Debatte um Abgas-Belastung

Wann haben Studien Hand und Fuß?

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Abendlicher Berufsverkehr auf dem Kaiserdamm im Zentrum von Berlin. Foto: Michael Kappeler/dpa | Verwendung weltweit
Abgasbelastung durch Staßenverkehr: Was ist dran an epidemologischen Studien, die behaupten, dass jährlich rund 6000 Menschen durch Schadstoffbelastung sterben? © Michael Kappeler / dpa
Von Volkart Wildermuth · 21.02.2019
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Ein Lungenarzt erklärt NO2-Studien für hinfällig, begeht dabei aber Rechenfehler. Die Debatte um die Gültigkeit entsprechender Studien ist im vollen Gang. Ein ganzer Forschungszweig sieht sich in der Kritik. Die Epidemologie wehrt sich selbstbewusst.
Erst einmal die gute Nachricht: In den 1960ern war die Luft in Deutschland viel, viel schlechter. Wenn es damals Smog gab, dann waren die Krankenhäuser voll und zwar nicht nur wegen ernster Atemprobleme, beispielsweise stieg auch die Zahl der Herzinfarkte. Die Folgen der heutigen, weit niedrigeren Umweltbelastung lassen sich nur mit epidemiologischen Studien aufzeigen. Die Stickstoffdioxid-, also NO2 Toten sind sozusagen unsichtbar. Das hat ja auch Dieter Köhler in seinem offenen Brief festgestellt:
"Lungenärzte sehen in ihren Praxen und Kliniken diese Todesfälle an COPD und Lungenkrebs täglich; jedoch Tote durch Feinstaub und NOx, auch bei sorgfältiger Anamnese, nie."

Vergleich von Äpfeln mit Birnen

Das liegt vor allem daran, dass Köhler hier Äpfel mit Birnen vergleicht. Bei einem Lungenkrebs hätte er ja auch nicht "Zigarette" als Todesursache angegeben. Und entsprechend wird bei den Todesfällen durch Umweltgifte eben nicht NO2 oder Feinstaub vermerkt, sondern Diabetes oder Herzinfarkt, betont die Umweltepidemiologin Barbara Hoffman von der Universität Duisburg Essen:
"Wenn jemand einen Herzinfarkt erleidet, sieht man dem Herzinfarkt nicht an, ob der ausgelöst wurde durchs Rauchen oder durch die Luftverschmutzung oder durch hohe Blutfettwerte. Das kann man bei der einzelnen Erkrankung sowieso in ganz seltenen Fällen nur sagen. In den meisten Fällen ist es so, dass das Eintreten von Erkrankungen durch verschiedene Risiken befördert wird. Und dazu gehört eben auch unter anderem die Luftverschmutzung, bei den heutigen Belastung die wir heute in Deutschland haben."

Probleme schon bei niedrigen Schadstoff-Werten

Auch Barbara Hoffmann weiß, dass die größten Killer in Deutschland nach wie vor Zigaretten, schlechte Ernährung Übergewicht und Alkohol sind. Aber danach folgt eben auch schon die Luftverschmutzung, laut der Global Burden of Disease Study von Weltgesundheitsorganisation und Weltbank. Solche Zahlen werden aufwändig ermittelt, über den langjährigen Vergleich der Gesundheit von Menschen in hoch belasteten und in saubereren Regionen.

"Man findet mehr oder weniger regelhaft eine sehr geringe Risikoerhöhung in staubbelasteten Gebieten, meistens nur um einige Prozent. Aus dieser Korrelation wird fälschlicherweise eine Kausalität suggeriert", kritisiert Dieter Köhler.
Epidemiologische Studien zeigen Zusammenhänge, ob es aber wirklich um Ursache und Wirkung geht, dafür brauche es andere Daten. Aber die gibt es ja. Tierversuche zeigen, dass Verkehrsschadstoffe auch in niedrigen Konzentrationen für Probleme sorgen. Besonders beim Feinstaub gibt es auch Daten zu Menschen.
Liegt die Belastung höher, dann verändert sich zum Beispiel der Herzrhythmus, berichtet die Epidemiologien Annette Peters: Zwar "nicht so, dass es bei einer gesunden Personen wirklich schädlich sein kann, aber doch so das möglicherweise eine Person, die ein starkes Risiko für Herzrhythmusstörungen hat, da eben auch eine klinisch relevante Arhythmie ausgelöst werden könnte."

