Den Schauspielern nahe kommen

Von Stefan Keim · 25.08.2011
Die Zuschauer werden mit auf eine Party genommen, sie tragen Kopfhörer, laufen durch die Kulissen und versuchen, der Geschichte zu folgen. Die Botschaft in "Je t’aime, je t’aime", das im Schauspiel Frankfurt läuft: Man bekommt sowieso nicht alles mit.
Die Zuschauer sind Gäste einer mondänen Geburtstagparty. Filmstar Catrine hat eingeladen und lässt sich erst mal lange bitten, zu erscheinen. In das Bockenheimer Depot des Frankfurter Schauspiels hat Bühnenbildner Dominic Huber ein Haus mit kleinem Pool und einigen Sitzgelegenheiten gebaut. Meistens müssen die Gäste allerdings stehen. Wir haben Kopfhörer auf den Ohren, es gibt zentrale Szenen, die alle hören, aber auch parallele Spielsituationen. Dann laufen viele durch das Haus und suchen die Schauspieler, deren Sätze sie gerade hören. Drei verschiedene Tonspuren gibt es, im Anschluss kann man sich darüber unterhalten, was die anderen erlebt haben.

Dahinter steht eine Aussage: Man kriegt sowieso nicht alles mit. Vor allem nicht bei so einer Party, in der die Gastgeberin sich wegen vergangener Großtaten feiern lässt, der Film "Je t´aime, je´ taime" ist Legende. Aber darüber hinaus interessiert sich niemand für sie, sondern für Produzenten, die Rollen vergeben und niedliche junge Starlets im kurzen Kleid, die ihre Karrieren ankurbeln wollen.

Der Kniff sind die Zeitsprünge. Zweimal fällt ein Schuss, ein melodramatischer Tod im Off. Dann knallt eine Tischbombe, goldene Papierfetzen fliegen durch die Luft. Die nächste Party beginnt, zehn Jahre später. Die Rollen haben gewechselt, die Jungen sind nun die Mittelalten, die Mittelalten die Alten. Die Schauspieler verkörpern weiterhin ihre Altersklassen. Traute Hoess zum Beispiel bleibt immer die Diva, egal, welchen Namen sie trägt. Die Handlung folgt den gleichen Mustern, bis in einzelne Sätze hinein, es gibt aber auch einige Veränderungen. Langsam löst sich der Abend auf. Bühnenarbeiter sind zu sehen, Schauspieler werden vor aller Augen nach geschminkt, oder sie wechseln die Perücken. Das Melodram löst sich auf. Traute Hoess steuert plötzlich auf mich zu, nimmt mir die Kopfhörer ab, hört selbst die Dialoge, erkennt, dass alles Betrug ist. Ihren Blick in einem Abstand von nur wenigen Zentimetern zu erleben, ist unvergesslich. Andere Besucher haben ähnliche Erlebnisse, in denen ihnen die Schauspieler sehr nahe kommen.

Bernhard Mikeskas subtile Inszenierung mit hervorragenden Schauspielern passt perfekt zu den stillen, andeutungsreichen Texten Lothar Kittsteins. Beim Lesen muss man sich durch sie hindurch arbeiten, es fällt schwer, eine Fantasie zu entwickeln. Sie sind für Schauspieler und die Bühne geschrieben, die Zwischentöne finden, unausgesprochene Geschichten andeuten können. Kittstein ist einer der Newcomer des Jahres, "Je t ´aime, je t´aime" – das mit Motiven eines 1968 entstandenen Films von Alain Resnais spielt – ist bereits seine fünfte Uraufführung.

Alle Vorstellungen des Schauspiels Frankfurt waren sofort ausgebucht, es wurden Zusatzabende eingerichtet.