Debatte um neues Masernschutzgesetz

Masernimpfschutz ja – doch dafür Grundrechte einschränken?

08:35 Minuten
Ein Impfbuch mit angekreuzten Feldern von Masern, Mumps, Röteln, Varizellen, und Hepatitis B.
Eine gesetzliche Regelung soll künftig Eltern dazu verpflichten, ihre Kinder impfen zu lassen. © Picture Alliance / dpa / Daniel Karmann
Moderation: Julius Stucke · 18.10.2019
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Das im Bundestag eingebrachte Impfpflichtgesetz soll sicherstellen, dass Bürger nicht gefährdet werden, wenn Menschen sich nicht impfen lassen. Der langjährige Impfkommissionsleiter Jan Leidel lehnt das Gesetz ab. Der Gesetzgeber müsse andere Wege finden, Patienten vom Impfen zu überzeugen.
Mit einer bundesgesetzlichen Regelung sollen künftig Eltern dazu verpflichtet werden, ihre Kinder impfen zu lassen. In Paragraphen festgehalten soll dieser Schutz der Gesundheit nun werden, weil sich eine zuletzt immer stärker gewordene Bewegung wehrt. Fast jedes fünfte Kind im Alter von zwei Jahren ist einer vor wenigen Tagen veröffentlichten Umfrage zufolge nicht ausreichend gegen Masern geimpft. Und die Techniker-Krankenkasse teilte ebenfalls erst kürzlich auf der Grundlage seiner Versichertenangaben mit, dass elf Prozent der im Jahr 2016 Geborenen unvollständig geimpft und sieben Prozent gar nicht geimpft seien. Die Impfgegner leben dabei vor allem in Städten.
Laut dem nun vorliegenden Gesetzentwurf der Regierung sollen künftig dann alle Kinder vor der Aufnahme in Kitas, Schulen, anderen Gemeinschaftseinrichtungen nachweisen, dass sie geimpft sind. Das gilt dann auch für alle, die in den Einrichtungen arbeiten und für das Personal in medizinischen Einrichtungen. Auch in Flüchtlingsunterkünften gilt die Impfpflicht für alle. Nicht geimpfte Kinder können vom Besuch der Kita ausgeschlossen werden. Wer sich als Mitarbeiter einer Gemeinschafts- oder Gesundheitseinrichtungen verweigert, darf dort keine Tätigkeiten aufnehmen. Eltern, die ihre Schulkinder nicht impfen lassen, müssen mit Bußgeldern von bis zu 2500 Euro rechnen.

Kritik an der Impfpflicht

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) begründete diese Pläne mit den Gefahren für die Mitmenschen: "Schon wenn einer im Raum hustet, kann sich zehn Meter weiter einer anstecken. Und es kann einen sehr gefährlichen Verlauf nehmen – die Erkrankung – bis hin zu Lungenentzündung, Gehirnentzündung, in seltenen Fällen bis zum Tod." Und all das sei leicht vermeidbar, durch langjährig erprobte Impfungen. Impfen sei so bedeutsam, weil es nicht nur um den eigenen Schutz, sondern auch um den kollektiven Impfschutz geht.

All diesen Argumenten für das Impfen widerspricht auch Jan Leidel nicht. Leidel war lange Jahre Mitglied der Ständigen Impfkommission (STIKO) und bis vor wenigen Jahren deren Vorsitzender. Leidel aber sagt, dass es für die Durchsetzung einer besseren Impfquote keine Impfpflicht brauche. Die Impfung eines Menschen gegen dessen Willen sei nach deutschem Recht eine Körperverletzung und dies sei auch ein hohes Gut, das es zu schützen gelte.
Und die Möglichkeit, dieses Recht auszuhebeln, also Impfungen anzuordnen, gebe es auch schon: "Im Infektionsschutzgesetz gibt es die Bestimmung, dass die Bundesregierung unter bestimmten Bedingungen, nämlich wenn eine solche Krankheit in besonders schweren klinischen Verläufen auftritt, anordnen kann, dass bedrohte Teile der Bevölkerung sich Schutzimpfungen unterziehen müssen."

Sind die angedrohten Strafen verhältnismäßig?

Leidel begründet seine Ablehnung dieser nun gesetzlich verankerten Impfpflicht für die Masernimmunisierung mit Unverhältnismäßigkeit: "Wenn man ein Gesetz erlassen möchte, das gegen ein Grundrecht verstößt, dann müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen muss die Maßnahme notwendig sein, das heißt, alle anderen Möglichkeiten sind ausgeschöpft und haben nicht funktioniert. Außerdem muss sie geeignet sein, das heißt, es muss damit gerechnet werden dürfen, dass das angestrebte Ziel dadurch auch erreicht wird. Und schließlich muss sie angemessen oder verhältnismäßig im engeren Sinn sein, zum Beispiel die Impfpflicht gegen Pocken."
Bei den Pocken starben 30 bis 40 Prozent der Erkrankten und nicht wie bei den Masern ein Promille, erklärt Leidel und sieht in diesen Zahlen begründet, dass es für die Masernimpfung nicht angemessen sei, grundgesetzlich zugesicherte Rechte auszuhebeln.
Viel wichtiger als die Impfpflicht ist nach Darstellung Leidels der künftig durchgesetzte Stärkung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, um die Bevölkerung zu informieren und aufzuklären, ebenso wie die Möglichkeit, dass mehr Ärzte auch aus anderen Feldern Impfungen vornehmen können und dafür dann auch honoriert werden von den Kassen. Doch was fehle, seien Instrumente, um gegen den Einfluss und das Wirken impfkritischer Ärzte, vorzugehen, denn die verstießen gegen ihre Berufspflicht und bräuchten keinerlei Sanktionen zu befürchten.

(sru)
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