Epidemologie in der Kritik

Beim NO2 ist die Datenlage etwas weniger eindeutig. Annette Peters, die Direktorin des Deutschen Forschungszentrums für Gesundheit und Umwelt am Helmholtz Zentrum München hat für das Umweltbundesamt hochgerechnet, dass der Belastung mit Stickstoffdioxid in Deutschland jedes Jahr 6.000 Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen zuzurechnen sind.
Diese Form der Darstellung ist auch unter Epidemiologen umstritten. Viele ziehen es vor, die gleichen Zusammenhänge anders auszudrücken: Durch Stickoxide verliert die deutsche Bevölkerung jedes Jahr 50.000 Lebensjahre. Eine noch grundsätzlichere Kritik formuliert der Statistik-Experte und Mathematiker Walter Krämer vom RWI-Leibniz Institut für Wirtschaftsforschung in Essen. Er hat die Analyse des Umweltbundesamtes damals zur Unstatistik des Monats erklärt:
"Die Epidemiologie ist da ein bisschen unter Beschuss geraten. Denn um einen kleinen Effekt zu isolieren muss man natürlich alle anderen kleinen Effekte erst mal raus rechnen. Und das ist eine sehr, sehr schwierige Kunst, so dass sehr oft Scheineffekte entdeckt werden, die gar nicht existieren."
Epidemiologen wissen natürlich, wie wichtig es ist Störfaktoren zu berücksichtigen und wie groß die Unsicherheiten sind. Sie sind deshalb eher vorsichtig in ihren Aussagen. Meta-Analysen zeigen, dass die Risiken tendenziell eher unterschätzt werden. Viele Epidemiologen haben den Eindruck, dass es hier um weit mehr geht, als nur um den Streit um Zahlen, dass ein Zerrbild ihrer Wissenschaft gezeichnet wird. Und dass manche Kritiker bezweifeln, ob sich mit statistischen Auswertungen überhaupt Aussagen über allgemeine Gesundheitsgefährdungen machen kann.

6000 Todesfälle pro Jahr eher "konservativ geschätzt"

Aber eben nur, wenn es um Umweltschadstoffe geht. In allen anderen Bereichen werden epidemiologische Ergebnisse einfach akzeptiert, so Annette Peters: "Wenn wir uns gesünder ernähren, wenn wir mehr Sport treiben, wenn wir wissen, das Rauchen schädlich ist, dann basieren diese Aussagen auch auf epidemiologischen Studien und auf Studien, die eigentlich ganz genauso vorgehen."
Diese allgemein akzeptierten Ansätze hat sie auch bei der Berechnung der Folgen der Stickoxidbelastung zugrunde gelegt. Die 6.000 Todesfälle hält sie für eine eher konservative Schätzung:
"Wenn man sich die aktuellen Zahlen der Europäischen Umweltagentur ansieht, dann liegen die deutlich höher als unsere Zahlen und in der Tat zeigen diese Zahlen auch, dass eben das NO2 ein Gesundheitsrisiko darstellt, aber das größere Gesundheitsrisiko vom Feinstaub ausgeht."
Dazu Walter Krämer: "Aber dann muss ich immer wieder darauf verweisen, dass unsere allgemeine Gesundheit, gemessen durch den einzigen wahren Indikator, der das wirklich misst, nämlich die Lebenserwartung, seit Jahren in Deutschland stark steigt, sodass diese ganzen Ängste eigentlich an den Haaren herbeigezogen sind."

Mit der Lebenserwartung steigen auch die kleinen Risiken

Es wird vieles besser in Deutschland, das betont Walter Krämer. Aber gerade weil es die großen Fortschritte in der Gesundheit gibt, spielen die vermeintlich kleinen Risiken plötzlich eine wichtigere Rolle.
Die niedrige Dauerbelastung mit Luftschadstoffen betrifft große Gruppen der Bevölkerung und steigert deren Risiko für viele Krankheiten ein kleines bisschen – mit Folgen, die die Epidemiologie eben doch verlässlich messen kann. Im Niedrigdosisbereich ist es schwer, die Belastung weiter zu senken, gesteht Barbara Hoffmann zu, aber gerade hier lohnen sich zusätzliche Anstrengungen:
"Speziell so in dem Dosisbereich in dem wir uns jetzt befinden bringt jedes Mikrogramm pro Kubikmeter Abnahme der Luftverschmutzung einen noch größeren Gesundheitsgewinn."
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