Dem Tod Respekt erweisen

Von Matthias Bertsch · 24.05.2013
Die Oper "Der Kaiser von Atlantis oder die Tod-Verweigerung" von Viktor Ullmann entstand im Ghetto Theresienstadt. Tatsächlich sollte die Oper dort 1943 auch aufgeführt werden, doch die Mitwirkenden wurden nach Auschwitz deportiert. Jetzt ist das Werk in Berlin zu sehen.
"Hallo, hallo! Sie hören jetzt: Der Kaiser von Atlantis, eine Art Oper in vier Bildern. Es treten auf ..."

Als Viktor Ullmann im Frühjahr 1943 in Theresienstadt mit der Komposition seiner Oper begann, herrschte im Ghetto relative Ruhe, betont der Musikwissenschaftler und Ullmann-Experte Albrecht Dümling. Nach der verlorenen Schlacht um Stalingrad waren die Transporte nach Auschwitz für ein halbes Jahr unterbrochen worden.

"In dieser relativ ruhigen Zeit starben natürlich trotzdem ständig Menschen an Krankheiten, nicht an Vernichtung, sondern an Krankheiten, es waren viele alte Menschen, täglich starben etwa 150 Leute, der Komponist sah dieses, und hat dann eine Oper geschrieben, welche Rolle spielt der Tod, gibt es überhaupt hier noch einen würdigen Tod, also es ging nicht um die Vernichtung, sondern um das natürliche Sterben, aber unter grauenhaften Lebensbedingungen, und er hat gesagt, der Tod hat hier keine würdige Rolle mehr, er dankt ab."

"Der Tod muss jeden Augenblick eintreten!"

"Der Tod dankt ab", lautete auch der ursprüngliche Untertitel des Werkes, erst später wurde "Die Tod-Verweigerung" daraus.

"Eine seltsame Krankheit ist ausgebrochen, die Soldaten können nicht sterben."

"Sucht den Erreger dieser Krankheit. Wie viele sterben, seit die Seuche auftrat?"

"Keiner. Tausende ringen mit dem Leben, um sterben zu können."

"Danke, ich werde Verfügungen erlassen, Außenamt: Plakate an allen Ecken, Aufrufe im Rundfunk, Trommeln in den Dörfern."

Die Anspielungen des Stückes auf Krieg und Tyrannei waren offensichtlich und doch ging es Ullmann keineswegs nur um eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus.

"Der Kaiser ist nicht nur Hitler, und der Trommler ist nicht nur Göbbels, obwohl das natürlich schon naheliegt, der Propagandist, der Trommler, der dann zum Krieg trommelt, sondern es ist ja ein mittelalterlicher Totentanz. In der großen Pest, da sind ja die Totentänze entstanden, wo die Leute zu Tausenden gestorben sind, da hat man den Tod als Gevatter Tod, als Erlöser erfunden, daran knüpft Ullmann auch ganz stark an, aber er überließ den Hörern die Freiheit, sich da auf die Gegenwart zu beziehen, und ich denke, dass Peter Kien das vielmehr als politische Botschaft verstanden wissen wollte. Und da gab es Konflikte innerhalb der Produzenten selbst."

Kien, von dem der Text zur Oper stammte, war 20 Jahre jünger als Ullmann und deutlich politischer als dieser. Beide hatten viele Jahre in Prag verbracht und waren wegen ihrer jüdischen Vorfahren nach Theresienstadt deportiert worden. Vor allem Ullmann jedoch, dessen Eltern bereits zum Katholizismus konvertiert waren, verstand sich nicht als Jude oder jüdischer Künstler.

"Er war vor allem Antroposoph, das war seine Weltanschauung, und er hat auch einen großen Essay geschrieben, 'Goethe und Ghetto', wo er Goethe im Sinne der Antroposophie versteht. Auch die Oper 'der Kaiser von Atlantis' hat sehr viel von einer früheren Oper, die er 1936 geschrieben hat, 'der Sturz des Antichrist', und das beruht auf einem Text von Albert Steffen, einem führenden Antroposophen, da geht es auch um die Auseinandersetzung mit der Diktatur, aber aus der Sicht der Antroposophie, also Ullmann war in erster Linie Antroposoph, er wurde dann zum Juden gemacht."

Gegen das Stigma, ein jüdischer Künstler zu sein, konnte sich Ullmann genauso wenig zur Wehr setzen wie gegen die Tatsache, dass das vielfältige kulturelle Leben in Theresienstadt bewusst von den Nationalsozialisten missbraucht wurde.

"Theresienstadt ist eine ganz vielfältige, zwiespältige Angelegenheit: Die Kunst wurde ja dann von den Nazis zur Propaganda verwendet, und tatsächlich hat das Internationale Rote Kreuz geglaubt, das geht alles mit rechten Dingen zu, aber die Kunst hat tatsächlich den Insassen ja geholfen, die Kunst war Propaganda für die Nazis, aber sie hat den Überlebenswillen, den Lebenswillen bei den dort zusammengepferchten Menschen gestärkt, es haben ja doch immerhin einige überlebt und sie sagen, ohne die Kunst hätten sie es nie geschafft."

Ullmanns Kunst aus der Vergessenheit zu befreien, ist auch das zentrale Anliegen von John Axelrod. Der aus den USA stammende Dirigent, der die Aufführung in der Topografie des Terrors leitet, ist immer wieder fasziniert, welche Vielfalt der Traditionen und Zitate sich im "Kaiser von Atlantis" findet: von Bach bis Luther, von Mahler bis Weill."

"Unser Schwerpunkt ist, Viktor Ullmann hat dieses Stück mit so viel deutscher Musik, deutscher Bildung komponiert. Nicht nur ein Schwerpunkt, oh das war schrecklich, dieser Nationalsozialismus und die Concentration Camp und Theresienstadt, ja das war eine Propaganda für Göbbels und die Nazi-Partei, aber was ist mehr wichtig, ist, wir müssen ein offenes Herz haben für deutsche Bildung und Viktor Ullmann, es war ein Requiem eigentlich für deutsche Bildung."

Ein Requiem, das mit der Aufforderung endet, auch dem Tod gegenüber Respekt zu erweisen.

"Du sollst den großen Namen Tod nicht eitel beschwören."