Debatte um Wehrpflicht

Bundeswehr und Gesellschaft müssen aufeinander zugehen

08:09 Minuten
Bundeswehr-Soldaten stehen in einer Reihe, im Hintergrund ist die Reichstagskuppel in Berlin zu erkennen.
Eine Parlamentsarmee mit rechtsextremen Umtriebe: Dagegen helfe, die "vertikale Kohäsion" zwischen Soldaten und politischer Führung zu stärken, findet der Militärhistoriker Sönke Neitzel. © Picture Alliance / dpa / ZUMA Wire / Omer Messinger
Sönke Neitzel im Gespräch mit Julius Stucke · 06.07.2020
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Eine Wehrpflicht hilft nicht gegen Rechtsextreme, sagt der Militärhistoriker Sönke Neitzel. Das Problem gebe es seit Bestehen der Truppe. Wichtiger sei es deshalb, die Loyalität der Soldaten mit der Gesellschaft zu stärken.
Nun ist sie wieder da: die Debatte über die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Mit dieser wäre die Bundeswehr weniger anfällig für Rechtsextreme, meint die Wehrbeauftragte Eva Högl. Anders sieht das Sönke Neitzel. Er ist Professor für Militärgeschichte an der Universität Potsdam.
Seit der Gründung der Bundeswehr habe es immer wieder spektakuläre Fälle von Rechtsextremismus gegeben. So haben Bundeswehr-Offiziere im Jahr 1969 auf der Liste der NPD für die Bundestagswahl kandidiert. In den 1990er-Jahren gab es zudem rechte Umtriebe, die in einem Untersuchungsausschuss des Bundestags aufgearbeitet wurden.

Aufgabe des Abschirmdienstes

Nach der Wiedervereinigung sei "der Rechtsextremismus, den es immer gab in der Bundeswehr, verstärkt durch die Wehrpflichten" in die Truppe gekommen, sagte der Historiker. "Die Bundeswehr ist nicht ein Abbild der Gesellschaft, aber es spiegeln sich - ob Wehrpflicht oder nicht - immer auch gesellschaftliche Strömungen in ihr wider." Es sei eher die Frage, wie man den Rechtsextremismus bekämpfe und klein hält.
Dies sei zum einen die Aufgabe des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Dieser müsse, wie nun angekündigt, verbessert und vergrößert werden. Zum anderen müsse die "vertikale Kohäsion" - also die Loyalität der Soldaten mit der politischen und militärischen Führung - gestärkt werden, so Neitzel. "Diese ist in den letzten zwanzig Jahren mit Füßen getreten worden. Man hat die Bundeswehr ausbluten lassen. Dass dann irgendwann mal die Loyalität leidet, ist zu erwarten."
Es müsse sich daher mehr um die vertikale Kohäsion bemüht werden: "Das ist eine Bringschuld seitens der Bundeswehr und der Bundeswehrsoldaten, aber auch von Gesellschaft und Politik. Wir müssen beide aufeinander zugehen", sagte der Militärhistoriker.

Zu viele Soldaten

Wichtig sei bei der Debatte zu beachten, dass je länger Menschen in einer Institution dienten, sie sich umso mehr mit dieser identifizierten. "Wir wissen, dass Stabsoffiziere eine ganz andere Identifizierung mit diesem Staat, dem Grundgesetz und dem politischen System haben als 19-Jährige." Rechtsextremismus in der Bundeswehr sei vor allem "auch eine Dienstgradsache", unterstreichte Neitzel.
Ein anderes Argument gegen die Wiederinkraftsetzung der Wehrpflicht sei, dass die Bundeswehr nicht mehr so viele Soldaten brauche. Würden alle jungen Menschen eingezogen, würde die Bundeswehr von derzeit rund 180.000 auf mehr als 500.000 Soldaten anwachsen. "Die braucht eigentlich kein Mensch", urteilte Neitzel.
(rzr)
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