Flüchtlingspolitik

Grenzen sind eine grausame Errungenschaft

Die Zahl der afrikanischen Flüchtlinge, die ein besseres Leben in Europa suchen, reißt nicht ab.
Die Zahl der afrikanischen Flüchtlinge, die ein besseres Leben in Europa suchen, reißt nicht ab. © afp / Angelos Tzortzinis
Von Peter Kees · 11.06.2015
Der Künstler Peter Kees hat in den vergangenen Jahren immer wieder einzelne Quadratmeter europäischer Länder "annektiert" und zum Staatsgebiet von Arkadien erklärt. Als selbsternannter Botschafter vergibt er Visa und gewährt Asyl. Er fordert die Abschaffung nationalstaatlicher Grenzen.
Jeder Mensch kommt an einem bestimmten Ort in einer bestimmten Zeit zur Welt. Man wird dabei in Lebensbedingungen hineingeboren, die man sich nicht ausgesucht hat. Wer damit nicht einverstanden ist, kann zwar nicht seiner Zeit entfliehen, wohl aber den Ort verändern. Zu allen Zeiten haben sich Menschen aufgemacht, um nach lebenswerteren Plätzen zu suchen.
Das gilt nicht nur für frühe Nomaden-Völker. Nicht nur für die Völkerwanderung der Spätantike. Auf Grund von Missernten in Irland beispielsweise wanderten Mitte des 19. Jahrhunderts Millionen von Menschen nach Kanada, Australien und in die USA. Die Gastarbeiterbewegungen der Wirtschaftswunderjahre, die deutschen Auswanderer nach Süd- und Südosteuropa des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts sind nur einige weitere Beispiele für diesen urmenschlichen Drang: sich möglichst optimale Lebensbedingungen zu suchen. An Stammbäumen und Namensgebung ist das leicht abzulesen.
Die vermeintliche Freiheit
Aber hat jeder Mensch die Freiheit, den eigenen Lebensort zu bestimmen? Das wäre naive Theorie. Waren es früher Barbaren, die einander deshalb niedermetzelten, so sind es heute zivilisatorisch errungene Normen, die freiheitliches Umherziehen und Bewegungsfreiheit einschränken. Europa beispielsweise schließt seine Grenzen für Menschen aus anderen Regionen. Es darf eben nicht jeder einfach dort leben, wo er leben will. Denn die Wahl des Lebensortes ist abhängig von Geburtsort und der Nation, der man angehört. Doch das sind Konstrukte.
Mit der Errungenschaft des Eigentums und der ihr folgenden Zivilisation haben wir uns selbst Grenzen gesetzt.
Es war Vergil, der bereits in der Antike einen Gegenentwurf in seinen Hirtengedichten niederschrieb. Die Idee einer idealen, freiheitlichen Landschaft projizierte er in den griechischen Gebirgszug Arkadien. Diese Sehnsucht nach Harmonie und Freiheit hat die europäische Kulturgeschichte mitprägt. Trotzdem bleibt die Vorstellung einer arkadischen Welt bis heute Utopie.
Betrachten wir heute die Flüchtlingsströme, so sind sie menschliche Wanderbewegungen, wie es sie immer gab. Menschen sehnen sich nach besseren Lebensbedingungen. Ob man es wahrhaben will oder nicht: Die Grenzen, die Menschen heute an der Suche nach besseren Lebensbedingungen hindern, sind eine Erfindung, eine grausam zwiespältige Konstruktion.
Jeder Mensch sollte dort leben können, wo er will
Zivilisation bedeutet zwar Grenzsetzung und Einschränkung – aber eben auch Humanität. Es wäre an der Zeit, diese zivilisatorisch gesetzten Staatsgrenzen zu überdenken. Jeder Mensch sollte dort leben können, wo er will. Freiheitlich und gleich aus welchem Grund. Um es ganz deutlich zu sagen: Nationalstaaten werden überflüssig. Die Welt könnte Arkadien heißen.
Wir haben Ordnungssysteme entworfen, und wir können sie auch hinterfragen. Was wäre, wenn wir Vergils Impuls nicht länger idealisieren und ins Museum verbannen? Bereits Rousseau sah im Eigentum die Ursache des gesamten gesellschaftlichen Unglücks. Es ist an der Zeit, die Welt neu zu denken. Grenzen müssen weg und Eigentum muss neu verhandelt werden. Freilich entstehen mit jeder dieser Fragen neue Herausforderungen. Seien wir nicht feige. Stellen wir uns ihnen.
Peter Kees, geboren 1965, befasst sich als Künstler und Publizist mit Sehnsüchten, Idealen und Visionen. Die Idee der Arkadischen Botschaft zeigte er erstmals auf der Biennale von Havanna 2006. Seither hat er mehrfach einzelne Quadratmeter in europäischen Ländern annektiert und zum arkadischen Staatsgebiet erklärt. Als Arkadischer Botschafter vergibt er Visa und gewährt Asyl. Zu sehen waren seine Arbeiten u.a. auf der Mediations Biennale in Posen, im Museum of Contemporary Art Skopje, in La Capella Barcelona, im PAN Palazzo delle Arti Napoli, in der Neue Nationalgalerie Berlin, im Berliner Martin-Gropius-Bau, am Kunsthaus Bregenz, an der Kunsthalle Rostock und am ACC Weimar.
Peter Kees
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