Debatte über Sexualstrafrecht

Gegen Stereotypen in den Köpfen

Das Model Gina-Lisa Lohfink am 1.6.2016 im Gerichtsaal mit ihren beiden Anwälten zum Auftakt des Prozesses gegen sie wegen Falschaussage.
Das Model Gina-Lisa Lohfink am 1.6.2016 im Gerichtsaal mit ihren beiden Anwälten zum Auftakt des Prozesses gegen sie wegen Falschaussage. © picture alliance / dpa / Klaus-Dietmar Gabbert
Von Sophie Elmenthaler · 19.06.2016
Der Fall von Model Gina-Lisa Lohfink hat die Debatte um das Sexualstrafrecht zusätzlich befeuert. Für viele steht fest: Opfer von sexueller Gewalt werden in Deutschland nicht genügend geschützt. Die Philosophin Hilkje Hänel hält weder das "Ja"- noch das "Nein"-Modell für praxistauglich.
Als Date Rape wird eine Vergewaltigung nach einem Date bezeichnet, also nach einer Verabredung - ein Form von Vergewaltigung, die laut der Philosophin Hilkje Hänel häufig vorkommt:
"Es gibt eine ganz interessante Studie in Amerika, die Collegestudenten befragt hat und rausgefunden hat, dass tatsächlich ein sehr großer Teil der Collegestudenten entweder angegeben haben, dass sie vergewaltigen würden, wenn sie auf einem Date sind und die Frau unerwarteter Weise doch mal 'Nein' sagt, oder dass sie genau das schon einmal gemacht haben."
Dem Date Rape liegen oft falsche und oft sexistische Annahmen zugrunde, die gemeinhin als "Rape Culture" subsumiert werden. Dabei glaubt der Mann, ein Recht auf Sex zu haben, weil er die Rechnung bezahlt hat, die Frau ihn geküsst hat oder sie einen kurzen Rock trägt - er geht dann davon aus, dass die Frau in Sex eingewilligt hat. Wenn sie sich wehrt, so seine Annahme, würde sie sich womöglich nur zieren.
In der Praxis fällt die Beurteilung solcher Vergewaltigungen oft schwer - zum Beispiel, weil es meist keine Zeugen gibt.
"Auf der anderen Seite geht der Mainstream auch immer noch davon aus, dass Vergewaltigung nur dann vorherrscht, wenn sozusagen der fremde Mann hinter der Hecke lauert und einen auf dem Nachhause-Weg irgendwie anspringt und dann mit viel Aggression und viel Gewalt überwältigt. Wo hingegen das, was ja tatsächlich häufig vorkommt an Vergewaltigung, genau das Gegenteil ist. Nämlich die Handlung, die recht wenig mit Gewaltausübung zu tun hat und recht viel mit psychischer Macht und jemanden irgendwie psychisch zwingen", sagt Hilkje Hänel.

Als Vergewaltigung zählt nur eine Penetration

Dieser Lesart folgt auch die deutsche Rechtsprechung. Als Vergewaltigung zählt nur eine Penetration gegen den Willen des Opfers unter Anwendung massiver physischer Gewalt. Der Vorstoß von Justizminister Heiko Maas (SPD) zielt auf eine Erweiterung der Straftatbestände, rührt aber nicht an dem Hauptproblem: der Frage der Einvernehmlichkeit. In der philosophischen Literatur gibt es zwei populäre Modelle. Das Nein-Modell und das Ja-Modell.
Am Nein-Modell orientiert sich die aktuelle deutsche Kampagne "Nein-heißt-Nein". Der reale Fall von Gina-Lisa Lohfink wäre unter dem Nein-Modell eindeutig eine Vergewaltigung, weil Lohfink mehrmals "Hör auf!" sagte.
Problematisch wird es, wenn das Opfer bewusstlos ist, wie im Fall des amerikanischen Schwimmer Brock Turner, der eine junge Frau vergewaltigte, als sie bewusstlos war. Dafür wäre das Ja-Modell besser geeignet. Sex nur, wenn beide Seiten klar "Ja" gesagt haben. Jemand der bewusstlos ist, schläft oder unter Drogen steht, kann nicht klar "Ja" sagen.
Hilkje Hänel hält trotzdem beide Modelle für unzureichend:
"Ich glaube, dass es tatsächlich überhaupt keine Veränderung bringt, solange das gesellschaftliche Bild dasselbe bleibt. Das heißt, ob jetzt jemand 'Nein' gesagt hat oder nicht, liegt so ein bisschen in der Urteilskraft von dem, der es bewerten soll. Man wird dann Aussage gegen Aussage haben. Und damit kann das Rechtssystem tatsächlich schlecht umgehen. Und es kann damit noch schlechter umgehen, solange die Personen, die sozusagen Recht ausüben in der Gesellschaft, auch von bestimmten Vorannahmen betroffen sind."

Vor und während des Aktes austauschen

Besagte sexistische Vorannahmen betreffen eben jene Mythen von Rape Culture wie zum Beispiel "Sie hat es durch ihr Verhalten provoziert" oder "Männer können sich nun mal schlecht kontrollieren". Um wirklich sicher sein zu können, dass Sex gewollt ist, müssten die Beteiligten sich eigentlich vor und während des Aktes austauschen. Auch dazu gibt es ein Modell – das sogenannte Negotiation- oder Konsens-Modell, das die Juristin Michelle J. Anderson 2004 vorgeschlagen hat. Es versucht zu etablieren, was beispielsweise in der BDSM-Szene längst Standard ist, sagt Hilkje Hänel.
"Ich finde das tatsächlich ein ganz gutes Modell. Ich finde das auch immer wieder faszinierend, dass gerade auch so von liberalen Rechtswissenschaftlern oder Philosophen so etwas kommt: 'Oh, mein Gott, das zerstört ja jede Romantik und so funktioniert das doch alles gar nicht.' Wo ich mich dann immer ein bisschen frage, was die eigentlich in ihren Betten so machen? Weil ich finde, vorher irgendwie mal auszuhandeln oder mal darüber zu sprechen, was eigentlich so Vorlieben sind und was man eigentlich so will, scheint mir auch ein relativ gutes und ein relativ banales Mittel zu sein, um sicher zu stellen, dass man einvernehmlichen Sex hat."
Wobei es letztlich auch bei diesem Modell beim Richter liege, zu beurteilen, ob ein Konsens vorlag oder nicht. Um dabei nicht in sexistischen Normen gefangen zu sein, müsste sich in der Gesamtgesellschaft etwas ändern - da ist sich Hilkje Hänel sicher:
"Ich glaube, man sollte eher hin zu Kampagnen, die tatsächlich irgendwie so ein bisschen an diesen Stereotypen, die wir im Kopf haben, rütteln, als nur zu Kampagnen, die jetzt irgendwie Ausnahmsweise mal Zustimmung mit verankern im Gesetz."
Mehr zum Thema