Debatte über Cannabis-Freigabe

Entkriminalisieren, aber nicht legalisieren

Ein Mann dreht sich einen Joint.
Geht es nach dem Bund Deutscher Kriminalbeamter bleibt Cannabis verboten. © dpa / picture-alliance / Christophe Morin
Oliver Huth im Gespräch mit André Hatting · 09.01.2018
Cannabis für alle? Eine Legalisierung des Haschisch-Konsums lehnt Oliver Huth ab. Man setze sich aber dafür ein, dass Konsumenten entkriminalisiert und Hilfe angeboten bekommen würden, sagte der Vizechef beim Bund Deutscher Kriminalbeamter in Nordrhein-Westfalen.
André Hatting: Unser Länderreport über die Freigabe von Cannabis zu therapeutischen Zwecken hat ja bislang eines gezeigt: Das Gesetz schafft offenbar mehr Verwirrung als Klarheit. Den Ärzten sind die bürokratischen Hürden zu hoch, die Apotheken klagen über Lieferengpässe, die Ausschreibung für den Anbau in Deutschland ist kompliziert und sie hinkt auch dem Zeitplan hinterher, weil jemand da geklagt hat.
Und die Polizei hat oft Schwierigkeiten, bei Kontrollen genau zu unterscheiden, ist das jetzt ein Patient mit dem Recht auf Rausch oder ist es ein illegaler Freizeitkiffer? Deswegen fordert der Bund Deutscher Kriminalbeamter: Macht es doch nicht so kompliziert, erlaubt das Kiffen für alle und schafft einen regulierten Markt für Marihuana. Das hat zumindest der Bundesvorsitzende des BDK, André Schulz, neulich in einem Zeitungsartikel geschrieben.
Ist das eine Einzelmeinung, oder ist das mehrheitsfähig? Oliver Huth ist stellvertretender Landesvorsitzender des BDK in Nordrhein-Westfalen. Guten Tag, Herr Huth!
Oliver Huth: Schönen guten Tag!
Hatting: Cannabis für alle – schließen Sie sich dieser Forderung Ihres Bundesvorsitzenden an?
Huth: Nein, das ist eine Einzelmeinung meines Bundesvorsitzenden. Wir haben einen Gremienbeschluss dazu im Bundesvorstandsbeschluss. Wir setzen uns dafür ein, dass Konsumenten entkriminalisiert werden, sehen aber nach wie vor keinen Raum für eine Legalisierung von Cannabis oder anderen Betäubungsmitteln, die derzeit dem Gesetz unterliegen, weil es dafür keine Modelle gibt, denen wir zustimmen können.

Hilfe, um von den Drogen loszukommen

Hatting: Was heißt das aber, dass Sie gleichzeitig wollen, dass die Konsumenten entkriminalisiert werden? Was würde das bedeuten?
Huth: Es ist nach unserer Ansicht nicht sinnvoll, dass Leute, die wir auf der Straße antreffen, die Mengen mit sich führen von Betäubungsmitteln, die definitiv für den Eigengebrauch vorgesehen sind, mit dem Staatsanwalt in Verbindung bringen.
Es gibt da in anderen europäischen Ländern ganz tolle Modelle wie beispielsweise in Portugal. Da steht das Hilfesystem im Vordergrund. Dort werden die Leute dann mit entsprechenden Experten konfrontiert. Das sind Suchttherapeuten, das sind Sozialarbeiter. Da geht man andere Wege, um den Menschen dann halt eine Handreichung zu geben, um von den Drogen wegzukommen.
Hatting: Verstehe ich Sie richtig, Konsum oder Mengen für den Eigenbedarf, das wäre in Ordnung, begleitet von einer Betreuung?
Huth: Für eine Legalisierung auf keinen Fall. Das ist auch in Portugal nach wie vor verboten, die Betäubungsmittel werden sichergestellt. Aber die Folgeschritte sind ganz anders. Man wird mit Experten konfrontiert, die sich im Bereich der Sucht tatsächlich auskennen.
Man droht nicht mit dem Strafrecht oder mit entsprechenden kriminaltaktischen Maßnahmen, sondern Hilfereichung steht im Vordergrund. Gleichwohl sind auch Mengen von Marihuana und anderen Drogen in Portugal nach wie vor verboten.
Hatting: Ist denn das Argument Ihres Bundesvorsitzenden, dass das jetzige Gesetz zu bürokratisch sei und zu viel Personal koste, falsch?
Huth: Es kommt drauf an, welches Gesetz jetzt genau zur Diskussion steht. Reden wir grundsätzlich über das Betäubungsmittelgesetz, das althergebrachte, dann ist da eine hinreichende Übung landauf, landab, wie wir damit umzugehen haben. Wenn es jetzt um die Novellierung geht, Cannabis als Medizinprodukt einzusetzen, dann sind da sicherlich noch einige Hürden in der Praxis zu nehmen.
Das muss man deutlich sagen, da steht auf der einen Seite die Bürokratie, aber auf der anderen Seite natürlich der Umgang mit dem Betäubungsmittel im Vordergrund, einerseits bei den Empfängern, dass die so mit dem Stoff umgehen, wie es das Gesetz auch möchte, nämlich absolut vermeiden, dass es Dritten zugänglich gemacht wird.
Und auf der anderen Seite natürlich die Kompetenz der Polizeibeamten oder anderer Leute, die in diesem Netzwerk auch arbeiten, dass die die entsprechende Kompetenz mitbringen, was das Gesetz denn tatsächlich will.

