Debatte über Artikel 15

"Fremdkörper in der Verfassung"

08:57 Minuten
An einer Hausfassade hängt ein Transparent, dass gegen Gentrifizierung protestiert.
In Berlin wächst der Widerstand gegen Immobilienbesitzer, die Mieter aus ihren Wohnungen treiben. Jetzt läuft ein Volksbegehren für Enteignungen. © dpa-Zentralbild/picture-alliance
Helge Sodan im Gespräch mit Shanli Anwar  · 27.04.2019
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Der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin, Helge Sodan, würde den Enteignungs-Artikel 15 im Grundgesetz nicht vermissen. Aber es fehle die parlamentarische Mehrheit, um ihn abzuschaffen. Die FDP stimmte auf ihrem Parteitag dafür.
Der FDP-Vorschlag, den Enteignungs-Artikel 15 aus dem Grundgesetz zu streichen, findet im Bundestag nur wenig Zustimmung und würde im Parlament deshalb die nötige Zweidrittelmehrheit deutlich verfehlen. Nur aus der CDU gab es Unterstützung für den liberalen Vorschlag. Andere CDU-Politiker lehnen den Vorstoß aber ab – genauso wie SPD, Grüne und Linke. Auch die AfD-Fraktion hält nichts von dem Vorschlag der Liberalen.

Neuorientierung nach 1949

"Artikel 15 steht unverändert seit 1949 im Grundgesetz", sagte der frühere Präsident des Verfassungsgerichtshofes des Landes Berlin, Helge Sodan (2000 -2007). Von der Regelung sei in den 70 Jahren des Bestehens des Grundgesetzes noch niemals Gebrauch gemacht worden. "Forderungen, sie zu streichen, sind zumindest nachvollziehbar", sagte Sodan. Wenn man den historischen Kontext betrachte, sei diese Vorschrift 1949 in einer Zeit entstanden, als der künftige Wirtschaftskurs noch nicht festgestanden habe. Das Erfolgsmodell der sozialen Marktwirtschaft habe dann später zu einer Neuorientierung geführt.
Das Bundesverfassungsgericht habe seither von einer grundlegenden Wertentscheidung zugunsten des Privateigentums gesprochen. Heute erscheine dieser Artikel 15 in der Verfassungsrechtsprechung wie ein Fremdkörper in der Verfassung. "Ich würde ihn nicht vermissen", sagte Sodan. Als Realist sehe er aber, dass es im Bundestag und Bundesrat an der notwendigen Zweidrittel-Mehrheit fehle, um ihn abzuschaffen.

FDP stimmt gegen Artikel 15

Auf dem FDP-Parteitag in Berlin stimmte eine große Mehrheit der Delegierten für den entsprechenden Antrag. Darin heißt es wörtlich: "Enteignung durch Sozialisierung von Wohnungen stellt keine Lösung für die Wohnungskrise in unseren Städten dar, sondern einen Angriff auf das grundgesetzlich verankerte Eigentumsrecht."
In Berlin läuft derzeit ein Volksbegehren, das zum Ziel hat, große Wohnungskonzerne enteignen zu können. Deren Bestände sollen nach dem Wunsch der Organisatoren in Gemeineigentum überführt werden und die Unternehmen deutlich unter Marktwert entschädigt werden.
(gem)
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