"Den Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung entgegengesetzt"

14.03.2011
Auch in den deutschen Atomkraftwerken gibt es nur einen Kühlkreislauf, sagt Greenpeace-Aktivist Stefan Krug. Wenn dieser versage, würde sich der Kern des Reaktors exponentiell erhitzen, und es könne wie in Fukushima zur Kernschmelze kommen.
Katrin Heise: Kanzlerin Angela Merkel hat für morgen die Ministerpräsidenten der Länder, in denen Atomkraftwerke laufen, zu sich eingeladen. Sie will mit ihnen über die Sicherheitsstandards der deutschen Atomkraftwerke sprechen. Ich begrüße jetzt Stefan Krug von Greenpeace. Er ist Leiter der politischen Vertretung. Schönen guten Tag, Herr Krug!

Stefan Krug: Guten Tag!

Heise: Was mir gar nicht so klar war oder was ich nicht ganz verstehe: Sind diese Standards in den Bundesländern denn unterschiedlich?

Krug: Nein, eigentlich nicht. Wir sind aber vom föderalen System her so aufgestellt, dass es ein Ministerium gibt, das Bundesumweltministerium, das zugleich für die Reaktorsicherheit zuständig ist. Das setzt Standards für die Sicherheit von Atomkraftwerken fest, in Verbindung auch mit untergeordneten Ämtern, etwa dem Bundesamt für Strahlenschutz. Aber die Umsetzung dieser Richtlinien sozusagen obliegt den Ländern.

Deswegen war zum Beispiel auch die Zustimmung des Bundesrates bei der Laufzeitverlängerung so wichtig beziehungsweise sehr umstritten. Und die Länder sind also dafür verantwortlich, für die Atomkraftwerke auf ihrem Gebiet. Und müssen diese Standards auch weitmöglichst einhalten. Aber da gibt es durchaus unterschiedliche …

Heise: … welche sehen Sie da zum Beispiel, welche Unterschiede gibt es dann da?

Krug: Na ja man muss schauen, dass die internationalen Sicherheitsstandards eingehalten werden. Aber das tun natürlich nicht alle, sondern einzelne Länder sind da durchaus im Verzug. Wir haben zum Beispiel – und das gilt natürlich für alle Atomkraftwerke in Deutschland – keinen ausreichenden Schutz gegen Flugzeugabstürze, gezielte Flugzeugabstürze. Das langt allenfalls für Sportflieger, das waren so die Bedrohungsszenarien, als diese alten Kraftwerke damals gebaut wurden.

Und da gibt es durchaus große Defizite auf Länderseite, etwa zum Beispiel auch beim Atomkraftwerk Krümmel in der Nähe von Hamburg, auf schleswig-holsteinischem Gebiet, das ist ein Atomkraftwerk, das als Pannenreaktor sozusagen von uns immer bezeichnet wird. Und da drängt die Aufsichtsbehörde, aber dann wiederum erfolgt vom Betreiber nichts. Dann müsste eigentlich das Land intensiver nachfragen und das machen die einen mal intensiver, die anderen weniger.

Also Kiel etwa hat gedroht, wenn in Krümmel noch mal etwas passiert, schalten wir ab, in Baden-Württemberg hat der Betreiber eines Atomkraftwerks, Neckarwestheim 1, selbst gesagt, wir müssen nachrüsten, und die Umweltministerin Frau Gönner von der CDU hat seit jetzt anderthalb Jahren überhaupt nicht reagiert. Also Sie sehen, da ist eine sehr unterschiedliche Intensität, was die Sicherheit angeht.

Heise: Wobei Baden-Württemberg ja quasi Mitbetreiber ist der Atomkraftwerke, weil sie ja Mitbesitzer von EnBW sind. Das waren so äußere Einwirkungen wie zum Beispiel Flugzeugabsturz. Wie geht es denn eigentlich bei inneren – ich sag jetzt mal inneren – Problemen, also weil da ja nicht irgendwas drauffällt und ein Erdbeben passiert, sondern zum Beispiel Computerisierung, zunehmende Computerisierung ja auch in den Atomkraftwerken. Welche Probleme sind da denkbar und wie geht man damit um?

