Debatte um Alltagsrassismus

"Der Ton macht die Musik"

Journalist Hasnain Kazim auf einem Gang auf der Frankfurter Buchmesse 2015
Journalist Hasnain Kazim © imago stock&people
Hasnain Kazim im Gespräch mit Julius Stucke · 27.07.2018
"Spiegel"-Journalist Hasnain Kazim beteiligt sich an der #MeTwo-Kampagne und teilt persönliche Erfahrungen mit Alltagsrassismus – aber auch solche, in denen er große Solidarität erlebte. Gerade jetzt sei angezeigt, gegen Rassismus anzugehen.
Dinge, die alltäglich sind, die uns umgeben – sehen wir manchmal offenbar nicht. Warum? Vielleicht sind es beim einen schlechte Absichten; andere wollen sie vielleicht nicht sehen; wieder andere können es vielleicht manchmal nicht. Dann kann eine Debatte die Augen öffnen, wir fangen an zu diskutieren, nachzudenken, zu hinterfragen. Der Hashtag #MeToo setzte so eine Debatte in Gang – zum Thema sexuelle Belästigung und sexuelle Übergriffe.
Nun macht der Hashtag #MeTwo Furore – two wie englisch zwei: Unter diesem Hashtag berichten Menschen auf der Kurznachrichten-Plattform Twitter über ihre Erfahrungen mit Rassismus im Alltag. Der Journalist Hasnain Kazim hat sich schon oft publizistisch mit dem Thema Rassismus beschäftigt, er beteiligt sich auch an der Aktion und macht persönliche Erfahrungen unter dem Hashtag #MeTwo öffentlich.

Bewusstsein für Alltagsrassismus

Kazim sagt zu der Kampagne, er rede und schreibe schon lange über Rassismus:
"Das tolle an #MeTwo ist – so traurig die ganze Thematik ist – dass das jetzt ganz viele tun. Ich bin ja nur einer von vielen, vielen Menschen, die das tun, die davon berichten. Und ich glaube, das führt zunächst einmal ins Bewusstsein vieler Menschen, dass es das gibt, dieses Thema. Ich glaube viele Menschen hören Alltagsrassismus ‚Ja, ja, wird’s wohl schon geben‘ – aber können sich konkret gar nicht vorstellen, was das ist. Und jetzt gibt’s eben diese Tweets – wenige Zeilen, wenige Buchstaben – in denen ganz kurz und knapp gesagt wird, was eigentlich so die Probleme sind."
"Spiegel"-Reporter Kazim, einst Korrespondent in der Türkei, jetzt in Wien, sagt zur Resonanz:
"Ich bekomme ganz viele Reaktionen, dass Leute sagen: ‚Huch, das war mir gar nicht klar, dass es so etwas gibt, dass es solche Probleme gibt.' Ich glaube, das schärft das Bewusstsein und idealerweise führt es zu einer Debatte, die vielleicht dazu führt, dass es weniger Alltagsrassismus gibt. Ich mache mir keine Illusionen, dass es das irgendwann nicht mehr geben wird, ich bin mir sicher, dass es bleiben wird, aber vielleicht wird’s irgendwann mal weniger."

Von Kindesbeinen an

Kazim sagt, er kenne Alltagsrassismus von Kindesbeinen an, auch wenn man das nicht so ernst nehme als Kind.
"Wenn man als Kind mit brauner Haut, wie ich sie habe, gesagt bekommt ‚Du bist braun wie Scheiße‘, dann verletzt einen das als Kind. Aber ein Kind, das Segelohren hat, das vorstehende Zähne hat, oder das Pickel hat oder schielt – jedes Kind bekommt mal eine Beleidigung ab, und jeder hat sein Päckchen zu tragen." Das habe er noch verbucht als Begleiterscheinungen der Kindheit.
"Aber das Problem ist, das nimmt zu in der Gesellschaft. Ich habe es als Erwachsener dann auch immer wieder erlebt, vor allem, seit ich aus dem vertrauten Umfeld raus und berufstätig bin."
Wenn man eine Wohnung suche, wenn man etwas im Internet verkaufe, sei es schwieriger, das mit einem fremd klingenden Namen zu tun als mit einem deutsch klingenden. "Da gibt es ganz viele Beispiele, die im Alltag immer wieder präsent sind – insofern ist es nichts Neues."
Sein ganzes Berufsleben schon, so Kazim, gebe es etwa rassistische Leserbriefe oder E-Mails. Aber auch auf der Straße, in einer fremden Stadt, in bestimmten Regionen, in Ostdeutschland besonders häufig, aber auch anderswo, werde er beschimpft, angepöbelt, manchmal müsse man auch wirklich Angst haben.
Als Jugendlicher sei ihm mal auf Rügen von einem Busfahrer die Tür vor der Nase zugemacht worden, der Mann habe ihn noch angegrinst und sei dann losgefahren.

