Deborah Lipstadt: "Der neue Antisemitismus"

Was tun gegen den alten neuen Judenhass?

Ein Mann hat eine Israelfahne über seine Schultern gelegt und trägt eine Kippa
Enthält auch praktische Hinweise für den Alltag: "Der neue Antisemitismus" von Deborah Lippstadt © Berlin Verlag/Federico Gambarini,dpa
Von Pia Rauschenberger · 22.12.2018
Einst musste die Holocaust-Forscherin Deborah Lipstadt einem Gericht beweisen, dass der Holocaust stattfand. Denn ein Holocaust-Leugner hatte sie verklagt. Nun schreibt Lipstadt ein überraschendes Buch darüber, wie man mit Antisemiten umgehen kann.
Ein Großteil der jüdischen Bevölkerung in der Europäischen Union hat das Gefühl, dass Antisemitismus in den vergangenen fünf Jahren deutlich zugenommen hat. Das ist das Ergebnis einer neuen Antisemitismus-Studie der EU-Agentur für Grundrechte. In Deutschland haben sogar 44 Prozent der Juden bereits ans Auswandern gedacht. Die Historikerin und Holocaust-Forscherin aus den USA, Deborah Lipstadt, hat ein Buch über diesen zunehmenden Judenhass geschrieben.

Wenn Holocaust-Leugner gegen Fakten klagen

Es heißt "Der neue Antisemitismus", aber Lipstadt beschreibt auch die Kontinuitäten des Antisemitismus. Dass er in allen politischen Lagern vorkommt, ob bei Linken oder Rechten, und dass er kein in sich logisches Gedankengebäude ergibt. Die mangelhafte Logik sieht Lipstadt unter anderem bei Holocaust-Leugnern. Mit Menschen, die ausgerechnet den am besten dokumentierten Genozid leugnen, wolle sie nicht mehr diskutieren. Das sei wie der Versuch, Pudding an die Wand zu nageln. Was sicher an ihren eigenen Erfahrungen mit Holocaust-Leugnern liegt: Im Jahr 2000 musste sie in einem Prozess beweisen, dass die Ermordung von sechs Millionen Juden stattgefunden hatte – ein Holocaust-Leugner hatte sie wegen Verleumdung verklagt.
Das Verblüffende: Lipstadt hat ihr Sachbuch in Form eines fiktiven Briefwechsels geschrieben. Zwei ebenfalls fiktive Personen schreiben ihr Briefe mit teils sehr grundsätzlichen Fragen: Wo fängt Antisemitismus an? Wie kann ich richtig darauf reagieren? Und sogar: Wird Judenhass überbewertet? Lipstadt bekennt, dass auch sie keine ausreichenden Antworten auf alle Fragen geben kann, versucht aber anhand von aktuellen Beispielen Antworten zu finden. Ihre fürsorgliche Ansprache und der teilweise anekdotische Stil machen das Phänomen Antisemitismus greifbar und rechtfertigen die Briefform.

Wie antisemitisch ist die BDS-Bewegung?

In ihren Beispielen konzentriert sich Lipstadt auf die Jahre seit der Jahrtausendwende. Das Ergebnis liest sich wie eine Chronik antisemitischer Ereignisse und Verbrechen der vergangenen Jahre in Europa und den USA. Detailliert schildert sie antisemitische Vorfälle und die Reaktionen von Politikern, Polizei und Medien. Lipstadt geht zudem auf Phänomene wie die BDS-Bewegung ein: Boycott, Divestment, Sanctions. Die Bewegung setzt sich für ein Rückkehrrecht aller Palästinenser ein. Sie fordert als Druckmittel einen vollständigen wirtschaftlichen und kulturellen Boykott Israels und ein Ende aller ausländischen Investitionen. Über das Ausmaß des Antisemitismus in der Bewegung wird immer wieder heftig diskutiert. Lipstadt beantwortet die Frage danach – wie auch viele andere Fragen in ihrem Buch – sehr nüchtern und ausgewogen mit einem: Es kommt darauf an. Das mag auf den ersten Blick etwas unbefriedigend sein, ist aber eine große Stärke des Buches.
Und bei aller Nüchternheit schafft Lipstadt es, beinah alltagspraktische Ratschläge zu geben, wie wir Antisemitismus erkennen, wie wir ihn ansprechen und welche Konsequenzen wir daraus ziehen können.

Deborah Lipstadt: "Der neue Antisemitismus"
Berlin Verlag, 2018
274 Seiten, 24 Euro

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