alt. Seine Freundin ist diejenige, die ihm immer eine erste, sehr geschätzte Rückmeldung zum Tagwerk gibt. Nicht gerade einfach, als Comic-Zeichner eine vierköpfige Familie zu ernähren:

"Momentan freuen wir uns schon wieder auf unseren Ostseeurlaub. Und das ist auch das, was man am besten bewältigen kann, wenn man einen zwei Monate alten Sohn hat, den muss man nicht gleich nach Papua Neuguinea scheuchen, den führen wir ganz langsam ran an die Wunder der Welt."

Diese Wunder der Welt sind es, um die es Jens Harder geht. Das 350-Seiten starke "Alpha" ist nur der Beginn. Fünf Jahre hat er an diesem ersten Band des Evolutionscomic gearbeitet – die nächsten Jahre hat er für Beta reserviert, also für die Geschichte von der Entstehung des Menschen bis hin zu unserer Gegenwart.

Und dann, irgendwann, vielleicht in acht Jahren – wird er sich an Band drei setzen: An "Gamma", an die Zukunft, die Zeit, in der sich die Menschen aufmachen in eine andere Galaxie. Und das alles – wird aus einem Punkt entstanden sein!
Jens Harder
Jens Harder© Carlsen Verlag