Debatte über Schadstoff-Grenzwerte

Sorge um Vertrauen in die Wissenschaft

Ein Auto stößt während dem ersten Feinstaubalarm im Jahr 2019 Abgase aus.
Ein Aufruf von Lungenfachärzten hat viele Bürger bei der Feinstaub-Debatte verunsichert © Sebastian Gollnow/dpa
Markus Weißkopf im Gespräch mit Ute Welty  · 26.01.2019
Nach der Kritik von Lungenärzten an den Schadstoff-Grenzwerten und dem folgenden Streit unter Wissenschaftlern sind viele Menschen verunsichert. Der Geschäftsführer von "Wissenschaft im Dialog", Markus Weißkopf, befürchtet einen Ansehensverlust.
Die Debatte um die gesundheitlichen Folgen von Feinstaub und Stickoxiden verunsichert viele. Der jüngste Vorstoß von mehr als hundert Lungenärzten, die in einer gemeinsamen Erklärung die Grenzwerte kritisierten, traf bald auf den Widerspruch anderer Wissenschaftler.
Auf der einen Seite gebe es eben Wissen, das von vielen tausend Wissenschaftlern weltweit nach wissenschaftlichen Methoden und Kriterien produziert worden sei, sagte der Geschäftsführer von "Wissenschaft im Dialog", Markus Weißkopf, im Deutschlandfunk Kultur. "Und diesen wurden dann von den Unterzeichnern der Stellungnahme eher anekdotische Evidenz, also individuelles Erfahrungswissen, gegenüber gestellt", kritisierte er die Initiative der Lungenfachärzte. Es gebe einen großen qualitativen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. (gem)

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: Feinstaub und Stickoxide, das ist eines der beherrschenden Themen der zurückliegenden Woche gewesen. Auf der anderen Seite heißt es, zehntausende von Menschen sterben vorzeitig aufgrund von Feinstaub und dann äußern sich Lungenfachärzte, die sagen, mir ist noch kein einziger Feinstaubpatient in meiner Praxis begegnet. Zurück bleiben verwirrte Menschen, die im Zweifel einen Diesel fahren, der von einem Fahrverbot in Hamburg, Stuttgart oder im Ruhrgebiet betroffen ist.
Ute Welty: Markus Weißkopf ist Geschäftsführer von "Wissenschaft im Dialog", das ist eine Initiative der deutschen Wissenschaft, mit dem Ziel, die Diskussion und den Austausch über Forschung in Deutschland zu fördern. Guten Morgen, Herr Weißkopf!
Markus Weißkopf: Guten Morgen!
Welty: Es heißt, Wahrheit ist immer eine Frage der Interpretation. Ist Wissenschaft immer eine Frage auch von Interessen?
Weißkopf: Na ja, so würde ich das nicht sagen. Ich glaube, hier geht es viel mehr darum, dass es auf der einen Seite eben Wissen gibt, das nach wissenschaftlichen Methoden und Kriterien produziert wurde von vielen tausend Wissenschaftlern weltweit. Und diesen wurden dann von den Unterzeichnern der Stellungnahme eher anekdotische Evidenz, also individuelles Erfahrungswissen gegenüber gestellt.
Also, ich würde schon sagen, hier gibt es einen großen qualitativen Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Also, das eine ist sozusagen tatsächlich die Wissenschaft, wie sie eben produziert wird, und das andere, was dort in dieser Stellungnahme beschrieben wird, vielleicht eben eher diese anekdotische Evidenz.

Orientierung am Gemeinwohl

Welty: Aber das bedeutet doch im Klartext, dass es objektive Erkenntnis gar nicht gibt und dass es unabhängige Forschung gar nicht gibt, wenn Facebook dafür zum Beispiel eine Menge Geld ausgibt.
Weißkopf: Nun, ich glaube, was Objektivität und Unabhängigkeit ist, das ist wirklich schwierig zu beantworten. Ich glaube – und das sieht man zum Beispiel auch an den Umfragen dazu, den repräsentativen bei uns am Wissenschaftsbarometer, dass eben diese Integrität, aber auch die Gemeinwohlorientierung von Wissenschaftlern sehr wichtig ist für die Bevölkerung, um im Endeffekt auch der Wissenschaft Vertrauen entgegen zu bringen, und ich glaube, da sollte eben die Wissenschaft sich sehr darum bemühen, dieses Grundlagenvertrauen eben auch zu erfüllen.
Arztpraxis, älterer Patient im Gespräch mit seinem Hausarzt, Besprechung einer Röntgenuntersuchung der Lunge,
Lungenärzte verfügen über Erfahrungswissen in ihrer Praxis, sind aber keine Umweltspezialisten. © dpa
Welty: Wie sehr beschädigen solche Diskussionen den Ruf von Wissenschaft und Wissenschaftlern?
Weißkopf: Ich glaube, das gibt es natürlich einen Ansehensverlust, der aus solchen Diskussionen folgt, vor allem, wenn diesen Statements eben auch keine anderen Statements entgegengesetzt werden. Es ging ja bewusst auch darum, seitens der Verfasser der Stellungnahme, letzten Endes, die Redlichkeit der anderen Wissenschaftler in der internationalen Community, die diese Evidenz erarbeitet haben, diese Redlichkeit in Zweifel zu ziehen. Ich glaube, wenn eben dem nichts entgegengestellt wird und die Medien das vor allem auch relativ unkommentiert und uneingeordnet stehen lassen, dann gelingt das auch zum Teil.

