Debatte um Céline-Neuauflage

"So widerlich, dass selbst die Nazis Abstand nahmen"

1968 - Louis Ferdinand Celine (E~ PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAk09_ 1968 Louis Ferdinand Celine PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY ZUMAk09_
Der französische Schriftsteller Louis-Ferdinand Céline © imago/Zuma
Jürgen Ritte im Gespräch mit Moderatorin Sigrid Brinkmann · 22.12.2017
Der angesehene Gallimard-Verlag plant unter dem Titel "Polemische Schriften" eine Neuauflage der antisemitischen Texte von Louis-Ferdinand Céline. Anwalt und Nazijäger Serge Klarsfeld will das verhindern. Literaturwissenschaftler Jürgen Ritte attestiert den Texten keinerlei literarischen Wert.
Louis-Ferdinand Céline (1894-1961) gilt als großer stilistischer Erneuerer. Bekannt wurde er 1932 durch seinen Roman "Reise bis ans Ende der Nacht". Das literarische Frankreich im 20. Jahrhundert hat er entscheidend geprägt, aber er hatte auch eine hässliche Seite.
Bei den nur zur Veröffentlichung vorgesehenen Schriften von Céline handele es sich um drei eigentlich längst bekannte antisemitische Pamphlete, die zwischen 1937 und 1941 entstanden seien, so Jürgen Ritte, der an der Pariser Sorbonne Literatur unterrichtet. Die Texte seien nicht nur antisemitisch, sondern auch "antikommunistisch, antikapitalistisch, Anti-System, also genau das Geschrei und Gegröle, das wir heute aus anderen Kehlen auch hören", so der Wissenschaftler.
Sie hätten die typischen, stilistischen Merkmale Célines, sie sähen aus wie zerschossen. "Das sind Satzfragmente. Im Grunde genommen nur Aufschreie, es ist nichts Zusammenhängendes", urteilt Ritte.

Hetzschriften im Internet zugänglich

Der Gallimard-Verlag habe seit 1946 alle Rechte an Célines Texten erworben und wolle offenbar von Céline auch alles vorlegen können, was es von ihm gibt. Delikat daran sei, dass diese drei Texte im Internet aber bereits ganz einfach zugänglich seien, so Ritte weiter. Außerdem habe ein franko-kanadischer Verlag die strittigen Texte schon vor fünf Jahren in einer kommentierten Fassung neu aufgelegt. Gallimard habe in einer ersten Stellungnahme angegeben, dass man diese Ausgabe übernehmen will. "Ich sehe darin nur den Willen vollständig zu sein, also den kompletten Céline in einem französischen Haus anbieten zu können", meint Ritte.
Célines testamentarische Verfügung besage, dass er diese drei Texte aus seinem Werk ausgeschlossen haben wollte. Und seine hochbetagte Witwe, Lucette Destouches, habe sich bisher strikt an diese Verfügung gehalten. Warum sie nun offenbar ihre Meinung geändert habe, sei für ihn ein Rätsel, sagt Ritte. Und schließlich sei dies auch ein juristisches Problem: "Darf man sich einfach über den Willen des Autors (...) hinwegsetzen?"

Teilerfolg für Serge Klarsfeld

Der bekannte Anwalt und Nazijäger Serge Klarsfeld habe in seinem Bemühen, die Neuauflage der Texte zu verhindern, inzwischen einen Teilerfolg erzielt. Der Rassismus-Beauftragte des französischen Premierministers habe Gallimard einen Brief geschrieben und Auflagen für die Veröffentlichung verfügt. Die Texte müssen, wenn sie denn erscheinen, mit Kommentaren und einem kritischen Apparat versehen werden.
Diese Pamphlete seien "absolut widerlich", so Ritte - "es ist so widerlich, dass selbst die Nazis von Céline Abstand gehalten haben". Ihre auf Kollaboration und eine Charme-Offensive aufbauende Politik im besetzen Frankreich sahen die Nationalsozialisten durch Céline gefährdet. Dass Klarsfeld also nun gegen diese Neuauflage zu Felde ziehe, sei nachvollziehbar. Und es wirke in der Tat "etwas störend", wenn in einem "so noblen, so reputierten Verlag wie Gallimard" solche Texte erscheinen sollen, schließt Ritte.
Mehr zum Thema