Rassismus gibt es überall

Alltagsrassismus gebe es überall, nicht nur in Deutschland, sagt Kazim, der viel in der Welt rumgekommen ist. Es gebe auch sogenannten positiven Rassismus, etwa in Pakistan, wo sich Kazim zum Zeitpunkt des Interviews gerade aufhielt. Da würden Weiße hofiert, wohl weil man denke‚ das seien diejenigen, die das Geld haben, teils wohl auch, weil die sehr selbstbewusst und bestimmend aufträten, es mag auch an der kolonialen Vergangenheit liegen.
"Das Problem ist: Es wird oft erwähnt, dass es in anderen Ländern auch Rassismus gebe – quasi als Entschuldigung dafür, dass es das in Deutschland gibt. Und das ist es definitiv nicht. Es ist keine Rechtfertigung für Rassismus in Deutschland."
Kazim konstatiert, dass die Debatte auch zu Unsicherheit führen kann: Die Frage "Woher kommst Du?" – fängt da Rassismus im Alltag an oder spricht aus dieser Frage einfach ein ehrliches Interesse?
"Ich finde das Beispiel, das sie nennen, ein gutes. Mir ging es auch so, weil ich oft gefragt wurde ‚Woher kommst Du?' Und dann sage ich immer ‚Ich komm aus Hollern-Twielenfleth, das ist ein Ort in Norddeutschland.‘ Und dann kommt immer die Nachfrage: ‚Woher kommst Du wirklich?‘ Dann sag ich ‚Naja, wirklich komme ich aus Oldenburg, weil da bin ich geboren‘."
Kazim rät dazu, dann auch mit dem Fragen aufzuhören: "Das ist eine Frage auch von Sensibilität."
"Aber ich hab schon verstanden, als Jugendlicher irgendwann, das ist ein ernstgemeintes Interesse – und es ist ja auch bescheuert so zu tun, als würde ich nicht anders aussehen. Insofern rede ich dann auch darüber. Manchmal erzähle ich, wenn ich dazu Lust habe, und manchmal auch nicht."

"Du sprichst aber gut Deutsch!"

"Ein anderes Beispiel: Ich höre sehr oft ‚Du sprichst aber gut Deutsch!‘. Und dann bin ich immer perplex. Ich bin in Deutschland geboren, ich arbeite für den ‚Spiegel‘ und ‚Spiegel Online‘, ich bin Journalist, Sprache ist mein Instrument – selbstverständlich spreche ich gut Deutsch, sonst würde ich den Job nicht machen. Aber da kommt dann auch immer ‚Ist doch nur nett gemeint‘, wenn ich dann harsch reagiere. Das ist natürlich so eine Gratwanderung. Ist das nett gemeint? Oder ist das so ein Versuch, einen von oben herab zu behandeln, nach dem Motto ‚Endlich mal ’nen Ausländer, der ein bisschen Deutsch kann.‘"
Es sei wie bei der Frage "Wo kommst Du her", sagt Kazim. "Ist es ernst gemeintes Interesse – oder geht es darum, eigentlich zu sagen ‚Na ja, so ein richtiger Deutscher bist Du nicht. Du gehörst gar nicht hierher. Deswegen frage ich ja, wo Du herkommst. Und das muss ja irgendwo außerhalb Deutschlands sein‘. Da macht der Ton die Musik."
"Natürlich kann nicht jeder alles sagen. Wenn ich zum Beispiel Witze mache über Leute mit brauner Haut, dann kann ich das als jemand, der braune Haut hat. Das kann ein anderer, der vielleicht weiß ist, nicht! Das ist immer eine Frage des Zusammenhangs. Der Kontext ist alles."

In Zeiten wie diesen

Er sehe das auch nicht immer und permanent verbissen und renne mit erhobenen Zeigefinger herum, sagt Kazim. Aber er hält es für sehr angezeigt, Rassismus gerade auch jetzt zu thematisieren und zu diskutieren:
"Ich glaube, dass wir insgesamt über Alltagsrassismus viel mehr reden müssen – gerade in diesen Zeiten, wo so viele Politiker ein Vokabular nutzen, das unerträglich ist. Und die, wenn man das kritisiert, dann auch noch kommen und sagen ‚Das ist Sprachpolizei‘. Nein, das ist nicht Sprachpolizei. Das ist Erziehung. Und wenn man älteren Herren – also Politiker im fortgeschrittenen Alter – noch beibringen muss, dass man bestimmte Dinge nicht sagt, dass das nicht in Ordnung ist, dass das einfach menschenverachtend ist, dann ist das eigentlich traurig."
(mf)
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