Krug: Na ja, wir haben das Problem, dass wir eine ganze Reihe sehr alter Reaktoren haben, die wurden zum Teil … Nicht zum Teil, sieben Reaktoren wurden in den 70er-Jahren gebaut. Insgesamt zehn Reaktoren zählt man, die bis einschließlich 1980 in Betrieb gingen. Und das war eine Zeit, die kannte weder Terrorangriffe aus der Luft, noch kannte sie die Tschernobyl-Katastrophe 1986. Und natürlich kannte sie auch nicht die Computerisierung, die heute in der Steuerungstechnik üblich ist …

Heise: … den sogenannten Cyberwar, den konnte man sich gar nicht vorstellen …

Krug: … richtig, und das heißt aber auch, für die Steuerung dieser Anlagen sind das zwei völlig verschiedene Systeme. Und man kann gewissermaßen einzelne Bauteile erneuern, aber man kann nicht zwei völlig verschiedene Systeme kompatibel miteinander machen. Man kann also ein altes Atomkraftwerk wie Biblis zum Beispiel nicht so computerisieren. Man schafft vielleicht sogar eher, nach Meinung vieler Experten eher Unsicherheiten, wenn man zum Beispiel ein, das klingt ganz banal jetzt, aber so einen mechanischen Schalter durch einen elektronischen Schalter ersetzt. Das kann in einem Gesamtsystem durchaus nachteilige Wirkung haben.

Heise: Das heißt, da sehen Sie nicht die Gefahr darin, dass zu viel Computer da schon eine Rolle spielt und dann quasi die Einwirkung von außen vielleicht auch, also eben Hackerangriffe oder so, Probleme bereiten können?

Krug: Das ist bei den moderneren Anlagen sicher denkbar. Aber ich glaube, die viel größeren Probleme sind die Anlagen selber, das heißt die Versprödung des Materials zum Beispiel, die defekten Rohrleitungen, die Risse in den Schutzhüllen. Das sind alles Dinge, die mit zunehmendem Alter exponentiell zunehmen, da gibt es mittlerweile einen solchen Nachrüstungs- und Defektbedarf, ein hohes Defizit, dass man sagen muss, die Nachrüstung würde so teuer werden, dass sich der Betrieb dieser Anlage gar nicht mehr lohnt.

Und deswegen wurde – das muss man leider konstatieren – wohlweislich auch von der schwarz-gelben Bundesregierung die Laufzeitverlängerung so gestrickt, dass diese alten Anlagen ihre Nachrüstung gerade nicht mehr machen müssen. Denn wenn sie fällig wird, können diese Anlagen gerade vom Netz gehen. Also man hat ihnen acht Jahre eingeräumt, und das ist natürlich absurd lang.

Heise: Das sind dann so Zahlen, in denen angeblich dann nichts passiert. Sechs der deutschen Reaktoren sind wie die japanischen Unglücksreaktoren, von denen wir jetzt dauernd neue Unglücksmeldungen haben, sogenannte Siedewasserreaktoren. Ist das eine besonders veraltete, gefährdete Technik?

Krug: Ja, das war eines der frühen Stadien sozusagen der Atomtechnik. Man hatte einen Kühlkreislauf nur, man hat also den Reaktorkern, so wie jetzt in Fukushima, man sieht das ja immer im Fernsehen auf den Schemabildern, einen Kern, wenn der sich jetzt erhitzt und wenn da in der Kühlleitung sozusagen was schiefläuft, dann ist der gesamte Kern mit einem Mal schon abgeschnitten von der Kühlung und erhitzt sich exponentiell.

Und das ist das, was wir im Moment in Japan an der Ostküste beobachten. Es kann also zur Kernschmelze kommen. Wir vermuten, das ist auch schon der Fall gewesen. Das ist bei allen diesen Siedewasserreaktoren in Deutschland genauso. Wenn die Stromzufuhr etwa zum Beispiel aufgrund heftiger Gewitter oder einer, sagen wir mal eines Black-outs, wie wir in Europa ja schon beobachtet haben, ausfallen würde und es gäbe noch irgendwelche Probleme mit Dieselgeneratoren, die dann angeschaltet werden, was in Japan ja auch der Fall war, wenn gezielte Angriffe zum Beispiel genau diese Elemente ausschalten, Terrorangriffe, dann haben wir dieselbe Situation in Japan in kürzester Zeit. Und insofern muss man sagen, die Bedrohungssituation ist genau die gleiche.