Huth sieht den Gesetzgeber in der Bringschuld

Hatting: Ja, da wollte ich gerade noch mal nachfragen. Sie haben die Polizeibeamten angesprochen. Da gibt es immer mal wieder Ärger, gerade im Straßenverkehr, wir haben das Beispiel vorhin aus München gehört, dass die Kollegen dann nicht so richtig unterscheiden können. Nun hat der meinetwegen ein entsprechendes Dokument, ein Rezept, das zeigt, ich darf eigentlich Cannabis konsumieren. Andererseits heißt das ja nicht, dass er berauscht Auto fahren kann. Es gibt immer wieder Ärger, Konflikt, es ist unklar, heißt es. Da müssen Beamte auch nachgeschult werden?
Huth: Ja, grundsätzlich ist das so. Wir müssen immer erkennen, wenn sich Gesetze ändern, dass wir unsere Kolleginnen und Kollegen auf der Straße so in die Lage versetzen, dass wir mit den Gesetzen noch umgehen können. Das ist nicht eine Holschuld des Beamten, sondern eine Bringschuld des Dienstherrn, und da ist oft Luft nach oben.
Wir kennen aber solche Phänomene schon, auch im Betäubungsmittelgesetz, zum Beispiel bei den Leuten, die Substitute empfangen, weil sie heroinabhängig sind. Da haben wir auch oft Konflikte, weil wir nicht wissen, ob das Substitutmittel, das sie derzeit verabreicht bekommen und mit sich führen, tatsächlich dann vom Apotheker verabreicht worden ist, ob eine Erlaubnis dafür vorliegt, es mitzuführen.
Das liegt oft daran, dass die Konsumenten sich auch tatsächlich nicht daran halten und diese Betäubungsmittel in den Gebinden, in denen sie die übergeben bekommen haben vom Apotheker, auch weiter vorrätig halten. Da sind zum Beispiel entsprechende Schraubverschlüsse dran, dass Kinder diese Gegenstände nicht öffnen können. Und da ist dann bei uns oft der Verdacht, dass es eigentlich illegal wäre, was die Leute dort haben.
Letztendlich stellt sich dann heraus, dass doch eine Erlaubnis vorliegt. Da sind beide Seiten gefragt, vernünftig mit dem Thema umzugehen.
Hatting: Ich wollte Sie gerade auf die Konsumentenseite ansprechen. Gerade das Beispiel Cannabis, Drogenkonsum – es ist ja bei vielen Medizinprodukten jetzt schon so, dass auf der Packungsbeilage steht, wenn Sie das eingenommen haben, dann dürfen Sie kein Auto fahren zum Beispiel. Ich meine, da scheint mir auch Aufklärungsbedarf hinsichtlich der Konsumenten zu sein, denn Cannabis zu therapeutischen Zwecken, das heißt ja nicht, dass, wenn man das genommen hat, man alles machen darf.
Huth: Das ist richtig. Das gilt für viele Arzneimittel, die auch dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen oder verkehrsfähig sind, wie zum Beispiel Benzodiazepine. Damit darf ich auch nicht unbedingt Autofahren ab einer gewissen Dosis. Und das wird den Leuten, die das empfangen vom Arzt oder im Rahmen des Dispensierrechts von den Apotheken, auch ständig gesagt. Das ist kein Freibrief, ein Fahrzeug zu führen, sondern es ist eine Erlaubnis, diese Betäubungsmittel zu konsumieren und zu besitzen.
Allerdings muss ich immer auch aufpassen, dass die nicht in dritte Hände gelangen, für die Leute, die nämlich nicht diese Verschreibung vorliegen haben. Das wäre dann wieder ein Verstoß gegen das Gesetz.

Nachbesserungsbedarf beim Gesetz

Hatting: Müsste Ihrer Meinung nach das jetzige Gesetz, das Cannabiskonsum zu therapeutischen, zu medizinischen Zwecken erlaubt, müsste das irgendwo nachgebessert werden?
Huth: Wenn wir einen Engpass haben in der Produktion, das zeigt deutlich, dass der Impetus des Gesetzes in der Praxis nicht umgesetzt werden kann, und das ist sehr schade. Die Konsumenten, die verschreibungsfähig sind und diese entsprechende Krankheit haben, wo Cannabis helfen könnte, warten dringend darauf. Es ist also wirklich nicht gut, wenn man die jetzt so im Regen stehen lässt.
Und auf der anderen Seite ist es so, dass wir es oft erleben, dass Gesetze geschrieben werden, und gerade, wenn Sie auf die erste Seite des Gesetzblattes gucken, steht dann oft, welche Kosten das verursacht oder wer mit einzubeziehen ist. Und dort bleibt dann oft, sage ich mal, die Praxis sich selbst überlassen. Die Praxis muss dann selbst regeln, wie sie Gesetze umsetzt, wie sie Schulungen umsetzt. Das macht der Bundesgesetzgeber nicht. Und da müssten eigentlich Bund und Länder eher zusammenrücken und ein Gesetz sauber vorbereiten.
Hatting: Und dann noch mal nachbessern?
Huth: Und dann noch mal nachbessern, wenn sich zeigt in der Evaluationsphase, dass das Gesetz in der Praxis nicht umgesetzt werden kann, nicht ankommt, dann muss man natürlich das, was man da vorhatte, hinterfragen und natürlich verbessern. Das ist dringende Aufgabe der Politik, das sollte sie eigentlich ständig machen.
Hatting: Oliver Huth, stellvertretender Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter in Nordrhein-Westfalen. Ich bedanke mich, Herr Huth!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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