Den Geist ruhig werden lassen

Von Josefine Janert · 13.08.2011
Der buddhistisch orientierte Hospizdienst Bodhicharya in Berlin begleitet sterbende Menschen zu Hause. Die Betreuer meditieren mit den Kranken, sprechen mit ihnen oder sind einfach da.
Eine ruhige Straße im Berliner Bezirk Friedrichshain. Auf einem Grundstück zwischen Altbauten hat das buddhistische Zentrum Bodhicharya seinen Sitz. Gebetsfahnen flattern in der Sonne. Die sanften Töne eines Windspiels wehen über das Gelände.
Die meisten Menschen kommen hierhin, um zu meditieren. Zum Zentrum gehört seit fünf Jahren auch ein ambulanter Hospizdienst. Er heißt ebenfalls Bodhicharya. Das bedeutet "erwachte Aktivität" und "aus dem Herzen handeln". Rund 30 Ehrenamtliche kümmern sich um Alte und Kranke. Sie besuchen sie in ihren Wohnungen, reden mit ihnen, hören zu. Manchmal schweigen sie gemeinsam. Wenn die Sterbenden es wünschen, meditieren die Ehrenamtlichen mit ihnen oder führen geistliche Gespräche.

Der Mönch Tenzin erklärt, warum Meditation wichtig ist. Der 45-Jährige hat früher Informatik studiert:

"Ja, also im Buddhismus ist Meditation, den Geist mit etwas Heilsamen vertraut zu machen. Bei Meditation, zum Beispiel stabilisierender Meditation, da hat man ein Objekt, zum Beispiel den Atem. Und man richtet den Geist auf das Objekt aus und übt, dass man das Objekt nicht vergisst oder dass der Geist abwandert. Wenn man selbst innerlich ruhig und zufrieden ist, wenn man das Leid des Sterbenden annehmen kann, und wenn man Mitgefühl für den Sterbenden hat, wird man selbst so ruhig. Und zu den analytischen Meditationen gehört die Vergegenwärtigung von Tod und Vergänglichkeit. Eigentlich beginnt man genau durch die Vergegenwärtigung des Todes zu leben. Weil man aufhört, in die Vergangenheit zu gehen, in die Zukunft, man guckt unmittelbar ins Jetzt, und man durchschneidet die ganzen Projektionen, was pseudowichtig ist, aber gar nicht wichtig ist."

In einem Büro sitzt Michaela Dräger. Sie ist 40 Jahre alt, hat dunkle Augen und weiche Gesichtszüge. Den Hospizdienst hat die Pädagogin zusammen mit anderen Mitarbeiterinnen des buddhistischen Zentrums gegründet. Als Hauptberufliche koordiniert sie ihn jetzt. Drägers Interesse an der Arbeit mit Sterbenden wurde vor zehn Jahren geweckt. Damals verlor sie ihre Mutter. Sie wurde erst zu ihr ins Krankenhaus geholt, als die Frau nicht mehr bei Bewusstsein war. Wenig später verstarb die Mutter.

"Es war einfach total schrecklich, sie zu sehen an diesen Schläuchen hängend. Und ich wurde dann gleich aus dem Zimmer gescheucht, weil sie halt da von den Schläuchen ab sollte und in einen anderen Raum gebracht. Und ich musste ewig warten. Es hat ewig, ewig, ewig gedauert, bis ich sie dann wiedersehen konnte.
Und ich fand es dann sehr schön, das möglich zu machen, dass es halt anders geht, dass man Zeit hat für den Abschied. Und dass man versucht, diese letzten Stunden so schön wie möglich zu gestalten, weil sie einfach wahnsinnig wichtig sind."

Während ihre Tochter mit einem Spielzeug beschäftigt ist, schiebt Michaela Dräger eine CD ein. Die hat sie aus Indien mitgebracht.

"Die Übersetzung ist: So lange diese Welt besteht, möge auch ich dableiben, um das Leiden in dieser Welt zu lindern. Und als ich zum ersten Mal dieses Bodhisattva-Bekenntnis, nennt man das, gehört habe vom Dalai Lama, da sind mir die Tränen gekommen. Ich hab seitdem das Gefühl, ich bin nicht mehr alleine. Und das ist total schön."

