"Den Menschen als Persönlichkeit sehen"

Von Jens Falkowski · 09.04.2011
Gerade Handwerker befürchten Probleme, wenn ab dem 1. Mai auch Menschen aus den osteuropäischen EU-Staaten in Deutschland arbeiten dürfen. Die "Initiative Europa", ein bundesweiter Verein evangelischer Unternehmer, setzt sich für soziale Mindeststandards ein.
Das niedrige Lohnniveau in Osteuropa wird für hiesige Unternehmen nicht erst zum Problem, wenn die Arbeitnehmer dank der neuen Freizügigkeit auch in Deutschland auf Jobsuche gehen können. Bereits heute geraten vor allem kleine und mittelständische Unternehmen durch osteuropäische Konkurrenten unter Preisdruck. Das Institut Ostwind von Bettina Musiolek beschäftigt sich aus christlicher Verantwortung mit den Sozialstandards in Ungarn, Rumänien und anderen Ländern der Region. Besonders hat es dabei die Textilindustrie unter die Lupe genommen. Für Bettina Musiolek reichen die Arbeitsgesetze nicht aus.

"Normalerweise sind Sozialstandards da. Es gibt in all diesen Ländern ganz gute Arbeitsgesetze. Nur der gesetzliche Mindestlohn in diesen Ländern ist so niedrig, der wird politisch niedrig gehalten, das sagen selbst Gewerkschaften in den Ländern, um die Investoren um das ausländische Kapital, nach dem sich da jeder zu sehnen scheint, anzulocken. Das ist ja der berühmte Mechanismus, den wir hier auch in Ostdeutschland kennen. Einfach die Schwellen so niedrig wie möglich zu setzen, damit die Unternehmer angelockt werden. Deshalb wird der gesetzliche Mindestlohn so niedrig angesetzt. Deshalb ist der weit entfernt ein auch nur annähernd existenzsicherndes Leben zu ermöglichen."

Musiolek engagiert sich in dem evangelischen Verein "Initiative-Europa". Zu den rund 550 Mitgliedern – darunter Freiberufler, Kleinunternehmer, Mittelständler und Kirchenvertreter – zählt auch Hannelore Keunecke. Sie betreibt seit 20 Jahren die Firma Graziella Wäschemoden, eine der wenigen Firmen in der Region, die nach dem Zusammenbruch der DDR-Textilwirtschaft bis heute überlebt haben. Der christliche Glaube ist für sie eine wichtige Grundlage für ihre Unternehmenspolitik.

"Ich bin Christ. Wenn ich die 20 Jahre zurückschaue, dass 20 Jahre unter Gottes Augen und Gottes Segen das gestanden hat. Das ist mir schon wichtig. Ich kann aber nur für mich reden, ich kann nicht sagen wir sind ein christliches Unternehmen, das stimmt nicht, sondern das kann jeder nur für sich entscheiden und kann verantwortlich versuchen zu handeln. Eine andere Möglichkeit gibt es da nicht."

Um die Arbeitsplätze in Deutschland erhalten zu können, musste sie auf Partner in Polen und Tschechien setzen. Auch einen Tariflohn kann Hannelore Keunecke ihren Arbeitern nicht bezahlen – dann wäre ihre Wäsche zu teuer:

"Ich kann mir von meinen Kunden auch nur die aussuchen oder mich bemühen, die dann zumindest den Preis, den ich bieten kann, einigermaßen akzeptieren. Das ist ein steter Kampf, und so wird es sicherlich bleiben. Da kann ich nur hoffen, dass wir selber uns überlegen: wo kaufen wir, und was ist uns Kleidung wert, was sind uns Klamotten wert und dass wir diese dumme "Geiz ist geil"-Mentalität doch mal aus unseren Köpfen verbannen."

Nicht nur die geringen Lohnerwartungen osteuropäischer Arbeitskräfte sind Grund, diese nach Deutschland zu holen. Sie sollen auch freie Lehrstellen besetzen oder als ausgebildete Ärzte den Facharztmangel hier auffangen. Für Joachim Dirschka, Präsident der Handwerkskammer zu Leipzig, ist klar, dass gläubige Unternehmer in diesen Fragen eine besondere Verantwortung haben:

"Jeder Christ - ob er evangelisch ist, reformiert oder katholisch, ist eigentlich vollkommen egal, genauso kann ich das für die Muslime sagen - muss eigentlich den christlichen Grundgedanken haben. Beim christlichen Grundgedanken geht’s mir eigentlich immer wieder um den Menschen. Den Menschen als Persönlichkeit zu sehen, und wie kann man den Menschen immer wieder auf diese Ebene bringen, dass er ein qualifizierten und soliden Lebensstandard hat, und das ist unsere Aufgabe. Da haben auch Unternehmer - ganz gleich welche Konfession die sind - haben wir als Unternehmer eine große Verpflichtung für die Zukunft. Denn wir gehen von der Seite aufgrund der demografischen Entwicklung etwas schwierigen Zeiten entgegen."

Doch auch in Osteuropa sind Fachkräfte nur gegen angemessenen Lohn zu bekommen – diese Erfahrung hat Roland Jäkel gemacht. Er ist Geschäftsführer der Lift-Manager GmbH im ostsächsischen Jänkendorf. Seine Firma hat auch Niederlassungen in Ländern wie in Polen, Tschechien oder Slowenien:

"Also das mit den fairen Löhnen, das möchte ich mal dahinstellen, das ist vielleicht relativ. Das obliegt unseren Geschäftsführern in den einzelnen Ländern. Aber ich kann so viel sagen, wir zahlen faire Löhne, unsere Mitarbeiter sind alle sozialversicherungspflichtig beschäftigt in den osteuropäischen Ländern. Wir haben quasi einen Kodex für uns. Das ist für uns Bedingung gewesen. Wir sind nicht dahin gegangen, um Lohnvorteile zu haben, sondern um in den Ländern Arbeitsplätze zu schaffen, aber natürlich auch für unsere Branche Marktanteile zu sichern."

Billiger Konkurrent oder willkommener Fachkräftelieferant - die Eindrücke vom Arbeitsmarkt in Osteuropa sind innerhalb der "Initiative Europa" so verschieden wie die Branchen, aus denen die Unternehmer stammen. Für Vorstandsmitglied Hartmut Töter gibt es auch für christliche Unternehmer keine Ideallösung:

"Die Schwierigkeiten bestehen darin, dass ich in der konkreten Situation immer wieder vor Konflikte gestellt werde, die ich jetzt nicht unbedingt immer so auflösen kann, das alles wie eine Gleichung aufgeht, sondern das da dabei immer, ich sag dazu immer, auch ein bisschen "Schuldigwerden" dabeibleibt."

Den weltlichen Zwängen versuchen die Mitglieder der "Initiative Europa" wenigstens sozialverträgliche Standards entgegen zusetzen. Die Initiative will dafür einen Kodex entwickeln, der Unternehmern eine Richtschnur geben soll.
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