Heise: Mit Stefan Krug spreche ich von Greenpeace über die Sicherheitsstandards deutscher Atomkraftwerke. Sie haben es gerade beschrieben, dass wir da eigentlich in der Situation nicht viel anders liegen. Würden wir anders damit umgehen können oder würden wir genau so hilflos reagieren?

Krug: Das kommt natürlich auf die konkrete Bedrohungssituation an, aber ich würde mal sagen, ich sagte es vorhin schon: Der Absturz eines Sportfliegers ist das, was unsere Atomkraftwerke maximal aushalten. Wenn ein Airbus in ein Atomkraftwerk wie Biblis oder Obrigheim hineinfliegt, dann haben wir wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit eine GAU-Situation, und dann nützen Ihnen natürlich die Notfallpläne, die auf diese Anlage gar nicht ausgerichtet waren, auf diesen Fall gar nicht ausgerichtet waren, überhaupt nichts. Die doppelten und dreifachen Sicherheitsringe müssen funktionieren, wenn sie ausgeschaltet werden, haben wir das Problem. Und ich sag mal, das Grundproblem an dieser Technik: Es ist nicht fehlerresistent, es ist nicht fehlerfreundlich.

Heise: Es wird ja jetzt von Angela Merkel immer gesagt, dass diese Standards immer wieder angepasst worden seien. Wenn ich aber höre, Sportflieger, dann gab es 2001, da haben wir gesehen, dass eben auch andere Flugzeuge irgendwo reingesteuert werden können, da hat man also gar nicht nachgerüstet.

Krug: Richtig, und schlimmerweise muss man sagen ist in der Laufzeitverlängerung, die jetzt im Herbst beschlossen wurde, exakt der Passus über Terrornachrüstung gegen Terrorangriffe aus der Luft herausgenommen worden. Das heißt, die aktuelle Laufzeitverlängerung umgeht genau diese technische Nachrüstung, die natürlich sehr, sehr teuer wäre und bei einzelnen alten Meilern gar nicht mehr möglich wäre, gezielt.

Genauso, wie sie gezielt – ich sagte es vorhin schon – die Laufzeiten dieser Kraftwerke so berechnet hat, dass die Nachrüstungen, die erst spät fällig werden, sozusagen überhaupt nicht mehr nötig sind, weil dann der Reaktor schon abgeschaltet wird.

Mit anderen Worten, man hat eine Verlängerung gestrickt, die genau den finanziellen Interessen der Betreiber entgegenkommt, aber den Sicherheitsbedürfnissen der Bevölkerung eigentlich diametral entgegengesetzt ist.

Heise: Wie ist da jetzt eigentlich Ihre Einschätzung: Ist die Atomkraftwerkspolitik der jetzigen Regierung noch lange zu halten?

Krug: Ich glaube nicht. Ich glaube, wir sind an einem historischen Wendepunkt, ich glaube, das Unglück in Japan – und wir haben ja eventuell noch den schlimmsten Teil vor uns - wir hoffen sehr, dass das nicht passiert - den Super-GAU. Diese Ereignisse haben gezeigt, dass diese Technik selbst in hoch industrialisierten Ländern nicht beherrschbar ist, weil einfach nicht kalkulierbar ist, ob alle Maßnahmen zur Sicherheit im entscheidenden Moment überhaupt zur Verfügung stehen.

Und es zeigt sehr deutlich, dass eine Technik, die ein so hohes Restrisiko hat, dass gewissermaßen nichts passieren darf und im Falle eines Unfalls eine apokalyptische Katastrophe vonstatten geht, dass eine solche Technik einfach nicht vertretbar ist. Abgesehen davon, dass die rund 23 Prozent Stromanteil, die die deutschen Atomkraftwerke am Strommix in Deutschland haben, ohne Probleme ersetzt werden könnten. Wir hätten kein Problem, auf Atomkraft im deutschen Strommix zu verzichten.

Heise: Sagt Stefan Krug von Greenpeace, er ist dort Leiter der politischen Vertretung. Ich danke Ihnen, Herr Krug, für dieses Gespräch!

Krug: Gerne!