Debatte um "Cancel Culture"-Vorwurf gegen NYT

Merkur-Herausgeber kritisiert Opferhaltung der Ex-Kolumnistin

06:44 Minuten
SANTA FE, NEW MEXICO - DECEMBER 22, 2019: A home-delivered copy of The New York Times in a driveway in Santa Fe, New Mexico. (Photo by Robert Alexander/Getty Images)
Der "New York Times" wird von der Ex-Kolumnistin Bari Weiss vorgeworfen, Meinungsvielfalt zu behindern. © Getty / Archive Photos
Ekkehard Knörer im Gespräch mit Britta Bürger · 20.07.2020
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Die Journalistin Bari Weiss kündigte mit Verweis auf eine antiliberale Stimmung bei der "New York Times". Der Publizist Ekkehard Knörer allerdings zweifelt an der Opferrolle der Ex-Kolumnistin.
Die Kolumnistin Bari Weiss hat mit ihrer prominent in Szene gesetzten Kündigung bei der "New York Times" weit über die Stadt hinaus eine Debatte ausgelöst. Weiss wirft der Zeitung vor, ein um sich greifendes antiliberales Klima, das bei Journalisten Selbstzensur auslöse, nicht zu bekämpfen, sondern es sogar zu befördern. Sie soll wegen ihrer Haltungen gemobbt und als Rassistin beschimpft worden sein.
Auch Twitter spielt in ihrer Argumentation eine gewichtige Rolle, weil dort laut Weiss eine begrenzte aber laute "links-illiberale" Zielgruppe zufriedengestellt werden solle.

Twitter kann ein Qualitätsmedium sein

Der Filmkritiker, Kulturwissenschaftler und Mitherausgeber der Zeitschrift "Merkur" Ekkehard Knörer betont, dass es eine Trennung von "Qualitätsmedien" und Twitter per se nicht geben dürfe, wie sie im Rahmen dieser Debatte stellenweise aufgekommen sei.
"Es sind ja jede Menge Vertreter von Qualitätsmedien auf Twitter aktiv. Klarerweise ist Twitter nicht für jedes Temperament geeignet. Das ist sicher auch nicht die Plattform, in der philosophische Debatten im Sinne von langen Essays stattfinden können. Twitter ist das Medium, in dem man schnell reagiert, in dem man scharf reagiert, in dem aber auch, das ist für mich eigentlich das viel Wichtigere, Stimmen zu Wort kommen, die es sehr viel schwerer hätten, sonst Gehör zu finden."
Dabei könne es passieren, dass man "etwas über die Stränge schlage". Dennoch gebe es täglich hundertfach ernsthafte Debatten auf Twitter: "Da sind ja sehr viele Wissenschaftler, die ernsthaft über ihre Dinge und ihre Gegenstände verhandeln, miteinander, aber immer auch offen für alle, die sich dafür auch interessieren. Jeder kann sich dazuschalten, jeder kann da teilnehmen und nachfragen. Das gehört zum Ethos dieses Mediums."

Weiss' Stilisierung als Opfer

Die Situation von Bari Weiss sei von hier aus schwer zu beurteilen, sagt Knörer. Es sei ihm aber aufgefallen, dass Weiss, als es Kritik an einem Artikel von Tom Cotton in der "NYT" gegeben hatte - in dem er sich für den Einsatz des Militärs gegen "Black Lives Matter"-Demos ausgesprochen hatte -, von einem Bürgerkrieg in der Redaktion der "New York Times" gesprochen habe. Er sieht diesen Vergleich Bari Weiss' als alarmierendes Zeichen: "Wer so einsteigt in der Debatte, ist für mich jedenfalls nicht deeskalierend. Und da bin ich schon mal sehr skeptisch, wenn sie dann daherkommt und sich als Opfer stilisiert."
Natürlich werde in den großen Medien - anders als bei Twitter - redigiert. Es gebe Entscheidungen, welche Stimmen zu Wort kämen und welche nicht, wie scharf formuliert und argumentiert werden könne: "Und es ist völlig klar, dass es eine Grundhaltung gibt. Die Grundhaltung der 'New York Times' ist linksliberal, und da gilt es dann schon zu entscheiden, welche Ansichten man für diskutabel halten will und welche für indiskutabel. Und bei Tom Cotton sind sich, glaube ich, eigentlich alle einig, dass da eine völlig indiskutable Position in der 'New York Times' als eigene Stimme zu Wort gekommen ist."
(rja)
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