Michaela Dräger bezeichnet sich als Buddhistin. Sie glaubt an die Wiedergeburt, daran, dass ihre Seele immer wieder auf die Erde zurückkehrt, um Gutes zu tun. Um ehrenamtlich im Hospiz mitzuwirken, müsse man aber nicht Buddhist sein, betont sie. Voraussetzung sei lediglich das Interesse an dieser Religion. Von den Menschen, die der Hospizdienst betreut, seien auch nur wenige Buddhisten, sagt Michaela Dräger:

"Und wir erzählen auch niemandem was über den Buddhismus, der das nicht hören möchte. Es geht ja darum, möglichst friedvoll zu sterben. Wenn ich mein Leben lang an Jesus geglaubt habe, und Jesus bringt mir Kraft und Frieden und ein Gefühl von Geborgenheit, dann macht es keinen Sinn, plötzlich etwas anderes zu versuchen. Deswegen bestärken wir auch die Leute eher darin, wirklich bei ihrem Glauben zu bleiben und zu schauen: Was ist das, was mir ein Leben lang Halt gegeben hat, und was kann mir jetzt in dieser schwierigen Zeit Halt geben?"

Einmal im Jahr beginnt eine Schulung für neue ehrenamtliche Mitarbeiter. Sie dauert neun Wochenenden. Hinzu kommt ein Praktikum. Meist sind es Frauen, die sich für die Ausbildung entscheiden. Viele kommen aus helfenden Berufen, studieren Medizin oder arbeiten in der Pflege. Für den Hospizdienst entscheiden sie sich, weil ihnen das Menschliche in der Apparatemedizin zu kurz kommt. Die Schulung behandele verschiedene Themen, sagt Michaela Dräger:

"Einmal die praktischen Inhalte, da geht es um diese pflegerischen Inhalte oder um das Thema Patientenverfügung, rechtliche Hintergründe. Dann gibt es halt diesen buddhistischen Teil. Dann geht es einmal um den großen Teil der Selbstpflege und der Frage: Bin ich wirklich geeignet, so eine schwierige Aufgabe auf mich zu nehmen?"

Isolde Schwarz betritt das Büro. Die ehrenamtliche Hospizhelferin will etwas mit Michaela Dräger besprechen. Hauptberuflich unterrichtet Schwarz Thai Chi und Qigong, zwei fernöstliche Entspannungstechniken. Sie erzählt von einer 49-jährigen Frau, die an einer unheilbaren Krankheit litt:

"Sie war sich sehr bewusst darüber: Sie möchte jemand haben, mit dem sie sich über das Sterben unterhalten kann, mit dem sie reden kann, der nicht aus ihrer Familie ist, und den sie dann nicht selber trösten muss."

Ein Dreivierteljahr lang besuchte Isolde Schwarz die Frau einmal pro Woche für zwei Stunden. Im Oktober starb sie - zu Hause und im Beisein ihrer Angehörigen - und von Isolde Schwarz:

"Und ich hab mich zu ihr ans Bett gesessen und habe ihr gesagt: Ich bin jetzt da. Und sie soll sich an diese Situation, an die Meditation erinnern, weil ich einfach darauf vertraut habe: Sie hört mich. Aber im Laufe der Zeit ist sie dann ganz ruhig geworden, der Atem ist total ruhig geworden, ganz friedlich, und hat ausgesetzt. Und das war ein ganz, ganz berührender Moment, also auch für die Familie, dass sie dann, obwohl vorher so eine große Unruhe war, dass sie eigentlich ganz friedlich gegangen ist.

Also ich hab ganz viel Kraft von ihr bekommen. So von ihrem Mut konnt' ich ganz viel lernen, wie sie dem Sterben so entgegen gegangen ist. Von daher war es so, dass ich traurig war danach, aber auch ganz dankbar, dass sie mich so teilhaben ließ."

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