Debatte um "New York Times"

Political Correctness oder "Gesinnungsterror"?

08:23 Minuten
Ausgaben der New York Times an einem Kiosk.
Liberales Flaggschiff: In der "New York Times" ist eine Debatte um eine angeblich rassistische Äußerung eines Mitarbeiters entbrannt. © picture alliance / AP / Kin Cheung
Peter Mücke im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 15.02.2021
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Einem Wissenschaftsjournalisten der "New York Times" wurde aufgekündigt, weil er einen rassistischen Begriff benutzt hat. US-Korrespondent Peter Mücke beleuchtet den komplexen Fall und erklärt, warum das hierzulande so nicht passiert wäre.
Der US-amerikanische Wissenschaftsjournalist Donald McNeil hat auf einer Reise mit Highschool-Schülern das "N-Wort" ausgesprochen, mit dem schwarze Menschen beschimpft werden. Allerdings bei einer Rückfrage während eines Gesprächs mit einer Studentin. Die hatte ihn über einen Fall befragt, in dem eine andere Studentin wegen dieses Wortes von ihrer Schule verwiesen worden war.
McNeil hat während des Gesprächs das Wort ausgesprochen, was in den USA als Fortsetzung rassistischer Narrative betrachtet wird. Nun musste der Journalist wegen eines Sturms der Entrüstung die "New York Times" verlassen. McNeil erfuhr daraufhin Unterstützung durch Kollegen in den USA und auch aus Deutschland.

Die gespaltenen Vereinigten Staaten

Peter Mücke, Korrespondent in New York, sagt, dass der Fall in Deutschland in dieser Form kaum nachvollziehbar sei. Er räumt aber ein, dass der Verlauf ihn gerade in New York nicht überrascht habe:
"Da gibt es zum einen diesen Eifer, was eine korrekte Sprache angeht, der in Deutschland noch am Entstehen ist, zum anderen eine tief gespaltene Medienlandschaft, in der die 'New York Times' eine ganz besondere Rolle als Vorbild und Leuchtturm spielt als zum großen Teil auch selbst ernannte Instanz des guten, anständigen, liberalen Amerikas."
Diese Rolle der Zeitung sei in diesem Zusammenhang wichtig, denn wenn McNeil bei der Washington Post oder dem Wall Street Journal gearbeitet hätte, wäre die Zusammenarbeit nicht beendet worden. Pikant in diesem Zusammenhang sei auch, dass die "New York Times" McNeils Corona-Berichterstattung für den Pulitzerpreis nominiert habe.

Undifferenzierte Debatte und struktureller Rassismus

Bei der Debatte bleibe die Differenzierung auf der Strecke, sagt Mücke. "Für Fox News und andere konservative Medien ist das wieder ein Beleg dafür, dass hier 'Gesinnungsterror' ausgeübt wird; für die anderen, die Liberalen, die linksliberalen Medien ist das alles völlig richtig und überhaupt keiner Diskussion würdig - auch hier eine krasse Spaltung wie im gesamten politischen System."
Der Diskurs, von dem man in Deutschland beklage, dass es ihn zu wenig gebe, den gebe es in den USA gar nicht, so Mücke. In den USA habe es manchmal etwas Religiöses, wie über Sprache gestritten werde. Im Bundesstaat New York müsse man einmal im Jahr ein Antidiskriminierungstraining machen.
"Da lernen wir dann, dass es über 40 Straftatbestände gibt, mit denen ein Kollege diskriminiert werden kann. Dazu gehört unter anderem die Frisur. Das ist alles festgeschrieben und sanktioniert, eine ganze Industrie verdient Geld damit. Auf der anderen Seite ist es völlig akzeptiert, dass hier eine Armee von 'Illegalen' ausgebeutet wird, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Ob das Restaurantmitarbeiter in den Küchen sind oder Menschen, die die Lieferdienste machen. Da stellt niemand die Frage, dass es selbstverständlich Schwarze und Latinos sind, die diese Jobs machen. Wehe, sie versuchen, eine Gewerkschaft zu gründen! Mit diesem hohen moralischen Ross, auf dem hier viele sitzen und nur sitzen können, weil andere die Drecksarbeit für sie machen, tue ich mich persönlich schwer", sagt Mücke.
McNeil habe aus verschiedenen Gründen in der "New York Times" Feinde gehabt. "Er ist Gewerkschafter und hat vor zehn Jahren, als die Zeitung vor der Pleite stand, für mehr Geld gekämpft." Während der Coronapandemie sei McNeil aber zu einer Art Stimme der "New York Times" mit seiner fundierten Berichterstattung geworden. Dass er innerhalb des Hauses aber keinen Rückhalt genossen habe, zeige ein Brief von 150 Kollegen, die vom Verlag ein Ende der Zusammenarbeit gefordert haben.
(rja)
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