Späte Einordnung

Welty: Jetzt ordnen wir ja ein und wir lassen das ja auch nicht unkommentiert stehen.
Weißkopf: Ja, aber das ist eben doch relativ spät passiert, muss man sagen. Man hat das gesehen, das Anfang der Woche diese Einordnung eben noch nicht so sehr stattgefunden hat. Und wir wissen alle, dass letzten Endes, wenn die Botschaft einmal in der Welt ist, es schwer ist, die wieder einzufangen, und sehr wenige Menschen dann letztendlich diese Artikel lesen oder diese Sendungen hören, in denen dann die Richtig- oder Klarstellung noch mal erfolgt.
Welty: Aber wenn sich Wissenschaft auf der einen Seite so positioniert wie jetzt dieser Kreis von Lungenfachärzten, muss dann Expertise nicht kommen aus einem anderen Kreis von Wissenschaftlern?
Weißkopf: Ja, selbstverständlich. Es gab ja schon auch einige Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die sich in dieser Woche zu Wort gemeldet haben, nicht zuletzt jetzt auch über das "Science Media Center" beispielsweise. Aber es waren natürlich, das will ich schon so sagen, etwas zu wenige und die waren eben auch etwas zu spät dran.
Das ist etwas, wo wir uns vielleicht auch nicht zu sehr wundern müssen, denn natürlich gibt es für diese öffentliche Kommunikation, diese öffentliche Einmischung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eben keine große Wertschätzung, keinen harten Gegenwert in der Wissenschaftscommunity, der auch anerkannt wird. Und darüber hinaus ist es natürlich auch nicht so ganz einfach, sich in so eine sehr überhitzte Debatte einzubringen.
Da fühlen sich vielleicht auch einige nicht ganz wohl und ich glaube, da müssen wir die Wissenschaftler auch stärker befähigen, dass sie sich da besser fühlen, dass sie sich in solche Debatten auch einbringen können. Und wir müssen ihnen vielleicht auch die passenden Plattformen und Kanäle anbieten seitens der Wissenschaftsorganisationen, um eben dann in diesen Fällen, wo es dann darum geht, wo man auch schnell da sein muss, ihre Position auch beziehen zu können.

Fortschritte im Dialog

Welty: Bereits vor 20 Jahren haben deutsche Wissenschaftsorganisationen nach amerikanischem Vorbild das sogenannte Push-Memorandum unterzeichnet, in dem man sich verpflichtet, professioneller mit der Öffentlichkeit zu kommunizieren. Was ist damit erreicht worden und was offensichtlich nicht?
Moderator Rainer Holl führt durch den Science Slam im Werk 2, Leipzig
Die Wissenschaft sucht heute den Dialog und die Öffentlichkeit, wie hier beim Science Slam in Leipzig. © Deutschlandradio / Manuel Waltz
Weißkopf: Nun, also, wenn wir die Angebote zum Beispiel von "Science Slams" über die lange Nacht der Wissenschaft bis hin zu Schülerlaboren und Kinderunis anschauen, dann wurden diese allesamt in den vergangenen 20 Jahren entwickelt. Und so können sich Bürgerinnen und Bürger, vor allem auch junge Menschen, informieren, sie können Wissenschaftler treffen, etwas über die Faszination von Wissenschaft erfahren.
Es hat sich also schon ziemlich viel bewegt und die Branche hat sich enorm professionalisiert. Aber Sie haben recht, wir haben sicherlich, gerade wenn es darum geht, dass wir uns noch mal stärker auch gerade in aktuelle, kontroverse Debatten zu wissenschaftsnahen Themen, dass sich da Wissenschaft stärker einbringen muss.
Welty: Markus Weißkopf von "Wissenschaft im Dialog". Es ist nicht alles schwarz-weiß und es gibt noch eine Menge zu tun. Haben Sie Dank!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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